www.Crossover-agm.de VOCAL CONCERT DRESDEN: Lob, Ehr und Preis sei Gott - Die schönsten deutschen Kirchenlieder
von rls

VOCAL CONCERT DRESDEN: Lob, Ehr und Preis sei Gott - Die schönsten deutschen Kirchenlieder   (Berlin Classics)

Manchmal entwickeln sich Dinge nicht so in die Richtung, wie man sie eigentlich erwartet hat. Ein klassisches Beispiel ist das Dorf Polditz auf halbem Weg zwischen Leipzig und Dresden. In dessen Ortsteil Altleisnig hatten Muldehochwässer über Jahrhunderte hinweg immer wieder Schäden an der Kirche angerichtet, weshalb man im 19. Jahrhundert beschloß, ein neues Gotteshaus in hochwassersicherer Lage in Polditz zu errichten. Nun fand sich gleichzeitig aber in nicht allzugroßer Entfernung Braunkohle, und in der Erwartung, daß deren Abbau zu einem starken Bevölkerungszuwachs führen würde, wie man das aus anderen mitteldeutschen Braunkohlerevieren kannte, baute man ein für die seinerzeitige Einwohnerzahl viel zu groß bemessenes Gotteshaus, um auch für die erwarteten Zuzügler ausreichend Platz zu haben. Um das Ganze abzurunden, leistete man sich den damals renommiertesten mitteldeutschen Orgelbauer Friedrich Ladegast, der ein angemessenes spätromantisches Großinstrument baute - nicht so groß wie seine Meisterwerke etwa im Merseburger Dom, aber doch so groß, wie es kaum eine andere Dorfkirche hatte, und zudem qualitativ so hochwertig, daß man auch "kulturverwöhnte" Zuzügler hätte zufriedenstellen können.
Aber es kam anders: Die Braunkohlevorkommen erwiesen sich als nicht sonderlich ausgedehnt und zudem als qualitativ minderwertig, so daß die Förderung bald wieder eingestellt und nur in expliziten Notzeiten wie nach dem Zweiten Weltkrieg kurzzeitig wieder aufgenommen wurde. Der erhoffte Aufschwung fand also nicht statt, Polditz blieb ein kleines landwirtschaftlich geprägtes Dorf, und nur die für Dorfverhältnisse riesige Kirche zeugt noch von den Plänen aus der Vergangenheit. Irgendwie schaffte es die Gemeinde auch immer, den notwendigen Bauunterhalt zu gewährleisten, und auch die Ladegast-Orgel konnte dank eines aktiven Orgelfördervereins vor wenigen Jahren restauriert werden und dient seither als wertvolles und weitgehend original im Stil ihrer Erbauungszeit erhaltenes Konzertinstrument, das auch von international renommierten Organisten angesteuert wird, die gleichzeitig andere Ladegast-Instrumente Mitteldeutschlands bespielen.
Genau diese Kirche und diese Orgel hat sich Peter Kopp ausgesucht, um die Jubiläums-CD des Vocal Concert Dresden aufzunehmen. 20 Jahre besteht dieser Chor nun schon, die ersten 15 als Körnerscher Sing-Verein, seit 2008 unter dem heutigen Namen. An der Konzert- wie der CD-Front regelmäßig und qualitativ überzeugend unterwegs, hat sich das Ensemble einen gehobenen Status ersungen und möchte diesen mit der vorliegenden CD ein weiteres Mal festigen. Freilich haben sich Kopp und die Sänger diese Aufgabe alles andere als leicht gemacht: Auf dem Programm steht nicht etwa ein großer und irre schwerer Schinken der Chorsinfonik, sondern eine Sammlung von 25 traditionellen Kirchenliedern. Das Attribut "Die schönsten" assoziiert eine Best Of mit einer Kompilation bereits anderweitig erschienener Aufnahmen, aber hier handelt es sich um explizit für diese CD entstandene Einspielungen. Die Herausforderung lag in zwei anderen Bereichen: Erstens hatte Kopp die seiner Meinung nach "schönsten" aus Hunderten, ja Tausenden Kandidaten herauszufiltern (er begründet seine Wahl jeweils kurz, aber eher indirekt im Booklet), und zweitens mußten die auch noch in eine CD-kompatible Form gebracht werden. Schließlich ist das klassische deutsche Kirchenlied normalerweise zum "Einzelgebrauch" im Gottesdienst gedacht, nicht aber dafür, 25 Exempel in knapp 72 Minuten am Stück zu hören. Kann man über Punkt 1 kaum diskutieren (hier ist alle Erörterung, daß aber Lied X viel eher auf die CD gehört hätte als Lied Y, völlig müßig), so ist das bei Punkt 2 schon anders. Denn obwohl Kopp durchaus geschickt auf der ihm stilistisch zur Verfügung stehenden Klaviatur spielt, machen sich gegen Ende der CD doch erste Erschöpfungserscheinungen beim Hörer bemerkbar. Da können die Sätze noch so gut ausgewählt und stimmlich verteilt worden sein - das Hören beginnt irgendwann anzustrengen, und vielleicht sollte man die CD daher nicht am Stück hören, sondern auf mehrere Male verteilt, um auch die durchaus vorhandenen Highlights angemessen wahrnehmen und würdigen zu können. Daß gerade die vom gewöhnlichen vierstimmigen Satz abweichenden Sätze besonders herausstechen würden, war zu erwarten, und hier gelingen dann auch ein paar kleine Meisterwerke, etwa das gerade in seiner auf die gregorianischen Vorbilder rekurrierenden Einstimmigkeit Wirkung entfaltende "Christ ist erstanden" oder das solistisch dominierte "Befiehl du deine Wege". "Christ ist erstanden" markiert zugleich auch den ältesten Beitrag der CD - daß der jüngste, "Der Mond ist aufgegangen", auch schon mehr als zwei Jahrhunderte auf dem Buckel hat, spricht Bände bezüglich der Zwangsjacke, in der die heutige Kirchenmusik zu stecken glaubt und partiell wirklich steckt. Nur einige der Sätze sind jüngeren Datums, und einige der Lieder koppeln auch in oft durchaus interessanter Weise Sätze verschiedener Epochen, etwa "Jesus, meine Zuversicht", das Sätze von Bach und Reger mit einem von Rudolf Mauersberger rahmt und verdeutlicht, in welchem Maße auch die "Jüngeren" in der protestantischen Kirchenmusiktradition mit Bach als Gipfelpunkt verwurzelt waren. Hier ist auch das unterschiedliche Tempomanagement interessant, indem Reger viel langsamer zu Werke geht als Bach und Mauersberger. In Mauersbergers letzter Strophe vollbringt auch die Orgel ihre strukturell wichtigste Partie der ganzen CD, in der die spätromantisch-"mulmig" tönenden Register ihren ganzen merkwürdigen Reiz entfalten können (an den Tasten ist Sebastian Knebel zu hören, ein gefragter Alte-Musik-Spezialist aus Dresden). Für "Auf, auf, mein Herz, mit Freuden" erweist sich das gedeckte Klangbild des Instrumentes allerdings als nur bedingt geeignet, dem selbst die Oberstimmengirlande in der vorletzten Strophe nicht genügend Freudigkeit einspritzen kann. Viele Sätze erklingen aber auch a cappella (u.a. "In dir ist Freude" im althergebrachten Satz von Giovanni Giacomo Gastoldi, das eben durch Verzicht auf die Orgel das eben genannte Problem geschickt umgeht) und zeigen den Kammerchor auch in dieser Version voll auf der Höhe, wenngleich geringfügige Unstimmigkeiten etwa in den Ritardandi in dieser "nackten" Form natürlich besonders stark auffallen (es gibt nicht viele, aber man höre sich etwa mal genau die Männerstimmen am Ende von "Schönster Herr Jesu" an). Hier und da überrascht Kopp mit bestimmten Elementen, etwa dem ungewohnt zügigen Tempo von "O Haupt voll Blut und Wunden", das aber eben dadurch geeignet ist, quälende Erinnerungen an schleppende Wiedergaben drittklassiger Ensembles wegwischen zu helfen. So entdeckt man beim genauen Hinhören immer wieder Interessantes, das beim Hören "am Stück" irgendwann wegzurutschen droht. Aber diese Einschätzung wird vielleicht auch individuell beim Hörer variieren. Unstrittig dagegen ist die edle Aufmachung mit dickem, 52seitigem Booklet, das neben den erwähnten Liner Notes von Peter Kopp auch alle Choraltexte plus komplette englische Übersetzungen (die Choraltexte inbegriffen!) enthält. Unglücklicherweise ergibt sich durch die Dicke des stabilen Papp-Digipacks und die Tatsache, daß er einen Millimeter höher ist als eine normale Jewelcase-CD, der ärgerliche Umstand, daß man das Package zwar mit Gewalt in ein Fach der üblichen 60er-CD-Kisten zwängen könnte, es aber dort zerstörungsfrei nie wieder herausbekommen würde, was eine normale Archivierung des Albums unmöglich macht. Aber bezüglich dieses Faktums hat sich der Rezensent längst mit seiner Rolle als Rufer in der Wüste abgefunden. Wen dieser Fakt und das genannte Anstrengungspotential beim Am-Stück-Hören nicht stört, der kann sich mit dieser CD durchaus etwas Gutes tun.
Kontakt: www.edelclassics.de, www.vocalconcert.de

Tracklist:
Nun lasst uns Gott, dem Herren
Wachet auf, ruft uns die Stimme
Befiehl du deine Wege
Ein feste Burg ist unser Gott
Du meine Seele, singe
Gott des Himmels und der Erden
O Gott, du frommer Gott
O Mensch, bewein dein Sünde groß
Christ ist erstanden
Nun bitten wir den Heiligen Geist
Wer nur den lieben Gott lässt walten
Großer Gott, wir loben dich
Jesus, meine Zuversicht
Schönster Herr Jesu
O Haupt voll Blut und Wunden
Auf, auf, mein Herz mit Freuden
In dir ist Freude
O Heiland, reiß die Himmel auf
Vom Himmel hoch, da komm ich her
Herr Christ, der einig Gotts Sohn
Wie schön leuchtet der Morgenstern
Nun danket alle Gott
Wie lieblich ist der Maien
Geh aus, mein Herz, und suche Freud
Der Mond ist aufgegangen
 




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