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Deutsch Sein
von Christine Range
(Columnäe aus CrossOver
1/01)
Die Landesvereinigung Kulturelle
Jugendbildung Sachsen e.V. hat einen Jugendkunstpreis ausgeschrieben. Das
wäre an sich keiner besonderen Mitteilung wert, wäre da nicht
das Thema, das fast jeden, der es hört, irgendwie irritiert, fragend
aufblicken oder die Bauchmuskeln zusammenziehen lässt: DEUTSCH SEIN.
Warum löst diese einfache Feststellung solche Gefühle aus? Warum
war das Thema nur konsensfähig mit dem Zusatz: IN DEUTSCHLAND LEBEN?
Die Diskussionen im Vorfeld
der Ausschreibung waren spannend wie lange nicht. Das Schöne daran,
es ging nie um Geld, es ging um Inhalte. Es ging um unsere Fragen, die
wir damit in den Raum stellen, um unseren Anspruch, den wir mit kultureller
Bildung verbinden, um die Art und Weise, wie Qualität in diesem Falle
bewertet werden kann, wie wir mit Einsendungen umzugehen gedenken, die
sich politisch klar rechts außen zuordnen lassen ... Es war ein mutiger
und sehr demokratischer Meinungsbildungsprozess, der da stattgefunden hat
und an dem sich viele Mitglieder und Partner der LKJ beteiligten.
Was hat uns bewegt, uns diesem
Thema zuzuwenden? Die LKJ engagiert sich seit vielen Jahren in der internationalen
Jugendarbeit. Bei solchen Begegnungen beobachten wir bei den deutschen
Teilnehmern die (häufig auch selbst artikulierte) Schwierigkeit, souverän
und selbstbewusst mit ihrer deutschen Herkunft umzugehen, wie es z.B. ganz
selbstverständlich für junge Polen oder Tschechen ist. Einen
Länderabend zu organisieren, bereitet größte Probleme:
Volkslieder will man nicht so recht, da kommt man sich komisch vor, kennt
auch die Texte nicht mehr; bei der Suche nach einem typisch deutschen Gericht
kommt man ins Streiten um Bratwurst und Sauerkraut. Konsensfähig ist
höchstens Laurenzia ... Man ist unsicher im Umgang mit der eigenen
Nationalität. Man ist befangen. Man fühlt sich unwohl, zu diesem
starken, reichen und mächtigen Deutschland zu gehören. Oder aber
man traut sich nicht zu sagen, dass man stolz ist auf Deutschland, aus
Furcht, missverstanden zu werden. Man beobachtet die anderen und ihren
selbstverständlichen Umgang mit ihren Traditionen und man beneidet
sie ein wenig darum....
Diesem Problem wollen wir
uns mit dem Thema des diesjährigen Jugendkunstpreises stellen. Vor
allem wollen wir eine offene Diskussion, die alle Fragen zulässt.
Fragen stellen dürfen sollte zur demokratischen Kultur einer Gesellschaft
gehören. Man mag zu Martin Walser stehen wie man will, aber seine
anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
gestellten Fragen nach der ewigen Schuld der Deutschen sind auch die vieler
junger Menschen.
Die Suche nach der eigenen
kulturellen Identität und Herkunft gestaltet sich ambivalent und steht
in engem Zusammenhang mit der Aufarbeitung jüngerer deutscher Geschichte.
Der Holocaust lastet auch auf den Jungen, die mit diesem Kapitel deutscher
Geschichte nichts zu tun hatten. Wie gehen sie damit um - wie gehen wir
damit um? Wie gehen ostdeutsche Jugendliche damit um, in einem Land geboren
zu sein, das es nicht mehr gibt, das aber die Lebenseinstellungen und Biographien
ihrer Eltern entscheidend geprägt hat und damit auch auf sie zurück
wirkt? Viele verspüren ein Gespaltensein, eine innere Unsicherheit.
Diese Unsicherheit verspüren auch ausländische Kinder und Jugendliche,
die in Deutschland leben. Wer fragt sie denn, wie sie zurecht kommen mit
deutscher Kultur, Sprache und Lebensweise, den sogenannten deutschen Tugenden?
Was gefällt ihnen in diesem Land und was macht ihnen angst? Wir wollen
sie bei der Suche nach ihrer Identität unterstützen und begleiten.
Wir haben in unserem Arbeitsfeld, der außerschulischen kulturellen
Jugendbildung, dafür gute Möglichkeiten. Wir werden sie nutzen,
auch mit diesem Wettbewerb: DEUTSCH SEIN - IN DEUTSCHLAND LEBEN.
Christine Range
geb. 1955
Lehrerstudium in Leipzig,
Promotion auf dem Gebiet der Literaturwissenschaft
seit 1997 Geschäftsführerin
der LKJ Sachsen e.V.
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