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Christoph Spendel
von *tf anno 2003

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Wir Musiker wollen den Frieden ...

Christoph Spendel

Als erfolgreicher Jazzpianist, Keyboarder, Komponist, Bandleader und Produzent sowie als professoraler Dozent an der Akademie Remscheid und der Frankfurter Musikhochschule hast Du schon einiges erreicht, von dem andere Musiker - vor allem Nachwuchstalente - noch träumen. Wie begann Deine Karriere? Mit welcher Musik?
Meine musikalische Laufbahn begann im Alter von 5 Jahren mit klassischer Musik bei meiner Mutter, einer Musikpädagogin und Konzertpianistin. Später im Alter von ca. 14 Jahren entdeckte ich die Band The Nice mit Keith Emerson. Mir war damals nicht klar, dass es sich um jazzverwandte Rockmusik handelte. Ich wusste nur eins: diese Musik gefällt mir und diese Musik möchte ich selber spielen. Als mir dann später klar wurde, dass es sich um Jazz handelte, gab ich mein gesamtes Geld für Jazzplatten aus: Oscar Peterson, Dave Brubeck, Herbie Hancock, Chick Corea etc. Zu der Zeit so um 1970/71 begann eine sehr kreative und populäre Synthese: der Jazzrock. Bands wie Weather Report, Mahavishnu Orchestra, Miles Davis's Bitches Brew Project etc. haben mich ebenfalls fasziniert. So legte ich damals schon den Grundstein für meine stilistische Zerrissenheit, im positiven Sinne, zwischen Elektrischen und Akustischen Jazz und diese kreative Auseinandersetzung sollte bis heute anhalten. Meine ersten Bands waren deshalb nicht verwunderlicherweise in beiden Lagern stationiert. Wir zogen manchmal in Düsseldorf so gegen 19 Uhr in die Clubs und jammten bis zum Morgengrauen, sehr zu ungunsten meiner schulischen Leistungen. Meine erste professionelle Band war Jazztrack aus Düsseldorf. Mit dieser Band war ich von 1975 bis 1979 on the road und lernte dort alles über Musik, Business, Plattenfirmen, Radio und Presse. Wir spielten überall in Europa, in Berlin in der Philharmonie auf den Jazztagen. Danach gründete ich meine eigenen Bands, wie gesagt elektrisch und akustisch. Außerdem folgten Piano solo-Konzerte und Duo-Konzerte mit dem Vibraphonisten Wolfgang Schlüter. 1993 ging ich nach New York für 4 Jahre und wurde Mitglied der Band Special EFX. Aus N.Y. wieder zurück startete ich das Piano-Duo "Jazz meets Classic" mit dem Pianisten Ratko Delorko. Wir spielen Material von Bach bis Hip Hop.

Du bist Musiker und Pädagoge. Eine günstige Konstellation?
Es war für mich immer eine Sache: zu unterrichten und zu spielen. Man lernt beim Unterrichten wahnsinnig viel dazu, ich möchte es nicht missen. Mit 15 hatte ich schon Schüler, die waren 30, da musste ich mich schon anstrengen.

Als "Weltreisender in Sachen Musik" bist Du schon in vielen Ländern - oftmals über längere Zeit - tätig gewesen. Was bedeutet das für Deinen "musikalischen Horizont"?
Sehr viel. Jedes Land hat seine eigene Geschichte, das spiegelt sich in der Musik zuerst nieder, denn Musik eines fremden Landes kann man verstehen, ohne diese Sprache zu sprechen. In den letzten Jahren war ich 4 mal in Kuba, dies waren die besten Rhythmikkurse, die ich je besucht habe. Das Land steckt voller Energie und diese habe ich zu Genüge getankt. Aber auch die 4 Jahre in New York und meine vielen Besuche in Israel haben mir vieles gezeigt. New York ist und bleibt musikalisch gesehen der Nabel der Welt. Man kann da aber nicht immer leben. In N.Y. zu wohnen bedeutet auf der Autobahn 170 im dritten Gang zu fahren. Trotzdem eine Zeit, die ich nicht missen möchte.

Du bezeichnest sich selbst als "Crossover-Musiker". Was verstehst Du unter diesem Begriff?
Es bedeutet diverse Stile zu beherrschen und diese zu einer neuen Synthese zu verschmelzen.

Du bist in einer Vielzahl von Stilen und Besetzungen zu Hause. Gibt es darin für Dich persönliche Favoriten?
Keine, ich liebe sie alle.

Eines der zahlreichen Spendel-Alben

Mit vielen internationalen Musik-Größen hast Du schon gemeinsam musiziert. Ist das eine andere Qualität des Musikmachens?
Nein. Mit nationalen Größen kann ich genau die selben Resultate erzielen. Es macht halt viel Spaß, mit verschiedenen Musikern zu arbeiten. Dabei spielt es keine Rolle, wie bekannt sie sind und wo sie herkommen.

Wie stellt sich für Dich die deutsche Jazzszene momentan dar?
Deutschland hat super Musiker: Till Brönner, Michael Sagmeister, Albert Mangelsdorff, Joachim Kühn - der leider verstorbene Gitarrist Volker Kriegel war einst Vorbild für Pat Matheney. Man muss Ellbogen entwickeln, um von den internationalen Überangeboten nicht erdrückt zu werden. Wir haben eine der kreativsten Musikszenen der Welt, aber die Festivals ersticken im amerikanischen Mittelmaß.

Christoph Spendel am Handwerkszeug

In der Zeit gecasteter Formationen und Retorten-Superstars ist die Diskussion um den Stellenwert von Käuflichkeit und Ehrlichkeit in der Karriere von Musikern wieder aufgeflammt. Welchen Rat würdest Du talentierten Nachwuchsmusikern geben, die ohne den Hype von Plattenfirmen und Privatsendern nach vorn kommen wollen?
Versucht euer Instrument zu lernen, versucht dort eure eigene Stimme zu finden und versucht durchzuhalten. Man sollte alle Möglichkeiten des Geldverdienens in Anbetracht ziehen: Studioarbeit, Unterricht usw. Man darf sich für nichts zu schade sein, denn man lernt überall dazu und bekommt Connections. Wenn ihr mit eurer Musik nicht erfolgreich seid, heißt es nicht, daß eure Musik schlecht ist. Es ist aber auch problematisch als Profimusiker von etwas zu leben, was man liebt, und zwar von der Musik.

Musiker haben immer die Möglichkeit, über ihr eigenes musikalisches Schaffen hinaus auch ihre Wertvorstellungen öffentlich zu machen. Findest Du, dass beides zusammengehört oder ist Kunst eben nur Kunst und sonst nichts?
Musik ist eine Plattform für das gesamte Individuum, deshalb sollte jeder Musiker das musikalisch umsetzen, was seiner Identität entspricht. Dazu gehören geistige und politische Gesinnung. Als Musiker gebe ich ein soziales Statement ab und als Jazzmusiker sowieso. Eigentlich fühle ich mich nicht so sehr als Künstler. Ich betrachte mich mehr als Kunstschaffenden.

Zum Abschluss bitte ich Dich zu folgenden Stichpunkten um kurze Statements:
> Musikunterricht

Wenn er gut ist, nur her damit.
> Das Steuerkonzept von Merz
Ich traue keinem Politiker oder Partei.
> Kulturförderung
Kann nicht genug sein.
> Israel und Palästina
Tja, das ist leider ein finsteres Kapitel. Ich war selber ca. 10 mal in Israel, habe dort gespielt und mit einheimischen Musikern produziert. Diese suchen alle den Dialog und Frieden. Auf der anderen Seite war ich auch: in Ägypten und Jordanien, und wie Sting einmal sagte: "They Love Their Children Too". Wir Musiker wollen den Frieden, egal welche Hautfarbe oder Religion Menschen haben.
> illegales CD-Kopieren
Eigentlich als Musiker und Komponist finde ich es nicht gut, aber die Bevölkerung holt sich nur das zurück, was die Musikindustrie jahrelang zu überdrehten Preisen eingesackt hat. CDs sind zu teuer, das Imperium schlägt zurück ...
> EU-Erweiterung
Nur gut für die Musikszene, für das friedliche Zusammenwachsen der Völker
> Weihnachten
Ich liebe Weihnachtslieder, Geschenke, Parties, Glühwein, Weihnachtsmärkte, mit netten Menschen zusammen zu sein.

Christmas-CD von Christoph Spendel

Vielen Dank für das interessante Gespräch. Noch ein Schlusswort?
Vielleicht noch ein paar Gedanken an Nachwuchsmusiker: Es gibt außermusikalische Dinge, die eure Musik positiv beeinflussen werden: Sport und gesunde Ernährung, ganz wichtig wenn man "on the road" ist. Die Rechnung mit "sex, drugs and rock and roll" geht nicht auf. Hört nicht nur die Musik, die ihr gerne spielt, sondern versucht das gesamte musikalische global village zu beleuchten. Es gibt ein paar musikalische Galionsfiguren und Stile, die sollte man kennen: Miles Davis, John Coltrane, Jimi Hendrix, die Beatles, Herbie Hancock, Strawinsky, Bach, Salsa, Die Musik der Bulgarischen Frauenchöre, Weather Report und Joe Zawinul, Arabische Folkmusik, LTJ Bukem, Jan Gabarek, Ravi Shankar, Bob Marley, die Musik Kubas, ...

Hier gehts zur Homepage von Christoph Spendel: www.spendel.com. Dort könnt ihr auch den alle drei Monate erscheinenden Newsletter bestellen.
Und hier gibts u.a Rezensionen von Tonträgern, die Christoph Spendel veröffentlicht hat.




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