www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (05.05.2002)

Zweier Herzen Offenbarung
Lord Kellinghurst hat’s dem Vater am Sterbebette versprochen: Er ehelicht Fiorinda Fairfax. Die Lady ist hübsch, aber nicht eben intelligent. Und Fiorindas Mutter ... Oh Gott! Sie abgrundtief häßlich und bös. Und nun auch noch das. Mit Müh und in Not gelangt der bildschöne Jüngling Philippe de la Cour in die Residenz und in die Obhut seines Freundes. Nur ganz knapp konnte er mordwilligen Häschern entkommen. Doch auch im herrschaftlichen Hause gesundet der junge Mann nicht. Mit eigenem Odem kann Lord Kellinghurst den Freund nur retten. Und Philippe weiß, daß er den Lord unsäglich liebt. Kann seine Hoffnung sich erfüllen? "Verborgene Liebesglut" (Quer) heißt dieser schöne Schinken von der andren Erotik. Und der Romantic-Thriller hat alles, was solch romantische Stories haben müssen an tiefem Gefühl, brausenden Stürmen und einem Ende. Wir Leser harren und bangen offnen Mundes, wird‘s auch so kommen, wie es kommen muß? Autor Gaylord de Woolf hat seine Pilcher und Steel und die verehrte Lady Cartland gelesen, und er nutzt all die schönen Klischees auf seine einzige Art. Solch Liebesglut be- und verzaubert nicht nur eine schwule Gemeinde, sondern befriedigt aller Toleranten Bedürfnis nach den Geschichten von Herz, Schmerz, Liebe und Tod. Wir sind nicht nur amüsiert, wir lachen glücklich: "Das Rauschen des Meeres und der Gesang der Vögel am Himmel waren wie ein sanfter Schleier, der sich über die Liebenden legte, um sie vom Rest der Welt zu trennen, denn alle Glückseligkeit fanden sie in den Armen des Andren. Gemeinsam hatten sie das Reich der Liebe betreten ..." Zu schön aber auch.

Und er heiratete die Königstochter, bekam das halbe Reich und sie lebten glücklich und zufrieden. Es ist schon oft erzählt (und erlebt) worden, daß dann die Probleme erst anfangen. Und Sean Stewart hat sie in „Der Schwarze Dolch“ so gut beschrieben, daß Ariadne im April eine Nachauflage auf den Markt bringt. Ein Novum heutzutage. Schützer Mark zieht aus, den Gespensterwald zu befreien. Eine Aufgabe, an der nicht nur sein Vater, sondern die edelsten Helden der vergangenen Jahrhunderte gescheitert sind. Mark bricht den Bann mit körperlicher Kraft und Bauernschläue, ein Verdienst, mit dem er sich eine große Belohnung des Königs sichert. Doch schon bei dieser Wahl treten ernste Probleme auf („Leider ist die älteste Tochter schon verheiratet!“). Mark beherrscht noch nicht einmal die höfische Sprache. Trotzdem versucht er, mit den Umgangsformen, den Ränkespielen und seinem rosa Hut (von der Prinzessin gebastelt) klarzukommen. Und das, obwohl die Gespenster das Land heimsuchen. Vorbehaltlos empfehlenswert, auch für Nicht-Fantasy-Leser.

Es muß ja so kommen: Mit fortschreitender Technologie wird auch der menschliche Körper geändert. Entweder mit Hilfe künstlicher Bestandteile oder Genmanipulation Und diese beiden Gruppen bekämpfen sich mit den furchtbarsten High-Tech-Waffen. Abelard Lindsay hat als Diplomat in seinem (natürlich) verlängerten Leben jede Menge von Problemen zu lösen. Diese sind allerdings dem Leser ebenso fremd wie die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der verschiedenen Habitate. Altmeister Bruce Sterling bewegt sich mit „Schismatrix“ (Ariadne) weit weg von der vorstellbaren Zukunft. Die Personen bleiben künstlich aufgemotzte, nicht nur bakterien- sondern auch gefühlfreie Schemen. Für Ostdeutsche jedoch ein ungeplantes Schmäckerchen: Der Investorfrieden mit den Außerirdischen, die quasi mit Glasperlen handeln.

Wladimir Kaminer hat das Vorwort geschrieben zu Jakob Heins „Mein erstes T-Shirt“ (Piper). Es schien angeraten, eine Warnung voran zu stellen. Und es hilft, die kurzen Geschichten in das rechte Licht zu rücken. Zum Glück wird nicht DDR-Geschichte aufgearbeitet, sondern auf skurile Weise kleine Erinnerungen in möglichst exotischen Kontext gesetzt. Das klappt nicht immer mit korrekten Zeiten und Orten (Skins waren in der DDR wirklich kein Thema und T-Shirts hießen damals Nicki), aber wir erkennen einiges bereits Vergessenes („Gixgax!“ und die Poesie-Alben der Mädchen) und einiges Wohlbekanntes (Kontrolle des Flaggens am Nationalfeiertag, Pfeffi und den Abriß der Geschichte der SED). Hein schlägt Kapriolen von den Wahltagen über die erste Liebe (leider mit Ausreiseantrag) bis hin zur E-Gitarre mit drei (!) Tonabnehmern. Auch wenn das Format (wie bei Piper üblich) nicht ganz handlich ist, die Länge macht sie zum idealen Buch für die Straßenbahn und die Stories erfreuen den Leser, wenn er weder Ostalgie noch Erklärungen sucht.

Herr Dietmar Schuhmann hat ein markantes Gesicht, das wir via TV kennen. Und Herr Dietmar Schuhmann kennt den Osten. Zum einen per Sozialisation, zum andren den Osten weiter östlich. Dietmar Schuhmann war bereits zu Zeiten der DDR dort vor Ort unser Korrespondent. Gute (gar manches Mal spektakuläre) Tradition haben seine Fernsehreportagen. “An der Lena flußabwärts” (Das Neue Berlin) liegt uns als Buch jetzt vor und gewährt Einblicke in die Tiefen Sibiriens und die Psyche der am Strome Lebenden. Von der Quelle bis zum Delta geht die Reise. Wir erleben Diamantenschürfer, Hochwasseropfer und Bärenjäger ... ein lohnens- und lesenswerter Blick auf unbekanntes Land und Unbekanntes vom "Großen Bruder".

Neal Stephenson, der gefeierte Cyberpunk-Autor, kann mit dem groß angelegten Epos “Cryptonomicon” (Goldmann) nicht die Erwartungen erfüllen, die „Snowcrash“ geweckt hat. Es geht diesmal um eine Randgruppe der Gesellschaft, die hippen, die unendlich reichen, die cleveren Vorstände und Besitzer der dot-coms. Und ihre Vorfahren haben (ein wahres Komplott in der Weltgeschichte) auch noch den zweiten Weltkrieg gewonnen. Mit der Enigma, wir erinnern uns. Dieser Sieg ist natürlich der überlegenen Idee dahinter zu verdanken, da können die Deutschen und die Nips einfach nicht mithalten. Als Zeugen treten Alan Turing, General MacArthur und Hermann Göring persönlich auf. Der Gedanke göttlicher Größe kann auch in der Gegenwart noch besser umgesetzt werden, wenn Geld (oder Gold) beschafft wird. Davon haben nämlich die Nazis noch jede Menge auf den Philippinen versteckt. Der japanische Baumeister wurde glücklicherweise vom braven GI zum Christentum bekehrt, deshalb sollten die Amerikaner wieder schneller sein als die chinesische Mafia ... Leider gehen die interessanten Ausführungen über moderne Verschlüsselungspraktiken (die Crypta) im martialischen und offen frauenfeindlichen, wenn auch sprachlich brillanten Action-Thriller unter.

Warwick Collins verblüffte uns bereits mit seinem ungewöhnlichen Blick auf die "Herren" der Gesellschaft. Jetzt legt er mit "Fuckwoman" (Kunstmann) die Symbole absoluter Männlichkeit flach. Der Kampf dieser resoluten Dame widerspricht nicht nur den Regeln der Kunst, sondern auch denen der Gesellschaft. Aber das Establishment hat die Rechnung ohne das (Wahl)Volk gemacht. Und das ruft beständig: Fuckwoman for President. Warwick Collins hat augenscheinlich keinen Respekt vor den Grenzen des sogenannten guten Geschmacks und vor der Political Correctness. Wir schließen uns dem Slogan an. Was'n Spaß.

Außerhalb drinnen: Autoren und die Krankengeschichten der Gesellschaft
Nicht erst seit Herrn Thomas Mann selig werden Sanatorien, Krankenhäuser, Irrenanstalten gern in Literatur beschrieben. Solche Heilanstätten sind in sich dermaßen geschlossen und so fein strukturiert, daß sie ein getreuliches Abbild größerer Zusammenhänge offenbar werden lassen (können). Die leidenden Menschen in solch Häusern stehen mit Symbol und Kraft für das Individuum an sich, das am Staate, rigorosen Beamten, unmenschlichen Gesellschaftsregeln zu zerbrechen droht und manchmal auch daran zerbricht. Georg Büchners "Lenz" wandert seinem Wahnsinn entgegen. "Einer flog übers Kuckucksnest" und ward zum Irren gemacht. Und "Der Zauberberg" schafft ein Umfeld, das einen nur krank werden läßt. Die Anstalt mit den Weggesperrten ein Sujet, dem stets und immer wieder Autoren vertrauen.
Christine Lavants "Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus" (Otto Müller) blieben als Manuskript lange Jahre verschollen und nur ein Zufall förderte sie zu Tage. Da ist ein sensibles Stück Literatur anno 1946 auf uns gekommen. Das Ich der Geschichte könnte Christine Lavant sein, aber wir wissen wie das so ist mit eindimensionalen Rückschlüssen auf Autoren und Bekannte. Eine Frau hat aus unglücklicher Liebe den Selbstmord versucht und muß nun zu Kur und Beobachtung auf Station zwei. Wir erleben all die Irren, die freiwillig oder nicht um ihr beschißnes Stückchen eignes Glück im Leben kämpfen. Eine Alte redet sich ein, daß ein Jüngling ganz scharf auf sie ist. Die Introvertierte zeigt nur beim Halma erstaunliches Engagement. Manche der Insassen reden gar nicht, andre schreien immer. Ärzte und Schwestern behandeln Patienten oft so, als verstünden sie nichts oder zuviel von ihrer Psyche. Die Autorin schildert beeindruckend die Geschehnisse zwischen Wahnsinn und Realität, zwischen Selbstbehauptung und Medikamentation. "Ja, ich muß wohl annehmen, daß ich geheilt bin, denn man behält mich nicht mehr hier, obwohl der Gerichtspsychiater mir ein Jahr mindestens bewilligt hatte." Der Zweifel bleibt, ob nicht ein bewußter Austritt aus dem gesellschaftlichen Regelwerk persönlich Nutzen bringt.
Auch Dr. Christoph Salzer tritt aus seinem Leben in ein andres ein, in des "doktor paranoiski" (deuticke). Eigentlich wollte der Herr Doktor nur mal das Leben außerhalb versuchen als Penner und Mensch neben aller Verpflichtung. Nur deshalb inszeniert er seinen Tod und lebt doch weiter. Aber eben deshalb wird Dr. Salzer in die Armee der Unsterblichen berufen, deren Soldaten allesamt Paranoiskis Schicksal teilen und noch Hoffnung haben. Dieses Heer nämlich plant den gesellschaftlichen Umsturz Österreichs. Dadafür wird trainiert unerbittlich, werden Pläne geschmiedet und Personal rekrutiert. Diese parallele Gesellschaft des Untergrunds möchte sich  mit einem genialen Coup an die Macht bringen. Auf Dr. Paranoiski kommt die alles entscheidende Aufgabe zu ... Ernst Moldens Satire stimmt uns hoffnungsfroh, daß man im Kampfe nicht alleine steht. Der Wahnsinn regiert ohnehin, ein andrer wäre an der Zeit. Zumindest die Hoffnung darf man haben.
Hoffnung hat Mel, wahnsinnig ist sie keineswegs. Nur raubt ihr die Iridozyklitis sämtliche Sehkraft. Deshalb wird sie in "Masserberg" (Diana) behandelt. Aber den Regeln dieses Anstaltlebens widersetzt sie sich geschickt und mit Bravour. In kein Bild der sozialistischen Jugend will sie passen: Drei Freunde gleichzeitig. Dazu ein lesbisches Verhältnis und Theater. Persönlich opfert sie sich für die Alten auf, die Kinder schützt sie. Und dann passiert Mel die Liebe. Dr. Sanchez allerdings kann's weder glauben, noch hat er den Mut die DDR so einfach hinter sich zu lassen. Logischerweise fordert solch Person die Maßnahmen, die sie ins Regelwerk wieder einpassen, geradezu heraus. Sich diesen dann zu widersetzen fordert neben allem Mut Verluste. Die Verluste trägt Mel. Sie sind es ihr wert. Fräuleinwunder Else Buschheuer ist ein grandioses Buch gelungen. Es liest sich lachend und weinend mit allem Spaß und mit Lust. Und es beschreibt die geschlossene Anstalt DDR erstaunlich präzis ohne Ressentiments und Kalkül. Eine Autorin auf dem Höhepunkt ihrer Kunst?
Nun kann man trefflich drüber streiten, ist das Wahnsinn oder nicht. Wahnsinnig gute Literatur ist es ohne Zweifel. Einem selbst bleibt, über eigene Krankheitssymptome zu entscheiden.

Der Pharaonen langer Schatten: Bemerkungen zum Geschichtsunterricht
1520 bis 1293 vor Christie Geburt herrschte in Ägypten die 18. Dynastie. Sagenhafte Pharaonen wie Thutmosis III. und Amenophis II. oder die umstrittene Hatschepsut führten das Land am Nil zur Weltmacht und in eine bis dato nicht gekannte wirtschaftliche und kulturelle Hochzeit. Die steinernen Zeugnisse beeindrucken noch heute aber Millionen von bildungshungrigen und neugierigen Touristen. Noch immer bergen Wüste und Pyramiden, Täler und Tempel, Sand und Uferschlamm Rätsel und Geheimnisse der längst vergangenen Epoche. Generationen von Wissenschaftlern werden auch in Zukunft versuchen, diese Gesellschaft wahrhaftig zu rekonstruieren. Das Grab von Tutanchamun offenbarte vollständig Reichtum und die Grabesriten von ehedem. Die Person Echnatons spaltet heute wie damals: Ketzer oder Revolutionär? Nicht nur Archäologen entdecken in den Mumien den Menschen. Sie schlußfolgern Erstaunliches.
Bereits Agatha Christie unterlag der Faszination und ihrem Interesse. Mehrere ausgedehnte Forschungsreisen ließen sie ihrem Mann und dem alten Ägypten begegnen. "Agatha Christie und der Orient" (Scherz) folgt wissenschaftlich genau ihren Spuren und stellt u.a. fest: "Rächende Geister" (Scherz) ist genau recherchiert und überhaupt der erste historische Kriminalroman der Literaturgeschichte. Auch die Christie gab eine dramatische Deutung des Lebens Echnatons, jenem Herrscher, der eine neue Religion versuchte und scheitern mußte. Logisch endet Agatha Christies Spiel im Verbrechen. Doch auch Nobelpreisträger und ägyptischer Nationalautor Nagib Machfus kann die Umstände des Todes dieses Pharaonen nicht klären. "Echnaton" (Unionsverlag) nähert sich in Augenzeugenberichten dieser Person. Der Historiker Merimun begibt sich wenige Jahre nach Echnatons Tod zu jenen, die Echnaton kannten, die ihn haßten, die ihn liebten. Was Kriegsherr und Leibarzt, Schwiegermutter und Architekt ... berichten, läßt das Bild eines beeindruckenden Mannes entstehen. Echnaton brach nicht nur mit allen religiösen Traditionen und ließ nur einen Gott gelten, er baute aus dem Sand auch die Stadt seines Gottes: Amarna. Körperlich mißgestaltet war ihm eine der weltschönsten Frauen, Nofretete, in Liebe verbunden. Priesterschaft und andre Machthaber kämpften gegen den Verlust ihrer Einflußsphären. Die ehrlichen Sympathisanten am Hofe wurden geringer, Intrigen beendeten die Herrschaft Echnatons und löschten all seine Spuren. Auch sein Lebensende eine Gewalttat? Nach seiner Forschung hat Merimun wenig geklärt, jedoch ist er verliebt, zum einen in den verbotenen Glauben Echnatons, zum anderen in Echnatons Frau Nofretete.
Heeresführung und weitre Berater hatten nach Echnatons Tod das Kind Tutanchamun zum Pharaonen erhoben. Als dieser Herrscher starb, zählte er keine Zwanzig. Es ist ein "Mordfall Tutanchamun" (Piper), meint Bob Brier, ein Professor an der Long Island University, New York. Und wie es Wissenschaftlern eigen, versucht er seine Thesen zu begründen. Das Buch liest sich nicht nur äußerst spannend, es gibt einen anschaulichen Einblick in natur- und andre wissenschaftliche Analysen und Methoden. Es zeigt wie Mumien gemacht werden. Es berichtet von den Forschungen legal und illegal im Lande Ägypten unter Napoleon Bonaparte und danach. Es läßt deren Hochzeit und vor allem die spektakuläre Entdeckung des unversehrten Grabes Tutanchamuns miterleben. Und es gibt auf beeindruckende Art ein Bild vom Leben 4.500 Jahre zurück. Erfüllte das zum Regieren eingesetzte Kind Tutanchamun mit zunehmenden Alter nicht mehr genügsam die Vorstellungen seiner Berater? Wollte dieser Pharao seine eigne Politik? Mordete aus Herrschsucht sein engster Vertrauter? Bob Briers Indizien und Folgerungen legen diesen Schluß nah. Und Brier, Diskussionen erwartend, entkräftet selbst viele der Gegenargumente. Mitnichten ein staubtrocknes Buch über ein staubtrocknes Thema.
Auch diese Bücher beweisen: Geschichte ist nicht nur Tod und Krieg und Untergang und Jahreszahl, was einem die Schule wohl beibringen muß. Es gab und es gibt faszinierende Personen, die Geschichte machten. Kunst der Autoren (auch der der Lehrbücher!) aber bleibt, uns eben solche Geschichten zu erzählen. Egal letztlich bleibt, ob sie als Sach-, Fach- oder Lehrbuch, Aufsatzsammlung, Biografie oder Belletristik daherkommen, ob all das beweisbar auch ist, wovon sie berichten. Hauptsache, Geschichtsbücher sind nah an der Wahrheit dran (das ist Autorenpflicht) und des Lesens wert. Die genannten sind es zweifellos und verursachten schlaflose Nächte. Was'n Kompliment, und Geschichte zählte weiß Gott nie zu meinen Lieblingsfächern!

Ein Fünfer im Buch
Des öfteren verlautet die Meinung: Autoren hiesiger Breiten hätten und brächten nix auf den Markt unseres Buchhandels. Der Meinung darf auf gar vielfältig Art und Weise widersprochen werden. Meister Erich Loest ließ seine "Träumereien eines Grenzgängers" (Linden/Hohenheim) drucken. Die versammelten Texte sind Loests Meinungen zur Kultur und Politik und Kulturpolitik. Ein Jahrzehnt kann besichtigt werden, und manch Ereignis hatte man bereits vergessen. Gut, dran erinnert zu werden.
Historisch nimmt's auch Ralf Günther und bringt uns Dresdens romantische Zeiten nah. Wir erleben den "Leibarzt" (Heyne) Mediziner Maler Carl Gustav Carus und Herrn Ludwig Tieck z.B. und erfahren hauptsächlich eine ganz schauerliche Mär von Kind und Verbrechen. Nur der Fakten- und Wahrheits-Besessene fühlt sich da nicht unterhalten.
In andre Zeiten führt auch Gundula Sell in den Erzählungen "Der roten Blume" (Hohenheim). Ein Werktätiger wird "Unterm Bogen" immer mehr Mitläufer, gar Täter im dritten Reich und vergißt seine menschliche Meinung. Parallelen sind gewollt beabsichtigt. Insgesamt 'ne Geschichtsmischung, die bewußt uns das Unspektakuläre schildert.
"Rosa und Grau" (Neue Literatur) ist auch der Weg des Normalos Wolfgang Sander, aber nicht nur: Flüchtlingskind, ABF, Studium, Arbeit. Hans-Joachim Wiesner schildert offensichtlich den Großteil seines eignen Lebenswegs anekdotisch bis detailversessen. Es ist, als würde Opa von früher erzählen. Wir Nachgeborenen hören gern zu, erfahren, wie's gewesen ist, doch manchmal sind wir rechtschaffen müd und verwirrt von soviel Alltag und soviel auftretendem Personal.
Schließlich zu den ganz Kleinen oder Junggebliebnen. Steffen Mohr legt seine "Rätselkrimis" (Loewe) für uns und unsre Kiddies auf. Zumindest der Großraum Leipzig rätselt bereits Jahre allwöchentlich mit Merks und Mohr. Rätsel aller Couleur und Alterstufen. Und dieser Rätsel kein Ende.
Wer sagt da noch: Er fänd sie nicht, die Autoren der Region?

Jamal wurde eingeladen. Und nun steht er rum auf der arabischen Fickbörse in Berlin, wo sich Frauen und Maiden den orientalischen Lover suchen für eine Nacht oder länger. Auch wollen manche Ausländer nicht mehr heimkehren, da tut eine (Schein)Gattin gut. Allerdings: Der Sex mit Kerstin Dembruschkat bringt weniger als der Sex mit Göran Grönendahl. Jamal Kassim, Libanese: Schwul und nicht nur mit dem Studium bald am Ende. Marko Martin schildert fühlsam Coming-Out und deutsche Ein- wie Abgewöhnung seines Helden. "Der Prinz von Berlin" (List) ist das Debüt eines Welterfahrenen. In Burgstädt, Sachsen, geboren, verhinderte der Sozialismus sein Studium. Marko Martin zog gen Berlin und San Francisco und Paris und kennt das Gefühl des Andersseins in fremdem Land. Nicht immer wird/ist alles gut. Aber in der Literatur ist vieles möglich. Lesen!

Lesen wir zum Schluß über's Wetter. Tatsächlich. Was uns im täglichen Gespräch üblich, ist dem Buche Recht: Wetter. Und so hat Matthias Biskupek Sentenzen und Geschichten zum beliebten Thema verfaßt, Peter Gaymann den "Wetterbericht" (Gustav Kiepenheuer) mit seinen Hühnern in Variation illustriert. Und wir erhalten ein schönes Geschenk zum Verschenken und eine Anregung zur Überbrückung schweigsam peinlicher Minuten. Und wer weiß schon, daß eine Gewitterziege wirklich die Gewitter zieht.

Seen, Auen, Gruben, Schreiben: Ekkehard Schulreich und Michael Wilhelm veröffentlichen Landgänge
Im Mai fährt er über’s Land und stellt fest: „Ins Unermeßliche wachsen die Liebstöckel". Sicher, es wehen auch Fahnen, und Mitmenschen betreiben Körperkult oder schütten Destillate ein.
"Abräume" betiteln die Autoren ihre Texte, eine Konvolut von Notaten, Skizzen, Gedichten und kurzer Prosa. "Ein literarischer Landgang" benennen sie's in zweiter Zeile, die Autoren heißen Ekkehard Schulreich und Michael Wilhelm. Sie begegnen uns in den Kneipen und auf den Straßen im Tagebaudreck, sie durchlaufen die Rhön oder Fabrikhallen, in denen niemand arbeitet. Sie zeigen gegenwärtige Bilder und bewahren darin ein Stück der Vergangenheit: "Es war unser Leben / Arglos wie kleine Kinder / Haben wir immer gelacht / Als es ernst wurde". Es ist nicht ausgedacht, was die Autoren beschreiben. Anlaß der Aufzeichnung sind oft Kleinigkeiten, doch hinter dem Offensichtlichen lauert Geschichte: "Die Glasur platzt ab / Die ich zur Patina erhob".
Daß sie zusammen ein Buch schreiben, ist Zufall. Denn nur zufällig sind sich Michael Wilhelm und Ekkehard Schulreich begegnet. Bei einem Freund, aus gegebenen Anlaß, wie's halt so ist. Sie entdeckten Gemeinsamkeiten, Widersprüche, und manchmal sagen sie über sich, sie wären wie Hauser und Kienzle. Beider Interesse gilt dem Südraum, der geschundnen Landschaft nach Leipzigs Süden. Dort an Ort und Stelle sieht man die Spuren letzter Jahre deutlich von industrieller Euphorie bis hin zur Kapitulation. Ausschlaggebend für Produktion ist Produktivität. Und so weht der Wind über die Steppen des Reviers, und den Autoren ins Gesicht. Aber nicht nur da sind sie auf Landgang gewesen. Die Auen und die Steiermark, "auf Land ab" sind die Autoren gewandert, weil man's ja in den engen städtischen Räumen nicht immer aushält und einfach mal alles "abräumen" muß, auch auf der Kneipenmeile Karli. Wir lesen davon, und wir sehen.
Auch im Buch. Denn Grafiken Michael Wilhelms sind den Texten beigefügt. Und studiert hat Michael eigentlich diese bildnerische Technik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Aus stellte er seine Werke u.a. im Südraum, Borna, Geithain. Sein Job ist derzeit der eines Mediendesigners, und dessen Grundlagen der Arbeitsweise vermittelt Michael gegenwärtig auch Schülern. "Ich schreibe, wenn ich Lust dazu habe", sagt Michael Wilhelm, und geschrieben hat er immer, veröffentlicht u.a. in den Lesebüchern des Dresdner Verlags Die Scheune. Auch "Abräume" erscheint in selbigem Hause. Anläßlich der Buchmesse war Premiere: Am 22. März, Gohliser Schlößchen, 18 Uhr.
Michael Wilhelms Kollege Ekkehard Schulreich ist jünger, an die anderthalb Jahrzehnte, und Jahrgang 68. Auch er Leipziger. Anders als Michael verdient Ekkehard in der schreibenden Zunft der Journalisten sein Auskommen. 1997 erschienen: "Blechbier", Ekkehards erste Sammlung. Schon in diesem Textkonvolut beeindruckte er mit Beobachtungsgabe, Sprachvermögen. Noch in Zeiten des DDR-Auslaufs konnte Ekkehard seine Wortkunst bei den legendären Poetenseminaren zu Schwerin schulen. Und immer gilt sein Augenmerk den Veränderungen, dem Zeitgeschehen, unsrer Gegenwart. In dieser Auseinandersetzung entstehen seine Texte, wie auch die von Michael. Manchmal gelingt beiden auch das Experiment eines ganz gemeinsamen Werkes. Dazu bedarf's nur des Willens und des Wollens aller Beteiligten. Solch Kunststück entsteht auch in der Kneipe: Auf den Bierdeckel schreibt einer seine Gedanken, der Nächste setzt fort. Erstaunliche Zusammenhänge, Querbezüge, Ausschließlichkeiten kann man da entdecken, versichern die Autoren, und solch Improvisationsspiel sei keineswegs nur auf die Kneipe beschränkt. Auch bei Parties kann's ankommen zum Interesse aller Anwesenden.
"Abräume" ist kein aufschreiendes, anklagendes Buch. "Le Prelude und Frontmeldung / Hier spricht das Oberkommando Ost / Ausgelernte Pazifisten / Geben Einsatzbefehle / Schnauze Radio / Weghören ist erlaubt" – bei aller politischer Dimension, Agitation ist es nicht, was die Autoren zu sagen haben. Sie haben Gedanken anläßlich dem, was sie umgibt, was sie erfahren müssen. Daß beide ihre häuslichen Räume verließen, ist Anerkennung wert. Daß sie uns ihre "Abräume" mitlesen lassen, ist von ihnen Angebot. Kein schlechtes.
"Das Feld verschweigt die Nacht mir / meinen Schritt ich lege eine Spur ich bin / ein Körnchen Sand ein Korn an einem Halm / der Teil von einer Ähre aus der man Brote / machen kann und Schnaps".

Da bracht' es einer wirklich fertig, sein Pseudonym bis zum Tod nicht zu lüften. Dabei wurden seine Bücher preisgeehrt, zum Beispiel: "Du hast das Leben noch vor dir" (Diana). Momo ist Waise und lebt bei Madame Rosa im Hurenviertel von Paris. Rosa ist 'ne gute Seele, die Kinder hütet, Müttern hilft. Doch kann sie ihren Altersverfall nicht aufhalten und stirbt jeden Tag ein Stück. Momo sieht zu, bis Parfüm den Geruch nicht mehr deckt. Simone Signoret war "Madame Rosa" im Film, auch dieser preisgeehrt: Oscar. Autor Romain Gary - ein Phänomen. Das Buch, der Film - ein Muß!

Der sachsengebürtige Herr Jürgen Riedel ist ein sprachschöpferischer Schreiber und läßt uns bereits seine "Wortbilder V" (R.G. Fischer) mit lesen. Diesmal gerät man in die märchenhafte Küche von Liebe, Tod, Teufel. Der Hinkstinkböse freut sich schier hochofenhaft wie Eismeerdepressionen uns nach brikettqualmigen Träumen umschlingen. Aber Vorsicht: "Gib ihm deine Hand nicht, dem Geschäftsmann klirrend fürchterlicher Bilanzen, nie mißerfolgsverschneit." Da hat er Recht, wir mißtrauen den Worten und Kata-Strophen aller Orten und nicht nur in Politik und Geschäft.

"Alles wird besser, nichts wird gut" (Schwarzkopf) ist als Motto so gegenwärtig wie vor Zeiten. Als Tamara Danz die Zeilen sang, war der Hörer geübt im zwischen den Zeilen verstehen. Silly meinte "Raus aus der Spur" und ward Kult im engen Land. Zum Großteil lag es an den Texten eines Mannes: Werner Karma. Nunmehro liegen sie gesammelt vor. Das liest sich wie die Geschichte der östlichen Gefühle (auch nach der Wende). Manchem schlägt das Herz dabei, andern die Erinnerung. Und noch andere könnten anhand dieser Lieder verstehen lernen. "Die Ferne ist ein schöner Ort, doch wenn ich da bin, ist sie fort", besser kann man es nicht sagen. Selbst heute.

Die Bestseller östlicher Prägung sind mittlerweile rar, auch weil Werbestrategen eher Big-Business-Sprachen vertrauen. Aber noch immer sind Bücher russischer Sprache des Lesens sehr wert. Ljudmilla Petruschewskaja beschreibt "all die Düsternis der Welt" im derzeitigen Rußland. Selbst "Der schwarze Mantel" (BVT) kann nicht mehr helfen. Die Menschen in Petruschewskajas Erzählungen leben nicht nur, weil sie müssen. Auch am Rande der Gesellschaft oder unten drunter bleibt ein Stäubchen Hoffnung. Moderne Klassik in weltliterarischer Tradition. Einen absurden Blick auf die nachsozialistische Absurdität hat Alexander Ikonnikow und nennt ihn "Taiga Blues" (Alexander Fest). Da kann durchaus die Rezeptur eines Kartoffelgerichtes eine Bluttat auslösen, oder Polizei muß ein abgehacktes Bein mangels dessen juristischer Handhabbarkeit im Birkenwäldchen entsorgen. Letztlich bleibt uns zu bemerken, Parallelen zum ehemals Großen Bruder gibt es im Gesellschaftlichen auch heute durchaus, nur schreiben wir anders oder nicht über diese deutschen Realitäten.

Andreas Marneros ist im Ausland geboren. Andreas Marneros ist Professor in Halle. Andreas Marneros ist Deutscher, und er ist Psychiater. Von Gerichts wegen kommen mit ihm die Verbrecher ins Gespräch. Maneros schreibt davon. Betroffen hat uns seine erklärende Erzählung über "Sexualmörder" (Psychiatrie Verlag). Auch "Hitlers Urenkel" (Scherz) sind eine Spezies Totmacher. Andreas Marneros hat sie begutachtet. Erstaunliche soziale Parallelen in den Biografien dieser Täter tuen sich auf. Und wenn dies so ist, ist Rechtsradikalismus und seine latenten Abarten ein Problem unsrer Gesellschaft. Verharmlosung hilft nicht wie auch die immer wiederkehrende Betroffenheitsmaschinerie. Manchesmal schreibt der Autor ein wenig zu viel über sich (was bei Biografie und Job nicht wundert), das nimmt etwas der wissenschaftlichen Objektivität. Aber die Fakten von der "Grausamkeit der Schwachen" schrecken. Was der Professor an Personen, Verbrechen und deren Untersuchungsergebnissen offenbart, fordert Einsatz und das Engagement unsrer Vernunft. Die Lektüre sei nicht nur Pädagogen und Sozialarbeitern empfohlen.

Wiebke und Axel H. konnten's nicht mehr miteinander. Und so wichste Herr Kunert sich einen ab. Und auch Frau holte sich einen runter. Ihre Erfahrungen mit sich selbst vermarktet das Paar jetzt unterm Titel "Handbuch der Onanie" (Schwarzkopf). Wer einschlägige Tips erwartet, wird einigermaßen enttäuscht. Der Do-it-yourself-Ratgeber ist keiner, sondern gleicht einem lahmen Geplauder über das Faktum der Selbstbefriedigung an sich. So skandalös wie's der Verlag gern haben möcht', ist dieses Thema keineswegs. Dem Aufgeklärten bringt das Handbuch kaum Genuß. Erotik schon gar nicht. Auch die Erweiterung des sexuellen Horizonts hält sich in engen Grenzen. Kein Höhepunkt. Im Gegenteil. Orgasmus ausgeschlossen, würde ich sagen.
 

Das war. Wirklich: DDR und Gegenwartsliteratur
Seit '89 wartet man darauf. Händeringend suchen Wissenschaft und Kritik den epochalen Roman von und über den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden. Literaturgeschichte muß gemacht werden. Komme, was wolle. Bislang aber ist solch geniales Werk noch nicht erschienen. Das euphorisch beredete Büchlein eines Herrn Thomas Brussig oder das des Ingo Schulze erwiesen sich als ... nett, vielleicht? Aber auch wenn sie eilends als Film oder im Theater vermarktet wurden, erinnern wir uns? Kaum. Also harren Literaturpäpste und -adepten immer noch des literarisch einmaligen und endgültigen Romans von und aus der DDR und drehen und wenden begierig die Seiten, die Schriftsteller sozialisiert oder wenigstens born in GDR über untergegangenes Land und sagenhafte Zeiten schrieben. Und Autoren schreiben. Wirklich.
Ups-a. Da kommt ein Held des Weges und wird von einer sexy Frau ins Haus gebeten. Der Held bleibt und entdeckt Erstaunliches. Der Vater von eben jener schönen Tochter war führend in der DDR, hatte auch was mit den Nazis und 'ne Frau, die soff. Das Gerümpel seiner Geschichte wird im Haus gehortet. Ganze Etagen beschwören alte Zeiten. Und da muß der Held nun durch. Michael G. Fritz nennt diese Exkursion "Rosa oder Die Liebe zu den Fischen" (Reclam Leipzig). Wir folgen dem Held auf all seinen Pfaden, aber was er da entdeckt, ist bekannt und vorhersagbar wie Stasi-Akten.
Apropos, solche sind ja noch immer schweine-interessant. Jahrelang galt Sascha Anderson als Guru einer alternativen Szene im Osten. Nach dem Sturz des Regimes haben die jungen Literaten in ihren Akten gestöbert, und ... ei der Daus, Herr Sascha Anderson war Spitzel. Ein Arschloch ist er nun laut Biermanns Wolf, und getaugt hat seine Literatur ja eh niemals was, stellten Leute vom Fach im Nachhinein fest. Tja, so geht das. Wie es ihm ergangen ist, hat Sascha Anderson im Buch vom "Sascha Anderson" (DuMont) jetzt aufgeschrieben. Heissa, kann die Meute diskutieren. Literatur ist das nicht. Was ist's denn überhaupt, solch eine Art Buch? Buße? Rechtfertigung? Da könnten ja gleich ...
Noch andre kommen. Und sie kommen. Sie sind wieder oder immer noch da. Herr Hermann Kant ward im Staate DDR staatstragend per eignem Wille und Funktion. "Die Aula" las ein ganzes Volk. Gezwungnermaßen. Nun ist Hermann Kant keine Pflichtlektüre mehr, aber noch immer schreibt er. Diesmal nennt er sein Opus "Okarina" (Aufbau). Das ist so ein putziges Blasinstrument, auf dem Stalin dem Helden vorspielt. Und Kants Helden haben stets sehr viel von Kant in eigner Person. Ja, aber! Rechtfertigt Meister Kant gar das Monster der Sowjetunion und damit sich selbst? Knapp ein halbes Tausend Seiten Kant in Reinschrift: Ein wenig geschwätzig. Sehr sprachverliebt. Mit vielen Arabesken. Kant, wie wir ihn schon immer kannten. Manche werden's mögen. Für uns ist das keine Pflicht.
Nein, den Nobelpreis hat sie nicht bekommen, unsre Christa, Christa Wolf. Aber den Buchpreis, gestiftet zu Leipzig. Und voller Freude legte auch sie uns ein neues Bändchen ihrer Schreibkunst vor: "Leibhaftig" (Luchterhand). Darinnen wird die schlimme Krankheit einer Frau beschrieben. Aber natürlich, wissen die Literaturkundigen, ist "Leibhaftig" eine Metapher. Und schleunigst interpretiert man den alten Staat und dessen Untergang hinein und die Wende mit erfolgter Genesung und Aufbruch und Stimmung ... Die Autorin hat sich intelligent verweigert. Sie interpretiert sich nicht, wie man's gern hätte. Das war ihren Büchern eigen und ist's noch. Literatur eben.
Traditionen hat die DDR gepflegt. Und die heutige Szene pflegt sie noch immer in anderer Art. Aber in der DDR wuchsen auch "Junge Talente" (Rowohlt Berlin) heran. Auch sie konnten/mußten ihre Erfahrungen sammeln. Einer hat sie aufgeschrieben und herausgekommen ist ein richtig gut lesbarer Roman. André Kubiczek schildert die DDR, wie sie nun mal war. Raus aus der Enge des Harzes wollte der Held, rein in die Großstadt Berlin. Da gibt es Szene und Mädchen und Bier ... Ein Buch von der DDR. Jenseits allem Schwermuts. Jenseits aller Rechtfertigungsversuche. Jenseits aller Nostalgie. Da hat einer Spaß am Erzählen. Da hat einer nicht vergessen und nicht immer nur gelitten. Das war. Wirklich. Lesen!
Manche harren weiter in bang-begieriger Erwartung. Dabei sind sie längst da, die Bücher zu und über alte Zeit. Und man könnte trefflich diskutieren. Und nicht nur in den derzeit üblichen Schablonen. Wer die immer bloß braucht? (Die Opfer? Täter? Gar der Westen?) Wir jedenfalls sind der Reduktionen pappesatt. Laßt uns drüber lesen jenseits eines gewollt engen Verständnisses. Und manchmal gelingt den Autoren auch richtig Literatur. Wie wir sie verstehen. Gut so!

Das Buch zum Preis
Zum Abschluß der vergangenen Leipziger Buchmesse gab es einen neuen Preis, den Fünf-Finger-Buchpreis, eine Gabe für Literatur mit Hand und Fuß. Vergeben wurde der preisgeldfreie Wanderpokal an den Berliner Schriftsteller Falko Hennig, der in seiner Kurzgeschichte vom Grünen Planeten und den Folgen vernachlässigten Abwaschs berichtet. Nachzulesen in "Das Beste hört sich Scheiße an" (Fünf Finger Ferlag), dem Buch zum Preis. Das ist von drei halleschen Zeichnern gekonnt comic-artig illustriert worden und enthält Geschichten und Gedichte von 28 Autorinnen und Autoren. Da sind (szene-)bekannte Namen darunter und unbekannte, viele, viele aus Leipzig, aber auch solche aus Dresden, Halle, Schönebeck und Berlin. Sogar aus Hamburg, Dortmund, Düsseldorf und dem mecklenburgischen Demmin erfahrt Ihr Aufschreibenswertes. Ambaszador erzählt von vier grotesken Außenseitern, Frank Bröker von Schimpfworten, Ralph Grüneberger von der Stasi und Axel Rapp ganz romantisch von einem Haus der Vergangenheit. Christian Haase, Saza Schröder, Andreas Reimann, Tom Reichel, Marlen Pelny und auch Markus Wilmsmann beleuchten die Liebe von den verschiedensten Seiten, Henner Kotte und Matthias Biskupek werden kriminalistisch. Aber auch das Saufen findet seinen Platz (JPS, Antje T.) und gar der Magendurchbruch eines Uwe Schütz. Sandy Recknagel, David Riha, Ronja G. und Anja Kral wiederum formulieren auf angenehme Weise philosophisch. Und sonst? Makarios, Volly Tanner, Kudernatsch, Johannes Kirchberg - Kandidaten, Paten und Ehren-Teilnehmer. Ein schöner Überblick zum Hier & Heute!
 






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