|
Awful Noise
von rls anno 1998
Download
Nomen est omen? Mitnichten.
Awful Noise aus der Umgebung von Bautzen produzieren keinesfalls "garstigen
Lärm", sondern niveauvollen Grunge, den man trotz natürlich vorhandener
Ähnlichkeiten irgendwie mit keiner der etablierten seattligen Truppen
vergleichen kann. Die aktuelle Besatzung, namentlich Peter Ziesch (voc,
g), Sebastian Janze (g, voc), André Kober (b) und Ronald Reisener
(dr), schickte mir quasi mit Redaktionsschluß die folgenden Antworten
auf meine neugierigen Fragen:
Peter, du hast vor der
Bandgründung ein knappes Jahr in den USA verbracht. Was hast du dort
gemacht, und welche Einflüsse hatte dieser Aufenthalt auf Awful Noise?
Peter: "Ich habe dort bei
einer Gastfamilie gewohnt, bin zur Schule gegangen und habe viel erlebt.
Es war 1994, einige Monate nach Kurt Cobains Tod, Höhepunkt der Grunge-Welle.
Durch Gespräche mit Leuten, die Nirvana noch live gesehen hatten,
und die nach dem Erscheinen des 'Unplugged'-Albums entstandene Atmosphäre
hat Cobain für mich einen Kult-Status erworben. Das hat mich damals
sehr geprägt. Des weiteren habe ich u.a. Bands wie Pearl Jam, Smashing
Pumpkins und Soundgarden kennen- und lieben gelernt. Vor allem aber habe
ich angefangen, das Spektrum meines Musikgeschmacks zu erweitern, z.B.
in Richtung Hip Hop, Crossover, Grunge und Metal. Darin wurzelt wahrscheinlich
auch die Stilvielfalt von Awful Noise."
Was gibt's aus der Bandhistory
zu berichten?
"Es waren einmal ... drei
Freunde: André, Stephan und Peter. Sie waren allesamt Ärzte-Fans
und hatten großen Spaß daran, sich als diese zu verkleiden,
bei einer Schulfete auf der Bühne zu stehen und mit Playbackunterstützung
eine tolle Show abzuliefern. Da selbstgebaute Holzgitarren mit Schlüpfergummisaiten
keinen guten Ton erzeugten und auf Dauer langweilig wurden, kam die Idee
auf, zu richtigen Gitarren zu greifen, eine Band zu gründen und im
nächsten Jahr live zu spielen. Gesagt, getan, ging Peter, der zuvor
schon einige Jahre lang seine Nachbarn mit einer Geige gequält hatte,
bald darauf zur Musikschule, um seiner zukünftigen Rolle als Gitarrist
gerecht zu werden. Ein halbes Jahr später begab er sich auf große
Wanderschaft in die Neue Welt. Peter kaufte sich dort seine erste Gitarre
und übte viel.
Mittlerweile erlernten auch
André und Stephan das Baß- bzw. Gitarrespielen. Nach Peters
Rückkehr trafen sie sich dann im Keller ihrer Schule, um gemeinsam
zu musizieren. Hinters Schlagzeug setzte sich Andrés Nachbar Jan
und komplettierte diese neuentstandene Combo. Es wurde viel geprobt, und
nach zwei Monaten wurde, wieder bei einer Schulfete, das erste Awful Noise-Lied
vorgetragen, diesmal live. Stephan und Jan verließen die Band ein
Jahr später. Dafür kamen Ronald (dr) und Sebastian (g, voc).
Nun, 1996, ging es so richtig los. Einen neuen Proberaum fand man bei der
Evangelischen Jugend St. Petri in Bautzen. Seitdem präsentiert sich
die Band in unregelmäßigen Abständen der regionalen Öffentlichkeit.
Zu den bisherigen Höhepunkten zählen der Auftritt bei BEAT '97,
ein kurzer Beitrag über den sorbischen Background der Band im Kultur-Report
der ARD und die Rundfunkproduktion eines sorbischen Songs. Leider ist bis
jetzt noch kein brauchbares Demo zustande gekommen, was sich aber demnächst
ändern soll."
Ihr spielt zwar im Grunge-Genre,
habt euch dort aber schon eine Art kleine Nische geschaffen - energiereicher
als Soundgardens Spätwerk, aber abwechslungsreicher als Nirvana. Stimmt
ihr mir da zu?
"Ja. Wobei gesagt werden
muß, daß es uns schwer fällt, unseren genauen Stil zu
beschreiben, da die objektive Sichtweise fehlt. Wir umreißen unsere
Musik mit dem Begriff 'Grunge', um denen, die uns noch nicht gehört
haben, in etwa die Richtung zu zeigen, in die wir uns bewegen. Grunge der
Seattle-Ära ist es natürlich nicht, vielmehr unsere persönliche
Weiterentwicklung dessen, was damals entstanden ist. Verschiedene Einflüsse
wirken auf unsere Musik, die vor allem auf unsere manchmal doch sehr unterschiedlichen
privaten Hörgewohnheiten zurückzuführen sind. Heutzutage
ist es nicht leicht, einen neuen Musikstil zu (er)finden. Somit ist unsere
Phantasie gefragt, mit der wir versuchen, alles Mögliche und Unmögliche
in Musik umzusetzen."
Eine Reihe von Songs
wartet mit relativ ausgedehnten Instrumentalpassagen auf. Haben euch diverse
Siebziger-Truppen dazu inspiriert?
"Nein, eigentlich nicht.
Diese Passagen sollten einfach nur als Ausdruck unserer Spielfreude angesehen
werden. Durch den Einsatz zweier Gitarren wird man leicht dazu verleitet."
Recht originell finde
ich auch den Gesang. Peter kann nach Kurt Cobain klingen, wenn er will,
aber auch völlig anders - und schöner mehrstimmiger Chorgesang
ist ebenfalls nicht gerade grungetypisch ...
Peter: "Das mit dem Chorgesang
bezieht sich sicherlich auf den sorbischen Song 'Lipa a dub', welcher mit
dem Attribut 'radiotauglich' versehen werden sollte und so im Studio einer
totalen Umgestaltung unterlag. Einen großen Anteil am neuen Gewand
des Liedes, mit dem wir uns selbst nur schwer identifizieren konnten, hatte
der Produzent. Live klingt es natürlich anders. Da es mit Sebastian
und mir zwei Sänger gibt, versuchen wir, einige Refrains durch Zweistimmigkeit
hervorzuheben."
Wer ist für das
Songwriting zuständig?
"Größtenteils
Peter, manchmal Sebastian, einmal Kurt C. ..."
Ihr habt Texte in Englisch,
Deutsch und Sorbisch. Wovon handeln sie? Behandelt "Addicted" die in der
Grunge-Szene doch recht ausgeprägte Drogenproblematik?
Peter: "Beim Schreiben lasse
ich mich oft von persönlichen Erlebnissen inspirieren. Das soll aber
nicht heißen, alle Texte hätten einen autobiographischen Hintergrund.
Manche reflektieren sowohl meine Gedanken über aktuelle Themen als
auch meinen Standpunkt zur Problematik. Inhaltlich verfolgen die Texte
keine bestimmte Linie. Es werden verschiedene Themen verarbeitet, teils
gefühlvoll, teils kritisch-appellierend. Direkte politische Äußerungen
wird man jedoch vergeblich suchen. Übrigens, die Lyrics von 'Addicted'
beinhalten meine persönliche Auseinandersetzung mit der Drogenproblematik."
André: "Speziell
die sorbischen Texte befassen sich mit den Problemen der Sorben. Es geht
um Zukunftsängste, Kritik an den herrschenden Verhältnissen und
nationale Identifikation."
Diverse spanische und
französische Metalbands brachten ab den Frühachtzigern jeweils
zwei Versionen ihrer Alben heraus - eine in ihrer Heimatsprache und die
andere in Englisch. Haltet ihr das analog, soll heißen, verseht ihr
die sorbisch getexteten Songs mit neuen Lyrics, wenn ihr außerhalb
des sorbischen Sprachraumes spielt?
André: "Nein, denn
ich denke, daß die sorbischen Songs eine Besonderheit darstellen.
Weshalb sollten wir dann auch außerhalb des sorbischen Sprachraumes
nicht dazu stehen?"
Peter: "Nenas '99 Red Balloons'
z.B. klingt doch albern, oder? Nein, im Ernst, Französisch und Spanisch
sprechen und vor allem kennen viel mehr Leute als Sorbisch. Während
die anderen Bands aus Gründen der Textverständlichkeit ihre Lyrics
übersetzen, geht es uns mehr um die Präsentation der Sprache
und deren Gebrauch. Falls es später einmal eine CD von uns gibt, werden
die Texte im Booklet sicherlich übersetzt."
Was bedeuten euch die
sorbische Kultur im allgemeinen und die sorbische Sprache im besonderen?
"Sehr viel. Drei von uns
sprechen diese Sprache auch zu Hause. Wir beteiligen uns am kulturellen
Leben, André und Peter z.B. am Osterreiten. Natürlich haben
wir auch gegen Vorurteile zu kämpfen. Vor allem gibt es viele deutsche
Jugendliche, die denken, Sorben seien nur alte Omas in Trachten, die Ostereier
bemalen. Manche konnten sich gar nicht vorstellen, daß wir auch Sorbisch
reden. In dieser Unwissenheit finden Vorurteile einen guten Nährboden.
Dies vergrößert wiederum die Kluft zwischen beiden Völkern.
Wir sehen es als unsere Aufgabe, dazu beizutragen, daß Unkenntnis
und beiderseitiges Mißtrauen abgebaut werden. Denn die Sorben als
nationale Minderheit kämpfen mittlerweile um das nackte Überleben.
Das Wichtigste dabei ist, daß sich die sorbischen Eltern mit ihren
Kindern in dieser Sprache unterhalten. Nur so kann man die Sprache lebendig
erhalten."
Ihr gehört seit
Ende 1996 zum Bandprojekt der evangelischen Jugend St. Petri in Bautzen.
Was läuft da so an Aktivitäten?
"Dort gibt es einen technisch
gut ausgerüsteten Proberaum, in dem mehrere Bands trainieren. In den
Räumlichkeiten der Jugendbegegnungsstätte treffen sich viele
junge Leute, um gemeinsam etwas zu unternehmen, z.B. Ten Sing. Ab und zu
werden auch Konzerte veranstaltet."
Überhaupt scheint
mir die Szene in und um Bautzen recht aktiv zu sein. Aus eigenem Hören
kenne ich zwar nur Mac Ichthys und Crying Blue (geniale Band by the way),
aber den mir vorliegenden Zeitungsausschnitten zufolge scheint ja einiges
los zu sein bei euch ...
"Naja, es gibt da schon
einige Bands, aber ob man das als Szene bezeichnen kann ...? In Bautzen
selbst gibt's nur den Jugendclub Steinhaus e.V. und vielleicht einige Pubs,
die regelmäßig Live-Musik anbieten. Und dann ist ja da noch
diese 'BEAT'-Sache ..."
Gute Überleitung:
Ihr wart bei den Jugendmusiktagen "Beat 97" in Bautzen dabei. Was ist das
für eine Aktion?
"Die Stadt und das Steinhaus
veranstalten jährlich diese Musiktage mit mehreren Konzerten an einem
Wochenende. Der Höhepunkt ist ein Bandfestival der Bautzner Bands.
BEAT '98 findet vom 8.-11.10. statt. Beim diesjährigen Bandwettbewerb
im Robur sind wir sicherlich auch dabei."
Beim Kopschin-Videomitschnitt
sah es mir so aus, als sei die erste Reihe fast ausschließlich von
weiblichem Geschlecht bevölkert gewesen. Woran liegt das wohl?
"Tja ..., woran mag das
wohl liegen? Laßt uns einige Theorien aufstellen!"
Theorie 1 (Ronald): "Weil
wir so gut riechen."
Theorie 2 (Sebastian): "Bestimmt
nicht wegen Peter. Ich bin nämlich derjenige, der solo ist! Das wissen
die Frauen ganz genau!!!"
Theorie 3 (Peter): "Ich
glaube, sie stehen dort, um zu sehen, welche Effektpedale wir benutzen,
oder um unsere auf dem Griffbrett hin- und herspringenden Finger zu begutachten."
Aha. Nach Theorie 3 hat
Schlagzeuger Ronald da aber ganz schlechte Karten. Dafür darf er aber
gleich was zu folgendem kleinen Kritikpunkt sagen: Das Nirvana-Cover "Rape
me" erzeugt zwar live ordentlich Stimmung, aber als Grungeband Nirvana
zu covern ist ja fast so originell wie das Nachspielen von Manowar als
True Metal-Combo ...
Ronald: "Hier kann ich nur
teilweise zustimmen. Wir bezeichnen uns nicht als reine 'Grunge-Band'!
Grunge hat auf unsere Musik zwar einen großen Einfluß ausgeübt,
aber jeder, der unsere Songs schon einmal gehört hat, wird feststellen,
daß sie sich nicht so einfach in irgendeine Stil-schublade stecken
lassen ..."
Peter: "Für mich geht
es hier nicht um Originalität, sondern nur um Spaß an der Musik!
Uns gefällt das Lied, und es selbst zu spielen, gefällt uns noch
viel mehr. Wir spielen es ja nur live. Auf die Idee, es im Studio neu aufzunehmen,
kommt von uns keiner."
True Metal boomt ohne
Ende. Rechnet ihr euch als überhaupt nicht im Trend liegende Grungeband
überhaupt Chancen auf einen größeren Bekanntheitsgrad aus?
Sebastian: "Ich würde
nicht sagen, daß wir nicht im Trend liegen. Bis jetzt hatten wir
auf unseren Konzerten immer eine gute Resonanz vom Publikum."
Ronald: "Die Chance auf
einen größeren Bekanntheitsgrad ist meiner Meinung nach nicht
geringer als die einer 'True Metal'-Band. Außerdem würde sich
hier für uns die Frage aufwerfen, wie bekannt wir eigentlich werden
wollen. Dazu soviel: Um in einer Musiksendung bei bestimmten Fernsehsendern
vorgestellt zu werden, muß man im richtigen Moment die richtigen
Leute treffen. Diese Chance haben wir genauso wie viele andere Bands auch.
Doch ist man in unserer Situation auch auf ein wenig Glück angewiesen.
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, wir wollen nicht hoch
hinaus. Wenn man die Möglichkeit hat, warum nicht? Aber es macht am
Ende vielleicht mehr Spaß, als 'Insider-Band' zu gelten und in Clubs
zu spielen, einfach eine Band zu sein, deren nächstes Konzert man
kaum erwarten kann, weil man die Band sonst nirgendwo hört!"
Wann kann man euer Können
auf einem Tonträger bewundern?
Ronald: "Ohne Moos nix los!"
Soweit der normale Fragenteil.
Wie in allen Interviews der "Titel, Thesen, Temperamente"-Rubrik folgt
auch jetzt noch eine Liste mit Schlagwörtern, die ihr bitte - je nach
Geschmack kurz oder ausführlich - kommentiert. Auf geht's!
? Lassing
"Ein tragisches Unglück.
Wahrscheinlich ist die Unvernunft des Menschen daran schuld."
? Theo Waigel
"Ob es einer besser machen
würde, ist fraglich."
? China
"Die Wege des Herrn sind
unergründbar ..."
? Der Split von Soundgarden
"Schade eigentlich, war
eine gute Band. Chris Cornells Stimme wird sicherlich noch irgendwo zu
hören sein."
? St. Marienstern
"So heißt der Verein,
in dem André an seiner Fußballerkarriere bastelt. Aber zur
1. Sächsischen Landesausstellung ebendort im Kloster: Auf Kosten der
Ordensschwestern verdienen andere das große Geld."
? Horno
"Eine schwierige Frage aufgrund
der jetzigen wirtschaftlichen Situation: Arbeitsplätze und Energie
contra Lebensraum der Sorben. Bemerkenswert ist dabei, daß es in
Horno 'angeblich' doch noch Sorben gibt - wahrscheinlich hat man sich erst
jetzt, in dieser mißlichen Lage, daran erinnert. Der Hauptgrund für
den Kampf der Sorben gegen die Abbaggerung liegt abe nicht nur in der weiteren
Existenz dieses einen Ortes, sondern, da es sich hier um einen Präzedenzfall
handelt, in der Erhaltung anderer bedrohter sorbischer Dörfer."
? Spaghetti mit Tomatensoße
"Eßbar."
? Die Gemeindegebietsreform
"Betrifft uns nicht."
? Internet
"Ronald bewegt sich oft
in diesen Gefilden. Sende Deine E-Mail an: cedeix@Lusatia.de!"
? Panschwitz-Kuckau
"Ein schönes Dorf im
sorbischsprachigen Gebiet der Westlausitz. Dort steht Andrés Bett."
Und nun noch 'ne Abschlußfrage:
Wer wird neuer Bundeskanzler?
"Karl Ramseier!"
Aha, der erfolgloseste Politiker
aller Zeiten also ... Nun denn, wer die garstigen Lärmer, äh,
die Jungs von Awful Noise kontakten will, kann außer der o.g. elektronischen
auch die ganz normale Post bemühen. Man sende die Mitteilungen an:
Peter Ziesch, Bautzner Straße 3 Lehndorf, 01920 Panschwitz-Kuckau.
© by CrossOver
|
|
|