www.Crossover-agm.de V.A.: Vägra Raggarna Benzin - Punk Fran Provinserna 78-82 Vol. I & II
von rls

V.A.: Vägra Raggarna Benzin - Punk Fran Provinserna 78-82 Vol. I   V.A.: Vägra Raggarna Benzin - Punk Fran Provinserna 78-82 Vol. II   (Massproduktion)

Was auf diesen beiden CDs drauf ist, verät im Prinzip der Name schon: Punk aus der Provinz, in diesem Falle aus der schwedischen Provinz, wozu im Prinzip ganz Schweden außer Stockholm und Göteborg zählt. Die Frühpunkszenen beider erwähnten Städte sind bereits auf anderen Compilations ausgiebig behandelt worden, nun folgt also das, was man außerhalb der beiden Metropolen in der Unmittelbar-nach-1977-Zeit unter Punk verstand - ein bißchen Früh-Wave ist auch dabei, denn der besaß zu dieser Zeit durchaus noch musikalische Berührungspunkte mit dem Punk. Die 41 vertretenen Bands sangen fast ausnahmslos in Schwedisch, und in ebendieser Sprache sind auch die Booklets abgefaßt, so daß die Bandhistorys für den gemeinen Mitteleuropäer nur mittels verstehenden Lesens erschließbar sein dürften, man aber auch noch leichter auszuknobelnde Line-up- und Recording-Informationen bekommt. Die meisten Tracks gelangten seinerzeit zu Vinyl-Single- oder EP-Ehren, und der Sammler bezahlt für viele der Originale heutzutage eine schöne Stange Geldes.
Generell fallen einige Bands etwas aus dem typischen 77er Rahmen (der aber generell einer sehr breiten Interpretationsskala unterliegt - zwischen zwei und vier Akkorden ist alles erlaubt, und die meisten Sänger klingen original nach viel Feuerwasser), nachdem die eröffnenden P-nissarna mit "Benzin" zunächst den Compilationtitel erklärt haben. Noise beispielsweise brachten in "Tror Du" eine fast psychedelisch wabernde Orgel im Hintergrund unter. Pizzoar waren kurioserweise schon 1980 beim Massproduktion-Label unter Vertrag und klangen, als ob sie eine Sängerin der Tonlage Marianne Faithful hätten, obwohl im Line-Up ein Anders "Fimpen" Hammerström angegeben ist. Dagens Ungdom gingen in "En Villa I Utkanten Av New York" wie eine progressiv-dadaistische Mischung aus Sonic Youth, Eloy und einigen der Sub Pop-Bands zu Werke, womit sie der allgemeinen musikalischen Entwicklung um gut zehn Jahre voraus waren (der eine Gitarrist heißt kurioserweise Magnus Mandolin). Wirklich eine Sängerin hatten Lolita Pop, die mit "Guld Här?" einen durchaus mehrheitsfähigen Hit eingespielt hatten, der im "Musikladen" mit Kußhand entgegengenommen worden wäre und auch aus der NDW hätte stammen können. Gleich noch 'ne Sängerin kam uns bei Mizz Nobody entgegen, klang aber in "Smittad" bedeutend kratzbürstiger, wohingegen die Gitarre von Thomas Holst viele Reggae-Soundeffekte über sich ergehen lassen mußte. Auch bei Besökarna spielte eine Frau - Anna Gustavson stand allerdings hinter der Orgel ihren Mann und trug entscheidend zum Doors-Touch von "Anna Greta Leijons Ögon" bei. Ganz relaxte Mittachtziger-Ärzte taugen als Vorbild für IQ 55s "Ensammar Pojkar", bei denen Jacob Sickenga am Baß mitwirkte, der Jahre später unter dem Pseudonym Jake Snake bei den Hardrockern Reptile Smile wieder auftauchen sollte (und auf CD 2 mit Blitzen nochmals vertreten ist). Svart haben natürlich nichts mit den gleichnamigen Black Metallern zu tun, sondern spielten ganz relaxten poppigen Wave. Caiza Alméns Stimme in "Jag Är Inte Din Syster" könnte Anhängern von Kim Wilde durchaus gefallen. Fiendens Musik hatten mit Mats Bäcker einen festen Saxophonisten in der Besetzung, was ihren indielastigen Sound in "En Spark Rätt I Skallen" originell machte, zumal das Blasinstrument nicht nur Farbtupfer setzte, sondern konsequente Durchführungsaufgaben übernahm. Mackts "En Kristen Lärare" lieferte im Refrain das Vorbild für "Sally Is Something Else" von den Leningrad Cowboys. Auch Massmedia gehörten zu den Bands, die in ihrer Frühzeit schon bei Massproduktion veröffentlichten - ihre 1979er Single "Das Jazz/Jag Vill Ingenting" trug die Katalognummer MASS Z-02.
CD 2 startet mit Asta Kask, vielleicht der bekanntesten der 41 Bands, die noch mehrfach zu Tonträgerehren kamen und mit "Ringhals Bringer" einen melodischen, aber energetischen Punkhit eingespielt hatten. Traste Och Superstararna verdeutlichten in "Pengar", daß ein Wurzelstrang des Punk über den Oi! auch zum Ska und zum Reggae führt. Den dazu nötigen Kiff-Faktor hatten die N-Liners in "Aterfall I Farten" zweifellos in höherem Maße gebunkert - man höre genau auf die Gitarren und vor allem David Nordfors' Keyboards. Dagegen fuhren The Same in "Kuken I Styret" ein Riff auf, das - anders produziert - auch bei Black Sabbath keine schlechte Figur gemacht hätte. Der Bandname Unter Den Linden war außerhalb von Deutschland offenbar recht beliebt - neben einer Metalband aus dem anglophonen Raum existierte auch eine schwedische Waveband gleichen Namens, die in "Film Noire" irgendwie mit einer Band namens Att Som kooperieren (fragt mich nicht wie - mein Schwedisch ist zu schlecht). Bei Kriminella Gitarrer paßte so ziemlich alles zusammen: typischer Dreiakkordepunk, der Bandname, das Label (Kloaak Records) und die Titel der beiden Singletracks "Silvias Unge / Hitlers Barn". Sarah Coffmann (ein Bandname, nicht etwa der einer Sängerin) fuhren einen Originalitätsfaktor besonderer Art auf: Statt eines Leadgitarristen besaßen sie mit Anders Eriksson einen Lead-Oboisten, der in "Fri Energi" hübsche Akzente zum poppunkigen Unterbau der drei Mitmusiker setzt. Etiquette Monas "Amsterdam" litt etwas unter einem dumpfen Sound, genügte aber sonst professionellen Ansprüchen, selbst der Gesang, der bei vielen Tracks dieser Compilation den großen Schwachpunkt bildet. Eher Stones als Ramones wollten Epidemi in "Häftig Brud" sein, und Rasta Hunden gingen in "Mina Polare" noch weiter in die Sechziger zurück. Cyklon B werden sich über ihren Namen garantiert genauso wenige Gedanken gemacht haben wie 10 Jahre später Treblinka (aus denen Tiamat werden sollten). "En Grogg Till" war die B-Seite der Single "Kris" und wurde von einem Herrn Townsend komponiert (und von der Band eingeschwedischt). Sollte das ein Cover von The Who sein? Ich kenne mich mit deren Schaffen zu wenig aus, aber musikalisch könnte es schon hinkommen. Vacum hatten mit Drummer Sanken Sandquist einen halbwegs bekannten Musiker im Line-up, der indes als Produzent noch bekannter werden sollte. Den Vogel schließen kurz vor CD-Ende Onbirds mit "Pompeji" ab: dadaistische Klopf- und Mundharmonikageräusche, erzeugt von einem Gitarristen und drei Menschen, deren Instrumentenbezeichnung "ljudeffekter" lautet. Nö-Punk sozusagen, der fast den poppunkigen Hit "Ett Gevär I Min Hand" von Diestinct an letzter Stelle verdeckt.
Für Altpunker und Sammler des Skurrilen sind diese CDs essentiell und musikhistorisch sowieso wichtig - wessen Punkverständnis erst mit Blink-182 oder "schon" mit Green Day beginnt, der sollte sich der Ladenkasse etwas vorsichtiger nähern. Übrigens sind die CDs in Schweden schon 1998 erschienen - weiß der Geier, warum hierzulande erst vier Jahre später.
 




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