www.Crossover-agm.de Wie haben wir gelacht ...
von Karl Ludwig Ihmels
(Columnäe aus CrossOver 2/98)

... als wir lange vor der Wende mit westdeutschen Freunden in den Regalen eines einschlägigen Geschäftes tatsächlich „geflügelte Jahresendfiguren“ neben „Jahresendkarussells“ fanden. Bis dahin hatten wir solche sprachliche Ungetüme für das Ergebnis kabarettistischer Satire gehalten. Jetzt zeigte sich, daß die volksdemokratische Wirklichkeit mindestens so komisch war wie eine - im übrigen fast nur „beziehungsweise“ - miterlebbare Kabarettvorstellung.

Mit Hilfe solcher Wortschöpfungen versuchten die realsozialistischen Sprachregler, religiöse Überbleibsel aus dem öffentlichen Bewußtsein zu verdrängen. „Engel“ und „Weihnachtspyramide“ erinnerte ein bißchen zu sehr daran, daß es außer dem von vielen als grau erlebten Arbeits(kampf)alltag („mein Arbeitsplatz - mein Kampfplatz“) noch etwas anderes geben könnte. Folgerichtig firmierte der simple Schokoladenweihnachtsmann unter der anspruchsvollen Bezeichnung „Vollmilchschokoladenhohlkörper“. Hohl - das war das Stichwort.

Die Freunde „von drüben“ konnten sich königlich mit uns über die sprachlichen Absonderlichkeiten der mit Recht zuende gegangenen Republik amüsieren, ob das nun Witze über den neuerdings wieder herbeigewünschten „Abschnittsbevollmächtigten“ waren, der seine Berufsbezeichnung angeblich dem Vorrecht verdankte, einen Hingerichteten vom Galgen abschneiden zu dürfen, oder die kaskadenartigen Genitivkonstruktionen („der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises“) oder die gebetsmühlenartige Wiederholung sämtlicher Titel hoher Funktionäre („der Generalsekretär der SED und Vorsitzende des Staatsrates“).

Wenn es noch eines Beweises für die Unfähigkeit der Herrschenden bedurft hätte, in diesen sprachlichen Entgleisungen waren sie für jedermann sichtbar. Wer nicht einmal vernünftig deutsch reden kann ...

Nach der Wende übernahm bei uns ein westdeutscher Betrieb die Abfallentsorgung. Als uns die braune Tonne vor die Tür gestellt wurde, erhielten wir dazu eine Gebrauchsanleitung und erfuhren, daß zunächst die kompostierfähigen Abfälle im mitgelieferten „Vorsortiergerät“ zu sammeln sind. Für unkundige Neu-Bundesbürger war in Klammern dankenswerterweise vermerkt: „brauner Eimer“.

Nicht immer wurde so nachsichtig das ostzonale Hinterwäldlertum berücksichtigt. So rätselte ich beispielsweise tagelang, was wohl ein „Pauschbetrag“ sein könne. Etwas Aufgebauschtes - bloß falsch geschrieben? Am liebsten hätte ich das Formular in Bausch und Bogen weggeworfen, bis ein eifriger Umlerner dem etwas zurückgebliebenen Mit-Ossi gönnerhaft erklärte, daß es um einen Pauschalbetrag gehe.

Später stieß ich auf den „Rechtsbehelf“. Das schien mir vertraut. Schließlich gab und gibt es bis heute die Behelfsausfahrt Berbersdorf, die man auf Grund ihres behelfsmäßigen Charakters nur mit 30 km/h befahren darf. Außerdem gab es früher gelegentlich triste, aus heutiger Sicht allerdings ökologisch sehr sinnvolle „Behelfsverpackungen“. Wenn nämlich in der zuliefernden Verpackungsindustrie ein „Engpaß“ eingetreten war, wurden die „hochwertigen Konsumgüter“ einfach in schlichte Pappkartons gesteckt, die neben der Inhaltsangabe die Aufschrift „Behelfsverpackung“ erhielten. Ein „Rechtsbehelf“ mußte folglich etwas sein, was aushilfsweise an Stelle eines etwas schwachen oder nicht vorhandenen Rechtes trat. Also unterschrieb ich flugs die Rechtsbehelfsverzichtserklärung - lieber richtiges Recht als irgendeinen Behelf - und bekam das beantragte Geld sofort. Widrigenfalls hätte ich bis zum Verstreichen der gesetzlich geordneten Widerspruchsfrist warten müssen.

Mittlerweile weiß ich natürlich, wie dumm ich damals war. Ich habe auch kapiert, daß ein Bewilligungszeitraum, keineswegs der Zeitraum ist, in dem über Bewilligungen entschieden wird, sondern der Zeitraum, in dem das bewilligte Geld ausgegeben werden muß.

Allerdings gestehe ich: Als siebenjährigem Neubundesbürger kommt mir noch immer manche „Altbundes-Wendung“ merkwürdig vor, z.B. wenn ein Amt etwas „verbescheidet“ oder Menschen in Flieger statt in Flugzeuge steigen - ob wir demnächst Fahrer statt Fahrzeuge benutzen werden? Die neuen Sprachregelungen entbehren nicht einer gewissen Komik: Stagnation ist jetzt „Nullwachstum“, Verluste werden mediengerecht als „negatives Wachstum“ verkauft, Fleisch wird „an Saucen“ serviert und Ergebnisse nicht mehr z.B. 1998, sondern „in 1998“ erzielt. Überflüssige Gebäude werden „zurückgebaut“, Prozente heißen jetzt „vom Hundert“.  Die Reihe ließe sich fortsetzen.

Schön, daß es wieder etwas zu lachen gibt; schade nur, daß sich unsere altbundesrepublikanischen Freunde nicht recht mit uns über solcherlei Sprachwunder amüsieren können. Liegt das am fehlenden Abstand zur Sache oder an der Ahnung, daß der herrschende Sprachgebrauch Rückschlüsse auf den inneren Zustand einer Gesellschaft zuläßt - wenn die Worte anfangen, nicht mehr das zu bedeuten, was sie besagen?

Wie auch immer: Ich nehme mir die Freiheit, über die neuen sprachlichen Merkwürdigkeiten genauso zu lachen wie über die alten. In Abwandlung eines verkehrspädagogischen Slogans meine ich: Sie lachen mit Abstand am besten.
 

Karl Ludwig Ihmels ist sächsischer Landesjugendpfarrer



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