www.Crossover-agm.de Und sie bewegt sich doch!

"movements" - Bewegungen - hieß eine Musikaktion am 25. April 1999 in Leipzig. Fünf Musiker waren, ihre Instrumente spielend, mit verschiedensten Fortbewegungsmitteln unterwegs. Das Ziel: Die Philippuskirche am Kanal in Lindenau. Mit einem fiktiven Interview gibt Thoralf Roick, der frühere Kantor, über seine Absichten Auskunft.

Warum scheuchst du die Musiker durch die Stadt?
Musik ist Bewegung - nicht nur, weil etwa ein Pianist zur Klangerzeugung schon mal einen Finger krumm machen muß. Das Klingende, das sich ja immer mit dem Zeitfluß verändert, erzeugt die Vorstellung von Bewegung. Begriffe wie "walking bass" sind ein Ausdruck dafür.

Und deswegen soll also der Bassist auf Wanderschaft gehen! Nun kommt man aber z. B. mit einem Klavier ziemlich schwer voran, trotz der Räder ...
Gedacht war das Ganze nicht als Akrobatik, sondern als Aufforderung an die Zuhörer. Schließlich bedeutet Musikhören, aktiv zu sein. Ich meine natürlich nicht, daß ich von Laden zu Laden gehe und dem Dudelfunk doch nicht entfliehen kann. Wenn ich auf zunächst fremde Klänge höre, nach Assoziationen suche, die geistigen, auch materielle Hintergründe nachfrage, dann habe ich am Ende eine Haltung, die liegt irgendwo zwischen brüsker Ablehnung und dem Griff zur Gitarre, um es nachzuspielen.

Ach ja, der Bitterfelder Weg: "Greif zur Feder, Kumpel ..."
Es führt noch lange nicht in die Banalität, wenn man der Musik das Absolute, das Sich-selbst-genügen abspricht, was nur Kenner genießen könnten - so als wäre es ein edler, alter Tropfen. Für mich ist Musik weniger Kunst als vielmehr ein Gebrauchsgegenstand. Für die Hörenden hat Musik immer eine Funktion, als Ritual, Konsumartikel, Tanzmusik, Erkennungszeichen, erotischer Stimulans, Diskussionsstoff, Therapieform usw. Das ist immer das Gleiche, auch wenn jede Subkultur da verschiedene Schwerpunkte setzt.

Im Musikunterricht wurde zwar viel von Beethoven geredet, aber nie darüber, ob die Musik geil ist ...
... dabei war der Mensch unsterblich verliebt! Nur steckt darin zu viel, als dass sich z.B. die Mondscheinsonate zur "Kuschelklassik" zurecht stutzen ließe. Jedoch macht es die heutige kulturelle Vielfalt möglich, mit neuem Blick an Traditionen heranzugehen.
Die Vielfalt war bei "movements" Programm, denn jeder Musiker repräsentierte mit seinem Gefährt eine Kultursphäre. Claudia Michaelsen, Bratscherin am Gewandhaus, wurde auf einer Sänfte getragen; Markus König, altgedient in der kirchlichen Bandszene, dröhnte mit seiner E-Gitarre auf einem Trike umher. David Timm, als Pianist gleichermaßen in Klassik wie Jazz zu Hause, spielte auf einer Pferdekutsche. Leider hatte die "Weltfrieden" einen schweren Schaden, ein Hammondorgel spielender Kantor auf dem Ausflugsboot wäre ein Publikumsmagnet gewesen.
Eine japanische Reisegruppe vor der Oper sah sich interessiert einen alten H 6 an und staunte, als dann Matthias Gebhardt auf dem Kohlenauto sein Schlagzeug aufbaute. Es fuhr eine Rikscha vor und Matthias Zeller setzte sich mit fernöstlichen Percussions-Instrumenten hinein - die waren sprachlos ...

 ... ja, ja, die Welt ist ein Dorf. Wie klang denn das alles zusammen?
Nun, jeder startete an einem anderen Ort und hatte seinen eigenen Weg, wie "im richtigen Leben". Ich kann mir nur von den Musikern und Zuschauern erzählen lassen, was ihnen unterwegs begegnete. Vorher lief ich mehrere Tage lang mit einem Wecker in der Hand durch die Stadt, um Kreuzungspunkte zu berechnen. Und doch lief nicht alles nach Plan - wie das Leben halt so spielt. Aber um sieben trafen alle an der Philippuskirche ein, vom Kirchturm ertönte eine Posaune. Um mit diesem biblischen Zitat den Atem Gottes symbolisieren zu können, hatte ich bewußt kein Blasinstrument ins Rennen geschickt.

Und was kam nach der letzten Posaune?
Es gab Essen und Trinken und ein bewegendes Konzert mit dem David Timm-Jazz Sextett. Im modernen Jazz steckt eine tiefe Spiritualität, die Improvisation braucht und erzeugt gleichzeitig eine enorme Geistesgegenwart. Hören wie Spielen bedeutet die Annäherung an eine Idee, die vorher noch niemand kennt. Als ich die Musiker vor dem Altar spielen sah, erblickte ich ein Sinnbild. Und das in meiner Kirche - die ist kaputt und inzwischen ohne eigene Gemeinde!

Wie sagtest du, Musik ist Bewegung ...



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