www.Crossover-agm.de V.A.: Jan Dismas Zelenka - Magnificat, Missa Nativitatis Domini, Dixit Dominus
von rls

V.A.: Jan Dismas Zelenka - Magnificat, Missa Nativitatis Domini, Dixit Dominus   (Genuin)

Die Einflüsse, die das kulturelle Leben am Dresdner Hof aus Prag erfuhr, dürfen nicht unterschätzt werden. Zwischen beiden Städten bestanden jahrhundertealte Handelsverbindungen auf dem Wasserweg über Elbe und Moldau sowie auf dem Landweg über den Nollendorfer Paß, und weitere Anlässe ergaben sich, als die Wettiner im Zuge der Übernahme der polnischen Königskrone durch Friedrich August I. zumindest nominell zum Katholizismus übertraten, während Böhmen bereits seit der Gegenreformation flächendeckend rekatholisiert worden war. Der Thronfolger Friedrich August II. verheiratete sich gar mit einer Habsburgerin, nämlich Maria Josepha, und die Brautwerbung hatte einen großen Einfluß auf das Schaffen von Jan Dismas Zelenka: Der böhmische Violonist (also Spieler des barocken Vorläufers des Kontrabasses), in Prag ausgebildet und schon einige Zeit in der Dresdner Hofkapelle tätig, gelangte mit dem Brautwerbezug nach Wien und studierte dort bei Johann Joseph Fux, der gerade die Leitung der Wiener Hofkapelle und damit ein Amt, das vorher lange Zeit von Italienern ausgeübt worden war, übernommen hatte. Diese musikalische Atmosphäre wurde auch für Zelenka bestimmend, und als ab 1719 im Zuge des Ausbaus des katholischen Hofgottesdienstes in Dresden auch entsprechende Figuralmusik in größeren Mengen benötigt wurde, steuerte er ab Mitte der 1720er Jahre regelmäßig Kompositionen für diese Zwecke bei. Wie die meisten seiner Zeitgenossen hatte er allerdings das Pech, von der Nachwelt nach seinem Tode 1745 gründlich vergessen zu werden, und erst das 20. Jahrhundert grub seine Werke schrittweise wieder aus.
Auf der vorliegenden CD finden sich drei Kompositionen aus den Jahren 1725 bzw. 1726, Zelenkas (wenn man die Überlieferungssituation hernimmt) möglicherweise produktivster Periode. Den Anfang bildet das Magnificat in D-Dur ZWV 108, also eine Vertonung des Lobgesangs Mariens, wie sie auch bei Zelenkas protestantischen Kollegen Bach oder Graupner Usus war. Sopranistin Katia Plaschka fällt hier besonders auf: Einigen zu angestrengt klingenden Passagen steht wunderbare Leichtigkeit fast direkt gegenüber. Wozu die Solistenriege in der Lage ist, demonstrieren besonders einige Sätze aus der Missa Nativitatis Domini in D-Dur ZWV 8: "Domine Deus" ist transparente Kammermusik im besten Sinne des Wortes, und Markus Flaigs entspannt-unangestrengten Baß im "Gloria" muß man auch erstmal so hinbekommen, während er in "Quoniam Tu Solus Sanctus" wieder etwas zuviel Härte an den Tag legt. Auch im "Crucifixus" herrscht gesanglich zuviel Unruhe. Der mit den akustischen Verhältnissen in der Stiftskirche Wetter, wo alle drei Werke aufgenommen wurden, nicht vertraute Rezensent kann nicht entscheiden, ob die distanziert-ineinanderfließende Wirkung der Trompeten in diesem Stück gestalterisches Mittel oder Unfall ist; interessant klingt das Ganze allemal. Generell muß man allerdings ein instrumentenseitig etwas ineinanderfließendes Klangbild mögen, um mit dieser Aufnahme etwas anfangen zu können - das Barockorchester L'arpa festante gehört bekanntermaßen zu den Könnern seines Faches, aber das verhindert nicht die eine oder andere Balanceschwierigkeit der gesamten Aufnahme. So schrieb Zelenka beispielsweise ausdrücklich die moderneren Traversflöten vor, die statt der althergebrachten Blockflöten einzusetzen wären - in ihren Solopartien entfaltet das auch tatsächlich zumindest partiell die angedachten Wirkungen (schön zu hören im "Benedictus", wo sie fast die Rolle eines Fernklangkörpers übernehmen, der mit Blockflöten viel schwieriger umzusetzen gewesen wäre), während im Gesamtklang von ihnen so gut wie nichts übrigbleibt und man sich sogar anstrengen muß, um im Tutti (einer barocken Kammerorchesterbesetzung, wohlgemerkt) das Blech zu hören. Wer an Klangwälle gewöhnt ist, wird das allerdings nicht als Problem, sondern vielleicht sogar eher als reizvoll empfinden. Nur die Aufgabe, das "Et resurrexit" trotz seiner fiesen Tempowechsel einigermaßen flüssig hinzubekommen, ist für Dirigent Nicolo Sokoli und seine Mitstreiter dann doch eine Nummer zu groß, aber andererseits darf sich Zelenka durchaus fragen lassen müssen, ob er diese Aufgabe nicht generell als unlösbar konzipiert hat. Denn daß auch der Marburger Bachchor ein äußerst leistungsfähiges Ensemble darstellt, daran besteht prinzipiell kein Zweifel, und die knapp 50 Sängerinnen und Sänger geben beispielsweise im Ausklang des Sanctus schöne Beispiele ihrer Gestaltungsfähigkeit und machen damit kleine Schnitzer wie den nach hinten wegkippenden Schlußton im "Amen" des Magnificats locker wieder wett. Daß "Sanctus", "Benedictus" und "Agnus Dei" eigentlich gar nicht in diese Messe gehören, sondern aus der Missa Charitas Zelenkas übernommen wurden (im Autograph fehlen diese Sätze, und alle erhaltenen Abschriften enthalten als "Ersatz" die aus der Missa Charitas), fällt rein musikalisch gesehen nicht ins Gewicht. Das Dixit Dominus, drittes Werk der CD, fällt mit Pauken über den Hörer her und fällt durch seine Struktur auf: Der erste Satz verliert sich nach dem bombastischen Beginn in langen Gesangssoli und dauert fast neun Minuten, während die hinteren bombastischen Überfälle mit 1:11 bzw. 2:00 Minuten mehr Annex- oder Rahmenfunktionen erfüllen. Der Chor muß besonders im "Amen" nochmal seine Wendungsfähigkeiten unter Beweis stellen, aber er tut das auf hohem Niveau und schließt eine interessante CD würdig ab. Über die optische Strategie, hochbarocke und zumindest partiell opulent zu nennende Musik hinter ein modernes Cover aus der Sparte Minimal Art zu packen, darf man freilich geteilter Meinung sein, aber wie Matthias Herr mal so schön bemerkte: "Das Cover kann man nicht hören, höchstens wegschmeißen."
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Tracklist:
Jan Dismas Zelenka: Magnificat D-Dur ZWV 108
  Magnificat Anima Mea Dominum
  Suscepit Israel
  Amen
Jan Dismas Zelenka: Missa Nativitatis Domini D-Dur ZWV 8
  Kyrie
  Gloria In Excelsis Deo
  Domine Deus
  Qui Tollis Peccata Mundi
  Quoniam Tu Solus Sanctus
  Cum Sancto Spirito
  Credo In Unum Deum
  Et Incarnatus
  Crucifixus
  Et Resurrexit
  Et Vitam Venturi Saeculi
  Sanctus
  Benedictus
  Osanna
  Agnus Dei
Jan Dismas Zelenka: Dixit Dominus ZWV 68
  Dixit Dominus
  Sicut Erat
  Amen
 




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