www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (04.05.2003)

Autor im Ohr
Ach ja, manchmal hätt man's schon gern: Da liest einer einem vor und man hört nur zu und kann die Phantasie schweifen lassen. Aber meistens hat Freund/in no Lust, Frust oder muß früh raus aus'm Bett. Und so bleibt einem nix, als sich selbst vorzulesen. Wo's doch so schön wäre, wenn's andere täten.
Nö, man muß es nicht mit der Literatur alleine tun. Denn im Haus des Buches zu Leipzig existiert ein Telefon mit Nummer, das für einen liest. Ehrlich. Man wähle (0341) 99 54 171 und entscheide. Zwei Autoren tragen einem persönlich gut fünf Minuten aus ihren Werken vor. Im April noch kann man lauschen: Wolfgang Bittner und Adel Karasholi. Drauf im Mai leihen Jörg Maaß und Burkhard Spinnen dem Apparat ihre Stimme. Das hat was. 'ne ganze Anzahl Autoren lasen bereits via Telefon. Und 'ne Menge Anrufer nutzten den Service. Ins Jahr sechs der Existenz geht das Leipziger Literaturtelefon heuer. 1997 entstand es auf Initiative des Deutschen Schriftstellerverbandes, mit Unterstützung des Kuratoriums Haus des Buches. War es in frühen Monaten für die Leipziger Literatur und Szene gedacht, so hat sich das Experiment doch gemausert, und es zu überregionalem Wählerverhalten gebracht. Und so kann der Leser nunmehr nicht nur die Stars vom Ort sondern Autorenstimmen ganz Deutschlands vernehmen.
Kopf und Aufnahmeleiter des Telefonanschlusses ist Steffen Birnbaum, einschlägig bekannt als Mann spitzer Feder und Spiritus Rektor verschiedenster literarischer Kreise und Werke. Erst kürzlich machte er samt Leipziger Literaturkreis mit der Anthologie "Wozu das Verlangen nach Schönheit" (drei-Eck) aufmerksam. Die Tonaufnahmen geschehen unkompliziert im Hotelzimmer oder im Büro oder zu Hause. Inzwischen liegen Originalstimmabdrücke von über 80 Autoren im Archiv. "Das Schönste daran sind die Versprecher, die wir Dank der Technik bei der Einspielung ins Telefon rausschneiden können." Vielleicht sollte Steffen mal als Jubiläumsgag einen Zusammenschnitt des Kauderwelschs laufen lassen? Männer und Frauen des Wortes sprachlos ... Schnipselsalat kommt doch stets sehr gut an.
Wir jedenfalls lauschen offenen Ohres den nächsten Stimmen und wählen stets wieder: (0341) 99 54 171. Wer Genauers erfahren möchte über Pläne, Initiativen und Literatur überhaupt, der schaue auch nach unter www.vs-in-leipzig.de. Und wer sich und seine Litertur reif für diesen quasi Live-Auftritt hält, kann auch dem Verband Deutscher Schriftsteller / Sachsen seine Wortkunst in Ton zuschicken. Vielleicht hört Ihr Euch demnächst selber?

Felicitas weiß, wie man's macht: Männer abzocken. "Die Hochstaplerin" (Goldmann) lebt nicht schlecht vom Betrug. Der Leser kann sich Sympathie nicht verkneifen, lächelt, lacht gar, denn die Tricks der Dame sind außerordentlich durchdacht. Christine Grän, sattsam bekannt für die ermittelnde Journalistin Anna Marx, ist abseits von Mord und Totschlag ein gutes Stück Unterhaltungsliteratur gelungen. Passend zu Kamin und kuschligen Bett.

Länger ging's nicht zu verschieben: Nach zehn Jahren fährt Herr "Icks" (Piper) zu Eltern und Heimat. Allerdings wollen sich positive Gefühle nicht einstellen. Zu tief sitzen die Frustrationen, der Mief der kleinen Stadt, das Unverständnis der Provinzler. Die Zeit ist für Icks gewesen. Endgültig: Nie wieder. Da ist Icks sicher, und so quatscht er sich auf Amerikaflug die Jugend von der Seele. Ralf Bönts Roman ist eine Erzählung. Seine Abrechnung mit der Jugend jenseits aller Metropolen ist gelungen. Und ganz nebenbei haben auch Icks die gutbürgerlichen Werte schon im Griff. Auch wenn er das leugnen würde. Wie wir auch. Vehement.

Frau Verena Auffermann kennt sich aus, denn sie hat herausgeben: "Beste Deutsche Erzähler 2002" (DVA). Mit Superlativen wird nicht gespart und auch nicht mit Namen, die sich im litararischen Gespräch befinden: Moritz Rinke, Antja Rávik-Strubel, Juli Zeh und der andren mehr und mehr. Frau Auffermann beweist: All die Autoren können richtig gute Literatur verfassen. Wenn auch die Unbekannten beeindruckender schrieben als die (vermeintlichen Stars). Bruno Richards postume Liebeserklärung an eine Gattin, wird kein Leser vergessen: Weinen, Lachen, Sterben. Das Beste. Wirklich.

Bereits ihr Debüt verhalf der Autorin zu Popularität: "Die Züricher Verlobung" war ein Kinokassenschlager in den 50er Jahren. "Der Bastian" oder "Drei sind einer zuviel" holte Millionen vor die Fernsehapparate. Barbara Noack ist eine der meistgelesenen Autorinnen deutscher Sprache. Und doch meinen Kulturträger an ihrem Werk den Makel des Trivialen auszumachen. Selbst wenn: "Die schönsten Geschichten" (Bastei Lübbe) sind lesenswert. Sie führen in vergessene Zeit. Des vergangnen Jahrhunderts erste Hälfte wird lebendig. Nicht mit Staatskarossen, Schuld und Sühne. Nein, die Noack schildert Vor-, Kriegs- und Nachkriegszeit bis ins ins Heute aus unspektakulärer Perspektive. Es ist die der Männer, Frauen, Kinder von nebenan. Freuden sind die hausgemachten. Politik ist auch in der Familie wirksam. Geschichten vom Alltag, von uns Normalos. Banal, mag mancher sagen. Wir lesen's grad deswegen gern.

Im Amte geht den Sesselfurzern der "Arsch auf Grundeis" (éditions trèves), denn die Bauaufträge werden unrechtens den Amigos gern vergeben. Nun fuhr einer gegen'n Baum. Tot. Die Tochter-Unternehmerin glaubt nicht an Unfall. Drauf hat's auch sie erwischt. Und Privatdetektiv Mister Icks handelt im Auftrag einer Leiche. Dieter Bauers Krimi von Behördensumpf und Kleinstadtflair liest sich heiter, schnell und überrascht mit einer intelligenten Lösung, die all die Klischees der städtischen Behörden wahr werden läßt. Wenn das Tatsache und nicht des Künstlers Phantasie ...

Großer Tip: Mensch Leni
Da kraucht eine Greisin die Fassade hinan und steigt ein ins Zimmer der Marlene Dietrich. Auch sie 90 Jahre. Leni Riefenstahl ist über den Balkon gekommen, da ja die Aktrice niemand mehr sehen will. Aber Leni muß Marlene überzeugen, in ihrem letzten großen Film zu spielen: "Pentesilea", sonst sind die Finanzen futsch. Die Dietrich muß. Doch so einfach läßt sich der Star nicht überzeugen, zumal die Regisseurin Riefenstahl im 3. Reich mittat mit Parteitagsdokumentationen und anderem Propagandamaterial. Und Marlene, das ist uns bekannt, dem Faschismus kompromißlos entgegen trat. Es wird für Leni R. ein hartes Stück Überzeugungsarbeit. Alte Wunden brechen auf. Demütigungen fügt man sich zu. Und überhaupt: Darf die Filme machen? Wer ist die größere Künstlerin?
Natürlich stieg die Riefenstahl niemals bei Marlene ein. Die Situation ist ausgedacht und Idee des Stückes "Marleni", Autorin: Thea Dorn. Und die ist für ihre unkonventionellen literarischen Sichtweisen bekannt. Mittlerweile ist "Marleni" auf den Bühnen von Montevideo bis Moskau gut drauf (in unseren Breiten derzeit nur in Meiningen), und "Marleni" ist als Hörspiel erhältlich bei Lido. Dort leihen den Diven die Diven Gisela May und Gisela Uhlen die Stimmen. Ein Hörgenuß.
Marleni-Autorin Dorn warf die Kritik vor, die Riefenstahl der Verantwortung für Verbrechen im 3. Reich ganz freizusprechen. Lebte denn die Riefenstahl zeitlebens wirklich nur für ihre Kunst? Thea Dorn meint, "die Filmemacherin sei zwar kein moralisch besonders wertvoller Mensch, ein monströses Verbrechen habe sie jedoch auch nicht begangen", und benennt damit den Angelpunkt der Diskussionen: Ist es möglich, daß die Riefenstahl allein von Adolf Hitler so verblendet war, daß sie die Realitäten Deutschlands in den braunen Jahren gar nicht sah? Kann man die NSDAP perfekt in Szene setzen, ohne zu begreifen, was deren Führer sagten und dann taten? Unbestritten mittlerweile: Riefenstahls Filme setzten Maßstäbe an Bildaufbau, Schnitt und Inszenierung. Noch heute ist diese Arbeit Vorbild und sorgt für Anerkennung, Widerspruch. Rammstein nutzte die Olympia-Bilder für's Video "Stripped" und erhielt einen Grammy. Die Fotos Helmut Newtons (er selbst mußte aus Deutschland emigrieren) zeigen eineindeutig Riefenstahl-Ästhetik. R.W. Faßbinder bat die Künstlerin um Mitarbeit an seinem Film "Querelle". Galerien verkaufen nunmehr ihre Bilder ohne Protest engagierter Bürger. Ihre "Memoiren" standen auf Bestsellerlisten. Leni Riefenstahl ist Mythos. Was ist Legende? Was ist Wahrheit? Wo liegt ihre Schuld?
2002 war Jahr des 100. Geburtstags Leni Riefenstahls. Es nimmt nicht Wunder, daß sich diesem Anlaß auch Verlage und Autoren verschrieben. Jürgen Trimborn hat diese deutsche Karriere gut recherchiert und nennt sie einfach "Riefenstahl" (Aufbau). Soweit Dokumente, Zeugen und deren Aussagen vorhanden, folgt Trimborn den Spuren ihres Lebens und deckt die Widersprüche zur Autobiografie der Regisseurin auf. Frau Riefenstahl, das wird bewiesen, lebt ihre eigene Legende. Selbst wenn Tatsachen anders waren und sind, sie hat nicht ..., sie hat keine Ahnung ..., wenn sie gewußt hätte ... Und der Autor spürt dem Verhältnis der Deutschen zur Ikone nach. War Riefenstahl im Nachkriegsjahren der Buhmann der Nation, weil sie ihre Verfehlungen nie einsah, bis heute nicht einsieht? Warens welche? Wesentlich einflußreichere Gestalter der faschistischen Gesellschaft saßen flott wieder in Chefsesseln und staatlichen Positionen. Der Riefenstahl hat man dies vehement verwehrt. Büßte diese Künstlerin die Verblendung der Masse? Riefenstahls Filmprojekte nach der Hitler-Herrschaft scheiterten allesamt. Sie mußte sich finanziell und räumlich bescheiden (und das nach Geldfluß unlimited auf Führers Geheiß). Schließlich wandte sich die Riefenstahl andren Lebensbereichen zu. Sie entdeckte die Nuba, ein Volk jenseits der Zivilisation. Noch mit 71 lernte sie das Tauchen und fotografierte unter Wasser. In Amerika war's, wo man ihr mit weniger Vorurteil (?) begegnete. Andy Warhol und Mick Jagger und David Bowie fühlten sich von ihr beeindruckt. Trimborns Buch - eine Annäherung zur Person. Tatsachen und Deutungen bringt er zueinander. Wollte die Riefenstahl wirklich den Polenfeldzug Hitlers dokumentieren? Sie folgte auffällig den Spuren des Diktators. Ihre Filme waren parteifinanziert. Sie niemals Mitglied. Wußte sie nie, welche Wirkung es hatte, was sie tat? Sie stand persönlich unter Hitlers Schutz. Goebbels wirklich der Intimfeind, der sie haßte? Fragen. Fragen, stellt das Buch. Fragen, die vielleicht niemals Antwort finden (können).
"Riefenstahl, nicht Blech!" Die Emotionen bei Nennung des Namens haben sich gelegt. Die Diskussionen zu Person nicht. Insofern ist Thea Dorns Theaterstück dran am Puls der Zeit. Trimborns Buch ist es auch. Leni Riefenstahl - ein Name in Deutschland. Riefenstahl - Deutsche und lebende Legende. Riefenstahl - Künstlerin, der zur Stellungnahme fordert.

Küß mich unterm Rattenmond!
2084 geht Euroland endgültig den Bach runter. Jedweder Mensch ist mit einem Chip versehen, so daß Kontrolle überall möglich. Lesen ist nicht. Nicht Kultur. Kein Goethe, Orwell, Stephen King. Und eigenartige Infektionen fordern Tote. Andere Wesen mutieren zu fleischfressenden Monstern, die alles vernichten. Melissa ist Mensch und neun Jahre und wird von ihrer Mutter vor dieser Welt versteckt: Kein Tageslicht. Kein Ausgang. Bildung macht die Mutter selber. Und Melissa liebt die Märchen von den Feen. Aber mit solchen kann man in Euroland nicht überleben.
Autor Gerold Darynger sieht für die Welt schwarz und präsentiert "Zorn Kapitel eins" auf Hörkassette der Giftstachelproduktion. Dies ist ein Unternehmen, wo Engagierte sich bemühen, den Horror akustisch unters Volk zu bringen. Das gelingt. Mit viel Liebe zum Detail werden uns gar unglaubliche, eklige, beängstigende Geschichten erzählt mit allem, was zum guten Horror so dazu gehört. Und Giftstachel hat Humor. Das erste Kapitel "Zorn" ist für Leute unterm Alter neunundneunzig gar verboten abzuhören. Im Jahre 2084 muß das Kunstwerk ohnehin vernichtet werden. Dann ist's vorbei mit Hörgenuß und allem anderen. Auch im Handel sind solch Giftstachelproduktionen eher nicht erhältlich, der Geneigte schaue unter www.ohrhorror.de oder www.666hexen.de nach. "Themen, wo andere aussteigen, machen wir erst recht. Wir hoffen, daß Ihnen das Hörspiel gefällt, und wenn es so ist, hören wir uns wieder." Keine Frage.
Überhaupt empfehlen wir die schwarzen Geschichten von Poe bis King. Mittlerweile hat es die Gattung zu Anerkennung gebracht. Vielleicht nicht so richtig bei den Professoren und anderen Schöngeistern, aber bei uns, den Lesern, Hörern, Kinogängern schon seit Langem. Wir kennen die Namen: HP Lovecraft, Richard Harris, John Sinclair und Clive Barker. Wir kennen die Filme: "Freaks", "Seven", "American Psycho" und "The Ring". Wir hörten gut: "Metropolis" (Random House), "Sechs Gramm Caratillo" (ebd.), "Larry Brent" (BMG) und "Countdown" (Hörzeichen). Nunmehr hat's der Horror sogar in die Lehrbücher geschafft. Der Cornelsen Verlag präsentiert den Band "Klassische und moderne Horrorgeschichten" für die Lehrer aufbereitet, so daß es durchaus möglich wär', auch im Unterricht der Literatur über's Phänomen zu sprechen. Es liegt an Euch, die Lehrer davon zu überzeugen. Tut's.
Daß Scheußlichkeiten nicht nur ausgedacht sind, zeigt die Berichterstattung im täglichen Fernsehn. Daß die Realitäten auch Grundlage der Horrorliteratur sind, bewiesen "Das Schweigen der Lämmer", "The Texas Chainsaw Massacre" oder "Grube und Pendel". Allerdings kommen uns die Autoren nicht mit den Tatsachen an sich. Sie holen mehr aus der Geschichte, damit die uns so richtig unter die Haut geht. Diese Kunst beweist Gerold Darynger auch in anderen Werken. "Das Puppenhaus" belebt den Schlächter der spanischen Inquisition Balazar heutzutage wieder. Notwendig für diese ars necromantia nur sechs menschliche Herzen. Held Marc Lane ist seines Geistes kein Herr mehr und weiß nicht, ist er der Perverse selbst? Er ist es nicht. Aber die Erkenntnis kommt zu spät, Lane ist hingerichtet. "Kuru" ist Weisheit der Guajaki-Indianer und bedeutet: Nur wer die Toten verspeist, dessen Herz klopft nicht vor Überlebensangst. Irinas Eltern gingen im Dschungel verloren, die Tochter muß wissen, was geschah, und so begibt sie sich mit Freunden auf die Expedition. Die Teilnehmer erleben vieles bis hin zum eignen schauderhaften Tod.
Sicher, die Hörspiele der Verursacher Darynger, Blutstern und Giftstachel sind jedermanns Sache nicht. Doch ein jeder wird bemerken, daß die Beteiligten Spaß am Horror und den Produktionen hatten. Detailfreudig, mit vielen Effekten und Musik gefallen diese Stücke und können manch damit Unlogisches im Handlungsverlauf gut überspielen. Und wer genau hinhört wird bekannte Stimmen erkennen. Christian von Aster, Autor des "Horrorlexikon" (Schwarzkopf&Schwarzkopf). Claudia Urbschats hörten wir bereits deutsch als die Stimme von Catherine Zeta-Jones oder Angela-Jolie. Frank Thomas Mende begegnet uns immer wieder in GZSZ und bei diesen Horrorproduktionen. Und alle sind gut drauf auf den horriblen Kassetten der Giftstachel-Produktionen. Wir sind hörbar in banger Erwartung. Wann erreicht uns das nächste Schrecknis aus dem Hause?

Nein, wir haben ihn nie vergessen können: Klaus Kinski. Und nunmehr gilt es ihn anderweitig zu entdecken. Als Sprecher der "Hörspiele" (Random House). Vor gut vier Jahrzehnten waren "Sechs Gramm Caratillo" und "Die Nacht allein" via Ätherwellen zu hören. Jetzt gibt sie's auf cd. Und noch immer läuft einem die Gänsehaut den Buckel runter. Zum einen, weil Herr Kinski spricht. Zum anderen, weil die Stücke hörbar gute Literatur sind. So schaut sich ein Arzt beim Selbstmord zu und stirbt und stirbt und stirbt. Wer da nicht vor der Box klemmt, ist selber schuld.

Es gibt ja so phantastische Welten, die einen nie wieder loslassen. Mehr wollen wir erfahren. Mehr. HP Lovecraft war Erfinder einer solchen dunklen Welt und schuf dem Leser den Cthulhu-Mythos. Und dieser beflügelt noch und immer wieder die Autoren und sie schreiben diesen Mythos fort. "Hüter der Pforten" (Bastei) ist ein solch Kompendium und vereint beste Geschichten der Art. Autoren wie Robert Bloch, August Derleth, Stephen King, Ramsey Campell, ... bürgen für Schrecken bester Tradition.

"Was heißt eigentlich DDR?" (Eulenspiegel). Ja was heißt's denne nu? Gut, daß Matthias Biskupek sich Herz und Feder schnappte und den Nachgeborenen so ein paar Dinge erklärt. Wer kennt noch den Genossen Kossonossow? Generationen haben über ihn gelacht. Der ASK-Trainingsanzug war vor Zeiten ungelitten, heute ist er modisch schick. Und die "Frösi" samt Freund "Wattfraß" hat uns Kinder gut begleitet auf den ersten Leseschritten hin zur "Trommel". Schön an diesem Revival ist, daß Herr Matthias Biskupek die Sache nicht ernsthaft übertreibt. Und bewiesen wird auch mit diesem Druckerzeugnis: Immer wieder kann man alten Sachen neue (Buch)Seiten abgewinnen. Erstaunlich.

Wir sehen ihn noch am 9. November '89 auf der Tribüne: Stefan Heym. Und wir sehen ihn noch Novembers '94 vorm Bundestag sprechen: Heym, den Alterspäsidenten des Gremiums. Und wir sehen anläßlich seiner Worte Politiker den Saal verlassen. Es ist so ein Ding mit der Demokratie und anderen besseren Staatsordnungen. Der Schriftsteller Stefan Heym sprach "Offene Worte in eigener Sache" (btb) und meinte die unsrere. Das nahm man ihm ab, und das nahm man ihm übel. Heyms legendäre Reden und Interviews vereint der Band und portraitiert einen unbequemen Menschen und zeigt uns gewesene Zeit.

Es ist ja echter Sport geworden, daß man sein Wissen allgemein, speziell und öffentlich testet. Und, logo, gerät man auch an Fragen, die einem das Wort im Munde stecken lassen. "Wer wurde 1941 Deutscher Fußballmeister?" Tja, 333 knallharte Fragen hat Christoph Heitmann zusammengestellt zum Thema eins, dem Fußball. Der Fragenkatalog nennt sich dementsprechend "Fußball für Kenner" (Die Muschel), aber auch die Kenner müssen ganz schön Kennung haben um zu richtigen Antworten zu gelangen. Andrerseits, der Zuwachs an Kenntnis ist inklusive: Anno '41 hieß der Meister Rapid Wien. Ehrlich, wer hätt's gewußt?

"Rasputin" (Patmos) ist eine von jenen sagenumwobenen Gestalten, die immer Geheimnis bleiben werden. Unglaublich seine Menschenmacht. Unglaublich seine Fähigkeiten und sein Einfluß. Sein Tod, ein hinterhältig tragisches Schauspiel. Henri Troyat, Meister der Biografie und Kenner des zaristischen Rußlands hat eine Annäherung an den mythisch- und mystischen Meister versucht. Einiges, was damit Tatsache und nicht mehr Spekulation. Ein ungemein spannendes Buch über Menschen, Macht und Geschichte.

Spätestens seit "Der Laden" gesamtdeutsch über die Bildschirme flimmerte, weiß man auch westlich, daß es in der DDR Literatur gab. Sehr gute. Einer jener Autoren, die gelesen wurden, war Erwin Strittmatter. Er hat den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden von Anfang bis Ende begleitet. So bewegte "Der Wundertäter" oder "Ole Bienkopp" nicht nur Leser sondern auch die Politik. Literatur gesellschaftswirksam, kein Kunsteskapismus. Der Zwönitzer Klaus Walther hat "Das große Erwin-Strittmatter-Buch" zusammengestellt und benennt es: "Wie der Regen mit dem See redet" (AtV). Wir empfehlen nicht nur diesen Sammelband. Wir empfehlen Strittmatter gesamt.

Es gibt ja Autoren, die schreiben dermaßen absurd, daß man die wahre Freude dran hat. Daniil Charms ist einer, der behauptet als Kaviar zur Welt gekommen zu sein. Allerdings zeigt seine Biografie die Brüche jener Künstler, die im Sozialismus stalinscher Prägung endeten: Verschwiegen. Dann tot. Bornierte Herrscher haben keinen Sinn für Kunst andrer, neuer Art. Lola Debüser, ausgewiesene Kennerin sowjetischer Literatur, hat all die "Zwischenfälle" (Luchterhand) Daniil Charms' herausgegeben. Ein nicht nur literarischer Hochgenuß. "Auf den Tadel: 'Sie haben einen Rechtschreibfehler gemacht', antworte: 'In meiner Rechtschreibung sieht das immer so aus.' Dem haben wir nix hinzuzufügen, wir schreiben selbst. Nur wollen wir nochmals hier hingeschrieben haben: Lesen!!!

Daß Renate Feyl eine einfühlsame Erzählerin ist, hat sie längst bewiesen. Und Renate Feyl hat Talent, uns Zeiten lebendig zu machen. "Die Stunden des profanen Glücks" (Diana) führen in die Salons der Goethezeit. Wobei nicht die klassischen Herren Schiller, Herder oder Wieland die Helden dieses Buches sind. Erzählt wird das Leben der Sophie von La Roche. Eine bemerkenswert eigenständige Dame, schrieb sie doch 1771 den ersten deutschen Frauenroman, gab eine Zeitung heraus, die gar Katharina die Große im fernen Rußland las. Sophie wurde Mutter und dann die "Großmutter der Brentanos". Wer Persönliches von Schriftstellern und der Zeit erfahren möchte, dem geben wir diese Empfehlung.

Wir sagen: Monster. Und trotzdem sind es Menschen. Jürgen Bartsch mordete bestialisch Jungen. Deutschland war fassungslos und schrie nach Rache. Der Journalist Paul Moor berichtete im Jahre 1966 vom Fall nach Übersee. Angelegentlich stellt er auch dem Mörder Fragen. Und Jürgen Bartsch faßt zu Moor Vertrauen. "Selbstbildnis eines Kindermörders" (Rowohlt) ist das erschütternde Portrait eines jungen Mannes, dem Neigung und ihre Verleugnung das Leben in der Gesellschaft nicht mehr möglich machten. Bartsch starb bei der gewollten Kastration. Nicht wenige, die dem Monster den Tod gewünscht hatten. Und trotzdem: Jürgen Bartsch war Mensch. Die Dokumentation erschüttert.

Kleiner Tip: Leipzig ohne Helden
Sie stand. Sie steht nicht mehr. Sie sollte stehen - Leipzigs Kirche St. Pauli erregt die Gemüter. Rudolf Scholz erzählt von jener parteilichen Administration, die im Jahre 68 das Gotteshaus zum Einsturz brachte. "Leipzigs letzter Held" (Dingsda) hieß Hans-Georg Rausch und sagte als Einziger im Stadtrat: Nein! Damals hat man's ihm nur heimlich gut gerechnet. Nach der Wende war er Held. Bis ..., ja bis die Akten des Ministeriums Stasi bewiesen, der Held persönlich bespitzelte Jahrzehnte nächste Menschen. Und deshalb erzählt Rudolf Scholz nicht nur vom Fall der Unikirche, sondern er erzählt vom Leben des eigenwilligen Pfarrers. Hans-Georg Rausch trat mit seiner Gemeinde aus der Behörde Landeskirche aus und pflegte ein eigen Verhältnis zu Gott und Glauben. Und deshalb vollzieht das Buch im kleinsten Detail diesen unglaublichen Fall der Verweigerung nach. Das rächt sich spannungsmäßig, denn ein wenig mehr Publikum interessierende Geschichte hätte der Autor schon schildern können. So kommt das tatsächlich Spektakuläre vergleichsweise kurz. Aber trotzdem, das Buch gibt einen anderen Einblick ins Verhältnis Sozialismus-Kirche-Staat, und es schildert den Menschen Rausch, der sich zwischen Aufbegehren und Anbiederung irgendwann selbst verlor. Ein exemplarisches Schicksal? Man sehe sich um und frage sich. Wer eignet sich zum Helden wirklich?

Großer Tip: Erzählt, wie ihr gestorben seid und sterben werdet
Ruprecht Haas ist am Lebensende. Seinen Peinigern im KZ entflieht er. Er durchwandert Bombennächte. Er liquidiert erbarmungslos die Mörder seiner Familie. Ruprecht Haas ist nicht mehr Mensch. Aber wer ist ein solcher noch in den letzten Tagen des Weltkrieges II.? Die Helden der Gestapo und SS sind klein, nicht laut, und versuchen selbst das Überleben. Die Verhaftung des Mörders Haas kann nicht gelingen. Vielmehr erlebt dieser seine wundersame Auferstehung als anderer Mensch und wird dann Held im neuen Deutschland.
Faschismus gewöhnlich zu erzählen, war selten und ist nun möglich. Richard Birkefeld und Göran Hachmeister schildern die Zeit des Dritten Reiches belletristisch und profund: "Wer übrig bleibt, hat Recht" (Eichborn). Bislang erreichten uns aus dieser dunkel-deutschen Zeit vornehmlich Kunstwerke propagandistischen Inhalts. Die Autoren arbeiten im Roman die Geschichte deutschen Alltags auf. Von Hause aus sind beide Herren Historiker akademischen Grades. Es erfreut, daß dem Gespann Birkefeld/Hachmeister ein spannendes und beeindruckendes Debüt gelungen ist. Nicht nur im Kriminalfall, auch im Umfeld ist es stimmig. Und man fragt sich bestürzt: Was nützt die Überführung eines Mörders, wenn vor Ort Tausende umgebracht werden?
"Vormittags waren Herr L. und Frau F. aus der Pfauengasse zu mir in den Dom gekommen. Er hatte seine tote Frau, sie ihren toten Mann und wollten sie bestattet haben. Herr L. trägt den Leichenrest seiner Frau in einem Sack, Becken mit einem Stück Wirbelsäule und Ansätzen der Oberschenkel. Frau F. trug ihren Mann in einem Einwecktopf." Das ist der Bombenangriff wirklich. Historiker Jörg Friedrich hat ebenfalls Tabu gebrochen. "Der Brand" (Propyläen) schildert Deutschland unter Bomben. Bis dato hörte man es nicht so gern, daß deutsche Zivilbevölkerung aliierten Mordkommandos zum Opfer fiel. Die flächenmäßige Ausradierung der Großstädte samt darin befindlichen Menschen sollte bislang irgendwie als gerechte Strafe interpretiert werden: Wer andre mit Krieg überzieht, darf sich nicht wundern, wenn der Angegriffene zurückschlägt. Deutsche, selber Schuld! Autor Friedrich benennt diese Angriffe als das, was sie waren: Strategisch nicht notwendig. Allein auf Demoralisierung zielend. Ein Verbrechen? Legitimiert?
"Dort waren alle Lazarette mit Erfrierungen überfüllt, die Ärzte amputierten Tag und Nacht, sahen aus wie die Metzger. Ich gründete eine Musikschar, und wir versuchten die armen Kameraden aufzuheitern - und schämten uns dabei unserer Gesundheit. Um Optimismus auszustrahlen, brauchte man Kraft, aber wieviel davon brauchten die tapferen Kriegspfarrer, die von einem Sterbenden zum anderen eilten, letzte Wünsche und Briefe entgegennahmen, die Konfession spielte keine Rolle mehr." Worte eines Wehrmachtsoffiziers am Heiligabend 1941. Walter Kempowski nennt sein Projekt vom Alltag der Kriegsjahre "Das Echolot" (Albrecht Knaus). Kempowski, ausgewiesener Autor mit Geschichtserfahrung, sammelte Briefe, Meldungen, Erinnerungen, Dokumente für jeden einzelnen Tag des Krieges. Jüngst erschienen "Barbarossa '41". Auch wenn manches wie schlimmste Phantasie anmutet: Es ist gewesen. Wirklich Weihnacht 41: "In der Schwetzow Straße 56 fanden wir in einem zertrümmerten Haus in einem Zimmer eine tote Frau auf dem Bett liegen. Sie hieß Belowa. Ihr Mann war auch an der Front. Ihr anderthalbjähriges Kind war noch lebendig. Es rutschte auf ihr herum, nahm ihre Brustwarzen in den Mund und saugte gierig an ihnen. Das war schrecklich. Es war nichts zu machen, auch dieses Kind habe ich mitgenommen ..."
Es sind andere Worte, die nach fünfzig Jahren Deutschlands Krieg beschreiben. Gelassener. Kritischer. Diskussionen werden zugelassen, sind erwünscht. Menschen, die braune Zeit und Krieg erlebten, leben nach einem halben Jahrhundert kaum mehr. Vielleicht deswegen ist der Krieg in all seinen Grausamkeiten, Brutalitäten, Perversionen auf dem Buchmarkt erhältlich dokumentarisch, auch mit belletristischer Handlung.
Belletristik wird synonym als schöngeistige Literatur bezeichnet. Auch die Romane vom und aus dem Krieg sind solche. Einen schönen Geist würde ich Menschen, die Kriege befürworten und planen, nicht bescheinigen wollen, auch wenn sie lesen. Vor allem ihnen aber würde ich die Lektüre dieser Bücher anempfehlen, damit die Handelnden wissen, wie sie Schurken und Staaten und Menschen behandeln wollen. Wir sollten diesen deutschen Alltag nie vergessen und alles dafür tun, daß dies nie wieder Alltag wird. Nirgendwo auf der Welt! Nirgendwo!

Kleiner Tip: In der Gesellschaft des Todes
Anatoli Pristawkin berichtete in seinem erschütternden Buch "Schlief ein goldenes Wölkchen" (antiquarisch) über Benachteiligte der Sowjetgesellschaft. Die moralische Integrität des Autors mag Grund gewesen sein, ihn als Chef der Begnadigungskommission beim Präsidenten Rußlands zu berufen. Pristawkin und Kollegen hatten zu entscheiden: Stirbt der Verurteilte? Bleibt er in Haft? Zehn Jahre sagte Pristawkin zu Menschenleben Ja und Nein. Seine Erfahrungen, Erlebnisse, Begegnungen hat Pristawkin aufgeschrieben, auch um sie sich von der Seele zu reden. Entstanden ist ein Zustandsbericht russischer Gegenwart. Zu Hoffnung gibt er keinen Anlaß. Menschen vegetieren. Menschen werden verachtet, erniedrigt, gequält. Es ist ein Kreislauf: Saufen, Stehlen, Saufen, Morden, Saufen, ... Kaum einer, der sich daraus befreien kann. Und eine Gesellschaft die zuschaut und verdrängt, in der Menschen und Leben nicht viel zählen. Dieser Kreislauf, er scheint seit Zarenzeiten unabänderlich. Nicht wenige Verurteilte, die eine Begnadigung verweigern: "Ich flehe um Hinrichtung" (Luchterhand) bitten Totgeweihte um schnelles Sterben, denn der Strafvollzug verlängert nur Qualen. Die Begnadigungskommission hat ihre Arbeit eingestellt. An russischen Verhältnissen hat sich nichts geändert.

"Alle hier geschilderten Figuren und Ereignisse sind Produkte der Fantasie. Aber ich fürchte, daß die Wirklichkeit den Roman überholt." Eine junge Türkin wird von radikalen Rechten vergewaltigt, abgebrannt. Die Polizei ermittelt recht und schlecht. Das TV-Team Pegasus ist auf der Spur. Autor Reinhard Junge meint es ehrlich. Trotzdem: "Glatzenschnitt" (grafit) ist voll mit politisch korrekten Klischees. Rechts = böse, dumm, brutal. Polizistenchefs meist blind, das Fußvolk engagiert. Türken verteidigen noch immer Ansichten des Mittelalters. So einfach darf das Leben nur im Krimi sein. Der Slogan "Kunst ist Waffe" scheint überholt noch nicht. Wir enden mit dem guten Gefühl, Sympathie für die richtigen Personenschablonen zu haben. Wirklich, so glasklar die Fronten?

So "anders" (eva) sind sie nicht, die Jette Maus, der Pierre, Hazem oder Ich. Meist sind es Frauen, die erzählen oder Briefe schreiben auf der Suche nach dem kleinen bißchen eignen Glück. Roswitha Geppert ist uns seit langem bekannt als feinfühlige Beobachterin des scheinbar Alltäglichen, das bei genauem Blick so alltäglich nicht ist. Und so ist dieser Band mit ihren Erzählungen nur scheinbar unspektakulär, gewöhnlich. Wunderbar, welche Geschichten uns widerfahren. Nur schreiben wir sie nicht auf. Eigentlich schad irgendwie. Aber Dank Roswitha Geppert können wir lesen und Jette, Hazem, Ich nachfühlen, wie es ist mit unsren Wünschen an das Leben.

Das ist ein Ding! Gunhild denkt über ihren Günter nach und, pardauz, landet sie im Mittelalter. Priester Grimoald liest die Zeitversetzte auf und bindet sie ein in die Christianisierung der heidnischen Sachsen. Klar kommt Gunni in Konflikte mit der Religion, den ungeschlachten Menschen, mit der Liebe. Kari Köster-Lösche lehnt sich an die Historie an und verkauft uns nun "Das Blutgericht" (List). Bei aller Recherche der Details blickt die Autorin reichlich naiv auf die Vergangenheit. Erstaunlich problemlos paßt sich Heldin Gunhild vergangnen Lebensweisen an. Erstaunlich harmlos gehen alter, neuer Glaube, Reiche, Arme miteinander um. Die Fakten der Geschichtsbücher berichten anderes. Aber warum sollt man nicht eine schöne und phantastische Mär von alten Sachsen lesen? Und die Autorin hat versprochen, noch mehr an Geschichte weichzuspülen. Eine Drohung?

Von Mary Shelley kennen wir den Namen eines Buches: "Frankenstein" (u.a. dtv). Der Manesse Verlag, Zürich, entdeckt uns Lesern (erstmals) weitere Glanzstücke der Autorin. Ein Lebemann begreift im Bunde mit dem Teufel erst den Ernst des Lebens und der Liebe. "Die Trauernde" sehnt sich nach Tod und Untergang. Außerdem diskutiert man im französischen Königshaus die Frage: Wer bricht die Treue eher? Mann oder Frau? Romantische Geschichten einer Autorin, die zu Unrecht im Schatten ihres Mannes Robert Shelley, der Freunde (u.a. Lord Byron) und ihres Frankenstein steht. Sie gilt es zu entdecken. Tut's!

Thor Kunkel ist einer jener deutschen Literaten, über die man zu Recht spricht. "Brief an Hanny Porter" (Rowohlt) ist eine Farce schwärzester Farben. Die Alten greifen zu drastischen Mitteln und nehmen sich den Luxus, der ihnen bislang vorenthalten ward. Der Alptraum trifft die Generation Ally unerwartet hoffnungslos. Ein brillantes Stück Literatur. Autor Kunkel wird gesprochen. Die cd legt Wortwerk vor. Die Stimmen Andrea Sawatzkis, Rosemarie Fendels, Traugott Buhres und Christian Berkels machen Grauen und den Aufstand der Alten perfekt. Empfehlenswert.

Frau Dagmar Scharsich erzählt uns eine kleine Geschichte von Wehrmacht, Sowjetarmee und persönlicher Schuld. Das sagenhafte Wünsdorf ist die "Verbotene Stadt" (Ariadne), in der Lilli Lukas Ihre Mutter, ihre Kinder und ihre Migräne verliert. Einen Vater findet sie und einen Schatz. Ansonsten wird viel Tee getrunken, engagiert gestritten, und ein glückliches Ende der Begebenheit vorbereitet. Frau Dagmar Scharsich erzählt uns die kleine Geschichte ohne Überraschung auf gut halbtausend Seiten. Wer hat die Geduld und wartet den vorhersehbaren Ausgang ab?

Großer Tip: Schule des Revolutionärs
Es war ja nicht immer so schick, sich seines Namens zu bedienen: Ernesto Che Guevara. Engagierte Lehrer, Schüler haben ihn sich ehedem von Partei- und anderen Leitungen hart, sehr hart erkämpft. Dresdens POS Nr. 94 auf der Altenberger Straße 83 trug den Namen stolz übern Portal. Natürlich: Commandante Che hatte was von auf der richtigen Seite stehen, aber unangepaßt, mit eignem Stolz und Kopf und Willen. Alte wie neue gesellschaftliche Ordnungen wollen sich nicht unbedingt auf den Mythos Che Guevara berufen. Im Kinderzimmer mag er sich ja gut machen, aber öffentlich? Schwuppdiwupp entledigte sich die 94. Oberschule ihres ertrotzten Titels und rottet seitdem namen- wie gesichtslos vor sich hin. Städtische Ämter haben die Schließung der Bildungsstätte veranlaßt. Die revolutionäre Vergangenheit des Gebäudes haben sie nicht in Rechnung gestellt. Warum auch.
Am 14. des Monats Juni (oder war es doch im Mai?) ward die Person zur Legende Che in Rosario, Argentinien, geboren. Zum 75. Male jährt sich heuer dieser Tag. Auch deshalb ist Che in den Medien präsent. "Der Traum des Rebellen" (Rütten&Lening) wird auf gut 250 Seiten Buch nachvollzogen. Das Essay zu den Fakten verfaßte Matilde Sánchez. Notgedrungen bleibt es unvollständig, reißbrettartig. Denn die Herausgeber des Bandes haben Augenmerk auf Augenmerk gelegt: Ein Fotoband, der die Stationen des legendären Lebens nachvollzieht. Ernesto auf dem Topf, mit Eltern, unter Freunden. Der Student der Medizin lachend am Sektionstisch, sinnierend auf dem Balkon, auf Exkursion übern Kontinent. Der Lover und Gatte mal sexy hingeräkelt auf dem Bett, mal traut mit Frauen im Gespräch. Der Guerillero Che in Kuba, Prag, Bolivien. Der Politiker vor der UNO, in Moskau, im TV. Ernesto unerkennbar mit falscher Identität. Letztlich: Der Tote als Ikone ... "Nur der am empfindlichsten gewesen ist, kann der Kälteste und Härteste werden, denn er muß sich mit einem harten Panzer umgeben ... und oft wird ihm selbst dieser Panzer zur Last." Wir sehen die Biografie eines Mannes mit Lust am Leben und Idealen. Den Bildern hinzugegeben sind Zitate von Weggefährten, Freunden, Philosophen. "Che erinnert uns an das, was wir schon seit Spartakus wissen und doch manchmal vergessen: die Menschheit findet im Kampf gegen die Ungerechtigkeit die erste Stufe, die sie erhebt, die sie besser macht, die sie menschlicher macht."
Che lebt. Nicht nur auf Kuba. Sein Mythos, weidlich ausgenutzt in Werbung (gar ein englisches Bier seines Namens wird gebraut) und Unterhaltungsindustrie, mißbraucht zu Politik und Klassenkampf. Sein Mythos zur Unkenntlichkeit verkommen. Che lebt. Karin Ceballos Betancur begab sich "Auf Che Guevaras Spuren" (Picus) seiner Lateinamerikanischen Reisenotizen - "Latinoamericana" (Kiepenheuer-Witsch). Die ausgezeichnete Journalistin, Jahrgang 1972, war an den Orten, die Che mit einem Freund besuchte, fünfzig Jahre nach dem Original. Sie suchte/fand Menschen, die Che in Wirklichkeit begegneten. Sie sah die Häuser, Straßen, Städte gegenwärtig. Sie vergleicht. "Jenseits der allgegenwärtigen Ikonografie sind die Hinweise auf das gelebte Erbe Che Guevaras heute vor allem im Protest spür- und erlebbar, dem Karin Ceballos Betancur bei allen lateinamerikanischen Stationen ihrer Reise begegnet. Ihre eingehenden Beobachtungen bilden Miniaturen, die sich zu einem Mosaik der politischen Realität eines Kontinents zusammenfügen, der an den Rand westlicher Wahrnehmungswelten gerückt ist, seit subtilere Unterdrückungsmechanismen an die Stelle brutaler Diktaturen getreten sind." Auch so kann Journalismus sein: menschlich, engagiert, kritisch.
Sicher: Auch diese Bücher nur Bruchstücke einer Biografie und der Wirkung eines Menschen. Sicher: Auch diese beiden Bücher lassen den Mythos weiterleben. Bemerkenswert: Beide Bücher suchen hinter dem Idol den Mensch. Sie bleiben wahr.
Authentisch sind die Worte Ernesto Che Guevaras selbst. Seine Reden, Tagebücher, Ansichten sind in mehreren Varianten erhältlich. Die "Ausgewählten Werke in Einzelausgaben" erscheinen derzeit im Hause Pahl-Rugenstein Nachf. Biografien lesbar schrieben Paco Ignacio Taibo II (Nautilus) und Jon Lee Anderson (List). Es lohnt, dem Menschen Ernesto Guevara, genannt Che, zu begegnen. Außer im Buchhandel begegnet man dem Namen des Rebellen kaum. Außer es finden sich Engagierte, die ihn einer Obrigkeit abtrotzen: Sei es für Kindergarten, Schule, Kulturhaus. Es wäre Zeit. Dresdens Altenberger Straße Nr. 83 hat Namen und Geschichte abgelegt. Beides muß sich keiner schämen.

Die klassische Literatur hat's ja in sich. Auch an historischen Fakten, die dann im Werke manchmal nicht stimmen, alldieweil die Autoren recht freien Umgang mit der Geschichte pflegen. Friedrich Schiller war solch Mann, der zu Gunsten des Dramas der Wahrheit künstlerisch nachhalf. "Die Jungfrau von Orléans" war 19 Jahre jung, Kriegerin in göttlicher Mission und wurde öffentlich verbrannt. Im Jahre 1920 ward sie heilig gesprochen. Ihr tatsächliches Schicksal und "Der Prozeß der Jeanne d'Arc" (dtv) in all seinen Verfahren ist dokumentiert. Die Protokolle geben Sprache und Bild unglaublicher Zeit. Lesenswert nicht nur für Interessierte an Gericht und Geschichte.

Es existieren Menschen, die sind sehr schön an Gestalt, aber bös in Seele und Gebaren. Ditlev Joenson ist solch Exemplar, und desterwegen verendet er übel zugerichtet in der Sandburg. Viele seiner Weggefährten hätten Grund, ihm das Gesicht zu zerschlagen. Und so fällt es den Ermittlern gar nicht leicht, einen Täter zu überführen. "In den Sand gesetzt" (grafit) hat Kirsten Holst ihren Krimi mitnichten. Aus Skandinavien entern stets wieder beste Autoren unsere Buchtische. In Dänemark sind die Romane der Holst Bestseller, Amerika gar hat ihr den Edgar-Allan-Poe-Preis verehrt. Vergnüglich die Motiv- und Mördersuche, genau die Unterhaltung, die für längere Abende am Kamin paßt.

"Die Nation erinnert sich" (C.H.Beck), weil ein Volk Geschichte hat. Und so stehen vieler Orten in unsrer BRD jene Male, Bauten, Hallen, die an vergangne Zeit gemahnen: Siegessäule, Völkerschlachtdenkmal, Bismarck-Turm, Walhalla ... Orte, die uns nicht nur Städte sind/sein sollten: Buchenwald, Dachau, Ravensbrück ... Deutschland fällt der Umgang mit Geschichte nicht so leicht wie anderen Nationen. Ulrich Schlie ist Historiker und sein Buch ein Geschichtsbuch ganz anderer Art. Damit kann man die Vergangenheit für sich neu entdecken, und allemal lebendiger als in Unterricht und Vortrag. Geschichte ist begreifbar, nicht bloß(e) Theorie.

Sechs Schwule und ein Ehepaar auf einem Bauernhof. Bereits am ersten Morgen ist der Markanteste der Homos umgebracht. Sein Mörder, klar, der einzig heterosexuelle Mann. Aber so einfach liegen die Dinge nicht im Roman von Markus Dullin. "Schwarzlicht" (Quer) ist ein Psychokammerspiel, wo nach der Untat die Charaktere aufeinanderprallen. Seelenstriptease mit fatalem Ausgang. Dem Autoren ist ein beachtliches Debut gelungen, und es wird bewiesen, daß in jedem Helden Abgründe lauern. Mit Bangen denk ich an die M/meinen. Allerdings, und das ist schad, wird manch Klischee im Buch zuviel des Guten strapaziert. Wir rechnen's dem Autoren nicht schlecht, sondern warten auf Nächstes seiner Feder.

Männer gibt's, die nutzen Frauen aus. Solch Typ ist Jock alias Jeff oder Jerry, er spielt Liebe und nimmt den Damen alles Geld. Dumm nur, Jock hat auch eine Gattin, und die möchte in die Politik einheiraten. Es ist eine beinah alltägliche Geschichte, die der Blanvalet Verlag "Der Liebesbetrug" nennt und damit viel vom Witz des Originaltitels nimmt. Aber das ist nebensächlich, denn Autorin Ruth Rendell ist erneut beste Literatur gelungen. Man fragt sich ständig, wie weit ist man im eignen Wahnsinn selbst schon angekommen. Das Buch muß nicht empfohlen werden, der Name der Autorin bürgt für Qualität, Faszination und psychologischen Anspruch. Für diese Art Literatur hat gar Queen Elisabeth II. Ruth Rendell geadelt. Zu Recht.

Im Moment emotionslos: Stephan Valentins kleine Höllen und große Lieben
Sahra hat drei Zöpfe und Wut. Jonas ist von diesem Mädchen fasziniert, scheint Sahra doch keinem Zwang zu erliegen, was ihr nicht paßt wird abgestraft. Sahra handelt. Auch mit Gewalt. Jonas dagegen ... aus heitrem Himmel nahm ihn die Mutter mit auf's Dorf. Sie hat es mit Mann nicht mehr ertragen. Die Oma vor Ort will von Jonas nix sehen, merkt nicht einmal, daß er auf dem Klo hockt, als sie sich zum Pissen hinsetzen will. Auch die andren im Dorf halten Abstand. Und Mutter? Die hängt über Kurz schon bei einem neuen Mann in Armen und Bett. Das ist nun Leben? Jonas' Frust muß irgendwie raus. Auch an andren Lebewesen. In jenem Moment kommt Sahra vorbei, und die setzt sich durch gegen alle Widerstände. Jonas ist tief beeindruckt und folgt.
"Der Ameisenfeind" (Pfefferkorn) ist eine kurze Kindergeschichte mit logischem Schluß. Ohne jeglichen Schnörkel erzählt Held Jonas sein Qual und sein Quälen. Schwer erziehbar würden machtlos Behörden und Ämter über den Jungen vermerken. Nach außen hin ist Seele bei Jonas nicht feststellbar. Unsere Vorurteile gegenüber solch Jungen stehen fest. Diese allerdings können wir bei dieser Lektüre länger nicht aufrecht erhalten. Es ist doch ein Kind, das gerade zerbricht, zerbrochen wird. Ein Kind. Stephan Valentin ist mit dieser Art Prosa ein Kunststück gelungen. Wir Leser sind Jonas, Distanz zum Helden ist uns nicht möglich. Aus der Sicht nur des Kindes wird der Weg in die Katastrophe gezeigt. Der Autor verurteilt nicht, er beschreibt. Emotionslos. Was in Wirklichkeit vorgeht und in Jonas Kindskopf, damit bleiben wir Leser allein. Kein Kommentar.
Autor Stephan Valentin schreibt derzeit an seine Doktorarbeit über Schlafstörungen beim Kleinkind. Studiert hat er in Paris u.a. die Gewerke Schauspiel und Psychologie. Er arbeitete im Elend von Bombay und der Elfenbeinküste, jetzt in einem Pariser Kinderkrankenhaus. "Der Ameisenfeind" ist sein literarisches Debut. Beachtlich in Thema und Sprachbeherrschung. Stephan Valentin verläßt nie die Perspektive seines Protagonisten, was wir denken, denkt nicht der Held. Eine andre Art Spannung und Diskrepanz zwischen Leser und Buch. Ohne Gefühsschablonen und -duselei schildert Valentin die Momente. So was wie Jonas passiert jeden Tag nicht nur einem Kinde, wir gucken wissentlich und unwissentlich drüber weg. Valentin zwingt unsren Blick hin, Flucht ausgeschlossen. Nicht die leichteste Art Literatur. Doch warum sollte es uns Literatur auch genehm machen? Solch leichtes Schriftum veröffentlichen zur Genüge Verlage, die um beste Verkaufsziffern kämpfen. Rappelvoll damit sind die Wühltische der Belletristik. Stephan Valentins Art der Prosa ist selten und nicht eben marktüblich. Für seine Kunst hat Stephan Valentin den Bettina von Arnim-Preis erhalten. Glückwunsch. Preise gehören Geschichten, die uns Leser ergreifen, mitnehmen, nicht den gedrechselten Etüden à la Literaturistitut, Leipzig.
"Vielfarben" (Pfefferkorn) nennt Valentin sein Werk No. 2. Kürzest Geschichten von Alten und Jungen, von Lieben und Frust, von all den Kleinigkeiten enormer Bedeutung. Da ist "Eliah, fünf Jahre", der reich vernachlässigt kurz nur Vertrauen zum Au Pair-Buben findet. Eine Frau liebt und hat einen Freund, der mit Männern auch schläft. Der Nachbar ohne mitfühlendes Wort hat persönlich böse Vergangenheit. Darüber aber spricht er nicht, und die Gesellschaft will's von ihm nicht wissen. Im umnebelten Zustand ist die Lust auf Sex groß, "Claire etc." sie tun's ohne Fragen. Valentin schildert Situationen, die kaum nachvollziehbar erscheinen, aber uns wieder und wieder begegnen. Auch bei dieser kürzesten Prosa schafft Stephan Valentin Bilder eindringlicher Prägnanz. Ihn interssieren nicht die heldischen Helden, die Manager und Macher. Valentins Protagonisten sind die Unscheinbaren, die im Abseits, die, die wir kaum bemerken. Nur manchmal läßt uns das Leben und die Literatur keine Chance, und wir werden mit der Nase in Elend gestoßen. In das der Mitmenschen, auch in das eigne. Da hat Lesestoff Geschichte, Wirkung und Potenz. Stephan Valentin versteht's meisterlich, uns seine Figuren in Gedächtnis und Gefühl zu schreiben. Mancher der Helden läßt uns einfach nicht los: Wie jener Junge, der hat einer sein Alter vergessen, all den Zwang, all die Schläge der Eltern. Abgeschlossen hat er mit der Welt. Nur Tauben sind ihm Freund und Hoffnung. Doch "Der Taubenturm" liegt eines Tages blutrot leer. Der Vater kommt wieder und mit ihm Gewalt. Auch die Mutter. Ohne Erbarmen. Ohne Ausweg? Selten war der Horror Kindheit so präsent. Erschütternd.

Tip: Film Lesen, gar Schreiben
Ja, das fasziniert. Man sieht man die Stars die Lippen bewegen. Der Herr Regisseur hockt derweil auf einem Stuhl rum und schreit. Der Kameramann verrenkt sich für beste Bilder. Und über allem ein baumelndes Mikro. Und wir sitzen dann im Kino drin und schauen, schauen und träumen. Daß Film ein hartes Handwerk ist, sieht man den kunstvollen Werken kaum noch an. So leicht und so schön sind die Leinwände voll. Hinter dem Schein steckt oft mehr, als wir vermuten, das ist gewiß.
James Monaco hilft uns beim "Film verstehen" (rororo) und nimmt uns mitnichten die Faszination. Aber von gehört zu haben, das beeindruckt. Monaco erzählt von Filmgeschichte und von den Geschichten im Film. Er zeigt uns die einfachen Tricks mit großer Wirkung. Er übersetzt uns filmische Sprache. Und Monaco beweist letztlich: All diese Traumjobs sind harte Arbeit. Aber mit diesem Blick hinter die Kulissen erfahren wir auch Kunst und Geschichte: Vom ersten Versuch, Filme zu drehen. Von Stummfilm und expressiver Schauspielkunst. Realismus, Neorealismus, Hollywood gegen den Rest der Welt. Namen der Filmgeschichte werden nicht nur genannt, sie werden vorgestellt in Werk und Wollen. Und geht man nach der Lektüre ins Kino, sieht man nicht nur mit dem naiven Blick, sondern sieht auch die Kunst hinter den Bildern. Das hat was. Durchaus.
Nun mag es ja sein, daß man nicht nur Zuschauen möchte, sondern verspürt so den Drang, selber Filme zu machen. Dazu gehört, klar, ein richtig gutes Buch für den Dreh. Und man hat sich weiß Gott sehr oft schon geärgert, was Autoren für'n Scheiß schreiben, der auch noch gefilmt wird. Da hätte man viel bessre Ideen. Das mag sein, aber damit sind noch lang nicht die eigenen Filme auf dem Papier, denn wie zu einem jeden Job, gehört auch zum Filme-Schreiben Handwerk. Burkhard Driest hat nach bewegtem Leben zum Film gefunden, kennt sich aus in diesem Metier und verfaßte die Anleitung zum "Drehbuchschreiben" (2001). Wichtig ist für Driest in erster Hinsicht: Publikum. Also wir. Sicher, der Ratgeber enthält viele sehr nützliche Tips für Verfasser, enthebt jedoch keinen, sich professionell um einen Abschluß zu bemühen. Denn wie sagt ein Meister: Bei allem Talent, der Erfolg ist zu 80 Prozent knallharte Arbeit. Wohl wahr.
Einer, der selbst Filmgeschichte, heißt Ingmar Bergmann. Mit jedem nur denkbaren Preis wurden seine Werke geehrt. Und zu Recht. "Persona" sind zwei Frauen, die so ihre Identität verschieben, daß sie letztlich die andere sind. "Szenen einer Ehe" war Skandal und Emanzipationsdrama zugleich. "Fanny und Alexander" ist bewegende Familiengeschichte in vergangener Zeit. "Im Bleistift-Ton" (2001) ist ein Werk-Portrait des genialen Künstlers. Renate Bleibtreu versammelt nicht nur Drehbücher, Aphorismen und Daten. Bergmann wird als Künstler und Person nachvollziehbar und lebendig. Nicht nur für Filmfreaks ein Muß und anspruchsvolle Lektüre.
Manchmal möchte man einfach mehr erfahren über'n Fim und blättert gern nach dem. Zum einen greift man zum Buche, auf welchem der grandiose Film basiert. "Begierde" war ein perfektes Vampirmärchen mit der Deneuve und David Bowie. Tony Scott verfilmte Whitley Strieber, und "Der Kuß des Todes" (Goldmann) liegt uns nachlesbar bereit. Hanif Kureishi erweist sich stets wieder als Autor großer Filme. Seine letzte Provokation heißt "Intimacy" (rororo) und beschreibt Lust ohne Verpflichtung. Diskussionsstoff allemal. Gar verbieten wollte man Oliver Stones "Natural Born Killers". Dummheit hat nicht gesiegt, wir sahen und lachten. Jane Hamsher beschreibt nun die wahre Geschichte des Filmes, denn auch dessen Entstehen war mitnichten komplikationslos: "Killer Instinct" (AtV). Und wenn man überhaupt erfahren möchte: Wer war's, wer spielte, worum ging's. Zu diesem Behuf eignen sich einschlägige Lexika. Grad erschienen und im Umfang beeindruckend sind "Tatort - Das große Buch für Fans" (Schwarzkopf & Schwarzkopf) sowie aus gleichem Hause "Das neue Lexikon des Horrorfilms". Wow! Wer kennt all die Beteiligten beim "Fluch der schwarzen Schwestern", "Freaks" oder "Nekromantik"? Neben dem abendlichen Fernsehsessel ist das Nachschlagwerk gut aufgehoben, ein Griff und man erfährt die wichtigen Details, die man im Vorspann übersah. Denn Film ist nicht nur schnödes Hin und Gucken, Film ist mehr. Nur: Man müßt von wissen.

Verantwortlich für reihenweise Mord: Lisa Kuppler macht Krimis besser und leiht Prominenten ihre Feder
So kann's einen gehen. Geburtstag, und dann wird einem getreu des Sternbilds 'ne ganze Menge überreicht: Handbücher für guten Sex und guten Haushalt, Tassen. Mouse-Pats und Romane. Von herzigen Glückwunschkarten abgesehen. Genau solch Geschenke wurden Lisa Kuppler dargereicht: Waage, Aszendent Krebs. Der gemütliche Abend hatte sein Thema und eine Idee: Warum aus dem Sternbild keine Anthologie zusammen stellen? Krimi natürlich. Und inter/national mit der Creme der Autoren: Jerry Oster, Tony Fennely, Gunter Gerlach, ... Diese Astro-Krimis wurden Hit, auch auf Geschenkelisten von wegen Geburtstag. Erschienen gar auf koreanisch. Herausgeberin u.a. Lisa Kuppler.
Als aller aller erstes Buch gelesen hat Lisa "Winnetou", vielleicht daher ihr Hang zur populären, heißt viel und immer wieder gelesenen Literatur. Daß Bücher ihr Beruf werden, war Zufall, Neigung, Glück. Lisa Kuppler arbeitete als Lektorin bei Rotbuchs legendärer Krimireihe (u.a. Jean Vautrin!!!), übersetzte u.a. den harten Mickey Spillane ("Ich, der Richter!"), sie leiht großen Namen ihre Feder. Was nichts anderes heißt: Lisa Kuppler ist eine jener sagenumwobenen Ghostwriter, die Prominente mit ihrer Sprachkunst unterstützen und auf dem Cover nicht erscheinen. "Reihe M" ist Lisa Kupplers neuer Auftrag. M steht möglicherweise für morbid, mausetot, mega-in oder mächtig gewaltig. "Reihe M" jedenfalls widmet sich mit ganzem Herzen dem neuen deutschen Krimi. Der Militzke Verlag aus Leipzig wagt das Wagnis und bereichert den hiesigen Buchmarkt mit einer eignen Krimireihe. Und das in jener Zeit, wo etablierte Häuser sich den Kriminalroman sparen und Mord und Totschlag unter neutralem Label gern verkaufen. Militzke und Lisa stehen dazu. Das hören wir gern. Das lesen wir.
Soeben erschienen ist der erste Viererpack des Labels. Mit "Berlin Evil II" kann sich Deutschland seinen ersten Adventure-Krimi reinziehen. Ein milieustarker Psychokrimi heißt "Nicht Ophelia". Und ein Serienkiller-Thriller in bester Genre-Manie titelt: "Der Lächler". "Die Apollofrau" gab den Serien-Startschuß. In diesem humorigen hart geschriebenen Krimi treiben gleich sechs nackte, tote Männer im Pool. Das Massaker wurde im Video festgehalten und zeigt als Täter eine Frau. Ungewöhnlich solch Beginn sowohl für's Buch, nochmehr für "Reihe M". Und es ist das Krimidebüt des Autorenduos G.-Roger Forster und Hagen van Beeck. Herausgeberin Lisa Kuppler legt Augenmerk auf neue Talente, und solche sind auf dem Markt nicht eben häufig. "Da liegt eines Tages ein Manuskript auf dem Schreibtisch, man liest die ersten Sätze - leicht gelangweilt, immerhin ist es das 34. unverlangt eingesandte Manuskript -, man bleibt hängen, liest weiter, ist fasziniert, will nicht aufhören zu lesen und liest weiter und weiter. Auf Seite 10 weiß man, man hat ein neues Talent entdeckt." Nicht nur angesichts bevorstehender Feierlichkeiten würden wir diese Bücher empfehlen. Als Geschenk geeignet. Ungewöhnlich. Lesenswert!

Schlüpfer der Rache: Halle, Hank und Stefan Maelck
"Ein einziger trauriger Schlüpfer war die Beute eines ganzen Abends." Hank Meyer faßt es nicht, denn der Barde auf der Bühne hätte mehr der Unterwäsche aus dem Publikum verdient. Aber wie das so ist, ostdeutsches Rudelverhalten bleibt einem Wessi öfter unverständlich. Aber der fixe Radiomoderator wird dem Ereignis noch gehörig die Kritik blasen. Wozu sonst wäre er Journalist? Aber auf Hanks Visitenkärtchen steht neben DJ auch Private I. Und das sind man ja nun ganz hartgesottene Jungens, die Morde a la Hammett/Chandler klären und stets den falschen Damen unterliegen. Und so kommt es, daß Hank Meyer selbigen Abend noch ein zweiter Schlüpfer begegnet. Mitnichten erotisch, auch dieser ein Bild der Traurigkeit. Denn besagtes Utensil strafft unschön den Hals der Radio-Ikone Gerda Lattke. Die spricht nicht mehr, ist hingemeuchelt. Und Private I Hank Meyers Auftrag lautet: Mörder überführen!
Nun zieht er los, der Held, in dunkle Kaschemmen und elegante Häuser. Er trifft versoffene Alte und schöne Maiden. Er hat Gehilfen und natürlich: Gegner. Und ein bissel kommt uns unser Halle/Saale wie die Sümpfe Nordamerikas vor (dort klärt sich der Fall dann tatsächlich): Mafiöse Strukturen, geheime Dienste, Spuren der Vergangenheit. "Ost Highway" ist klasse Krimi und eine unglaubliche Story. Der Verwicklungen und Überraschungen kein Ende, und wirklich kann auch der geneigte Leser den Handlungsfaden schnell verlieren, aber er findet ihn dann doch wieder. Auch in Dramaturgie und Dramatik verleugnet Autor Stefan Maelck seine Vorbilder nicht. Gut so. Noch besser: All die Orte der gnadenlosen Handlung sind genau recherchiert. Wir laufen auf Hallenser Straßen, sitzen in den dortigen Cafés rum, erkennen den Rundfunkbrutkasten mdr. Leipzig schildert Maelck/Meyer, wie es ist, ... wir wissen um die Vorzüge unserer Heimat Halle. Gar schließlich landen wir samt Private I im schwülen New Orleans, Amerika. Dort ist dann Ende. Endgültig.
Sicher: Autor Stefan Maelck hat Humor. Und auch wirklich ist er junger Radiomoderator, ehemals mdr-Sputnik nun -info und -Kultur. Er ist Fan der Kriminalliteratur. Pinky Friedman und die schrägen Franzosen Boris Vian und Jean Vautrin heißen seine Favoriten (wir empfehlen die Lektüre). Zum nächsten ist Stefan Halle zugezogen und mag die fluffige Kleinstadt. Er ist Kind des Ost-Nordens, Wismar, sozialistisch aufgewachsen und erzogen. Dann Studium in Rostock. Wende, Reisen, Tun, was Spaß macht und fordert: Verlag, Radio. Stefan weiß, wovon er schreibt. Aber dann ernsthaft als Hauptheld ein Wessi? Genau, der Kunstgriff hat Methode. Hank Meyer erscheint das ostgeprägte Hier und Heute wie ein fremder Planet, und unverstanden fühlt sich ja unsereiner auch immer mal wieder. Held Hank schaut diese Groteske mit einigermaßen Abstand an. Er guckt drauf auf unsre Gegenwart, und er gehört dazu.
Mit diesem Distanzschritt gelingt dem Autor eine wunderhübsch schräge Mischung aus Sprüchen, Klischees und Spannung. Wir hören von Stasi (unabdingbar im Ostthriller) und CIA, KGB (unabdingbar bei unglaublichen Geschichten) und einer Reise zu sich selbst (unabdingbar bei hardboiled Stories). Und wir Leser sind vergnügt auf der Spur Hank Meyer's, trotz (oder wegen) all dem, was wir kennen, so aber noch nie zur Lektüre bekamen. Und unter all den flotten Sprüchen liest sich noch 'ne Menge mehr. Aber zwischen den Zeilen lesen, sind wir ja gewohnt.
Stefan weiß, daß er mit Hank Meyer nicht Literatur im eigentlichen Sinne schuf, nicht schaffen konnte. Aber das mit voller Absicht. Stefan schreibt bewußt im trivialen Genre Krimi. Erschrocken hatte er nach seinen ersten belletristischen Schreibversuchen nämlich festgestellt, daß sein Werk genauso zu geraten drohte, wie er es nicht schreiben, geschweige denn lesen wollt: nabelschauend philosophisch, intellektuell auf höchstem Niveau, kurz vor dem Gütesiegel neudeutsch preisverdächtig, aber unverstanden. Stefan vollzog den Umkehrschluß und tut nun "Kunst da, wo sie niemand vermutet": Er schreibt Kriminalromane. Und da bereits "Ein Hank Meyer Roman" auf dem Cover steht, erwarten wir baldigst den nächsten Hall hardboiled. An Themen dürfte es nicht mangeln, auch an denen mit unverdaulichem Ostbezug. Stefan Maelck hat bewiesen, daß er grad aus solchen eine gute Story bauen kann.
Der Schlüpfer ward in böser Absicht um Gerda Lattkes Hals geschlungen. Hank Meyer kann den bösen Töter stellen. Dabei fühlte ich mich prächtig unterhalten und hoffe, daß mich niemand aus Rache wegen meiner Vergangenheit meuchelt. Und dann erst recht nicht mit einem traurigen Schlüpfer. Die nehmen sich auf Bühnen sowieso besser aus. Noch besser ... das wäre eine andere Geschichte.




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