www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (28.07.2002)

Klassisch, aber kurz: Alfred Döblin
Es gibt Namen, die stehen wie Statuen in der Literaturgeschichte rum. Diese Werke sind bedeutend, gar von Welt. Die Buchrücken sind dem Schrank 'ne Zier. Man hat sie. Man gehört dazu. Auch die wissenschaftliche Kaste spricht gern darüber und über ihren Ausdruck, ihre Kraft und diese unbedingte Kunst. Selbst die Schule kommt ohne diese Namen nicht aus. Weil ja ohne sie die Literatur nicht die wäre, die sie jetzt ist. Und überhaupt ... Sicher haben Professoren, Pädagogen, Prinzipielle Recht. Aber was, wenn's uns nur anödet? Wenn wir diese Art Literatur verdammt noch mal und schrecklich finden? Wenn wir diese Namen in die Ecke pfeffern? Und lieber doch was andres lesen? Vor allem nicht so Wälzer.
Anders geht's auch. Nur stehen die Deutschen Leser allgemein nicht so auf die Kurzgeschichte. Denken sich Verlagsverantwortliche und hauen uns die fetten Schwarten einfach immer wieder um die Ohren. Welch Irrtum. Denn grad in der kurzen Prosa zeigen große Namen Meisterschaft. Und warum sollt man nicht damit beginnen, wo das Ende der Geschichte absehbar.Zum Beispiel der Herr Alfred Döblin: "November 18" (3 Bde.), "Das Land ohne Tod" (3 Bde.) und "Berlin Alexanderplatz" beeindrucken. Auch wegen ihres Umfangs an Seiten. Doch Herr Döblin konnt sich auch kürzer fassen. "Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord" (Artemis & Winkler) ist Döblins Tatsachenbericht zu einem Prozeß der Zwanziger Jahre. Elli kommt nach Berlin und heiratet. Der Gatte geht übel mit ihr um. Trost findet Elli in den Armen Magarethes. Um dieses Liebesverhältnis aufrecht zu erhalten, tötet Elli. Das Geschehen hat alles, was einen Skandal ausmacht: Sex und Liebe, Gewalt und Haß. Und vor allem: Es ist wahr. Dem erwartbaren Sensationsgeschmiere entgeht der Künstler, indem er sachlich, fast protokollhaft von Vorgeschichte und Prozeß berichtet. "Die Schwierigkeiten des Falles wollte ich zeigen, den Eindruck verwischen, als verstünde man alles oder das meiste an solchem massiven Stück Leben." Beeindruckend das Stückchen wahre Literatur. Und die Fakten sind vergleichbar denen, die auch heute uns umgeben. Sie unterscheiden sich wohltuend von der Masse der uns erschlagenden Mord-Berichterstattung. Solch Thema schließt literarischen Anspruch und Qualität mitnichten aus. Das zur Mehrzahl gegenwärtiger Sensationsschreiberlinge. Und wer das bißchen Mord nicht lesen möcht, kann's hören. Mit der Stimme Dieter Manns (Patmos). Eine Tragödie, aber Genuß.
Und überhaupt: Auch Döblins Erzählungsbände "Die Ermordung einer Butterblume" und "Die Lobensteiner reisen nach Böhmen" beweisen seine Meisterschaft in Kürze. Und der Band "Sämtliche Erzählungen" (Walter) vereint noch mehr. "Ivar Kreugar lebt!" heißt Döblins maßgeschneiderter Beitrag zum Gemeinschaftkrimi à la merry old England "Die letzte Fahrt des Admirals" (Rowohlt). "Das Stiftsfräulein und der Tod" ist eine sensible Studie, worin Döblin seine beiden Jobs verbindet. Das Brot verdiente er als Facharzt der Nervenheilkunde. Dazu Holzschnitte von Ernst Ludwig Kirchner. Überhaupt beeindruckt das Buch durch gediegene Austattung und profunde literaturwissenschaftliche Anmerkungen. Und sollte man nun Lust auf den oben erwähnten "dicken" Döblin bekommen, ist der in selber Reihe drin. Der Verlag veröffentlicht die "Ausgewählten Werke in Einzelbänden". Also: Nicht immer sollt man angesichts großer Namen und der Literatur verzweifeln. Spaß kann man dran haben. Gewußt nur wo und wie und was.

Unsere Programmkinos hätten ohne ihn viel weniger zu zeigen. Überhaupt ist der deutsche Film ohne ihn kaum vorstellbar. "RWF" (rororo) steht als Kürzel für Kunst und Legende. Der geniale Regisseur starb an Jahren jung und hinterließ ein Werk, das seines gleichen sucht. Zum zwanzigsten jährt  sich heuer Fassbinders Tod und gibt Anlaß des Künstlers zu gedenken: schriftlich, filmisch und auch sonst. Kurz, prägnant, informativ ist die Biografie von Michael Töteberg, der sich als profunder Kenner von Film und Person bereits geoutet hat. Zum Einstieg ins Verständnis ist das Büchlein bestens.

Es soll ja Leute geben, die Horror vor dem Horror haben. Dabei ist das Genre Literatur wie all die anderen Gattungen auch. Es gibt viel Mist, aber auch die echten Highlights. S.T. Joshi erweist sich als Mann von Fach und Interesse und führt uns "Moderne Horrorautoren" (Festa) mit ihren Werken viele vor, quasi die Literaturgeschichte der übel beleumundeten Spezies, die so übel nicht ist, hat Joshi verfaßt. Jedem, der hinter Schrecken, Grauen und Ekel in die Kunst (oder Unkunst) der Gattung blicken möcht, seien die Bände sehr empfohlen. Der Verlag sowieso, denn in diesem Hause erscheint der Horror at his best: Thomas Ligotti, David J. Schow, Robert Bloch ... Autoren, die einem den Atem stocken lassen.

Detlef Scherer beobachtet. Aufmerksam. Sich und die Welt. Und Detlef Scherer findet Worte. "Kiesel von Arromanches" (Fouqué) nennt er seinen Band. Gedichte, die uns erinnern. An Augenblicke, Gefühle und Geschichte. Und manches zu lesen, was angesichts der Lage besser kaum gesagt werden kann. Da macht sich ein Hallenser öffentlich, stellt sich der Diskussion. Ein Angebot.

Es gibt ja Bücher, die man Lebtag nicht vergißt: "Zombie" (btb) haftet ekelhaft im Kopf und ist nimmer vergeßbar. Joyce Carol Oates fühlt beeindruckend nach, wie einer nicht richtig tickt. Dabei sucht Quentin weiter nix als den Freund zum Liebhaben und alle Sachen sonst so dabei. Und dann hat Quentin gelesen, daß eine einfache OP Menschen zum Werkzeug machen kann. Und Quentin probiert's und unterzieht junge Männer dieser Behandlung. Mit kaum denkbaren Folgen. Das Buch, preisgeehrt für besten Horror, ist empfehlenswert dem, der starken Charakter und Nervern besitzt.

"Aus meiner Zeit" (Hohenheim) berichten ja viele. Nun veröffentlicht einer seine Aufzeichnungen, der sich bislang kaum äußerte. Schriftlich. Andrerseits sorgte seine ausgestellte Kunst für gewagte Diskussionen im kleinen Land. "Der Mond ist aufgegangen", "Die Ausgezeichnete" oder "Der Jahrhundertschritt" waren (und sind) Werke, die der Interpretation soviel Raum geben, daß Gut- wie Anderswillige sich verstanden fühl(t)en. Wolfgang Mattheuer zählt zu den bildenden Künstlern der DDR, deren Schaffen sich nicht in den vorgegebenen Grenzen erschöpft. Heuer feierte er 70. Geburtstag. Auch ein Grund, was von sich lesen zu lassen. Und einiges, was Bild wie sozialistisches Gebaren anders sehen läßt.
 
 




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