www.Crossover-agm.de V.A.: Invaders From The Planet Pop
von rls

V.A.: Invaders From The Planet Pop   (Smashed Records)

Aus dem fernen Australien kommt dieser Sampler mit 23 Songs von Bands in knapp 79 Minuten angeflattert - jedenfalls sitzt die Plattenfirma in Australien, während die vertretenen Bands nicht nur vom fünften Kontinent stammen. Der Layouter hat sich da auch gleich was einfallen lassen und die Bands eines jeden Landes auf dem Backcover farblich von denen aus anderen Ländern geschieden. So haben sechs Farben Verwendung gefunden, und man bekommt auf den ersten Blick mit, daß Australien und die USA die Löwenanteile der Bands stellen, ergänzt jeweils um eine Formation aus Schweden, Rußland, Malaysia und dem Vereinigten Königreich.
Mit letztgenannter geht's auch gleich los: The Shining Hour machen in "Before You Know It" gleich die grundsätzliche Marschrichtung des Samplers klar. Der Terminus "Pop" ist ja im Titel schon genannt worden, aber er läßt sich mit Fug und Recht noch auf "Gitarrenpop" eingrenzen, also die Variante mit zumindest latenter Indie- oder aber Sechziger-/Siebziger-Schlagseite, während "Poprock" definitionsseitig ja eher in die AOR-Ecke tendieren würde, und die tritt hier nur sehr selten auf - häufiger dagegen findet man den Westcoast-Sektor. Dort könnte man beispielsweise The Hard Left mit "Take It Out On Me" ansiedeln, natürlich nur musikalisch und nicht geographisch, denn das Quartett siedelt in Minneapolis. Bemerkenswert hier: der Mut zum großen Gitarrensolo und die je nach Gemütslage kultigen bis nervenden Vokalisen im Refrainhintergrund. Verbreitet zu finden sind auch Sechziger-Einflüsse, etwa bei der ersten australischen Band: Trailer Park aus Queensland klingen wie original aus selbigem Jahrzehnt, leicht psychedelisch angehauchten Blumenkindersound mit fies pfeifendem Orgel-Space-Einschub bekommt der Hörer hier geliefert. Auch The Static Octopus aus Nebraska hätten in dieses Jahrzehnt oder in die frühen Siebziger gepaßt: Simon & Garfunkel, Crosby, Stills, Nash & Young - all diese Herren entdeckt Ella auf ihrem in "Ella Going Backwards" beschriebenen Weg. Und der kreuzt sich gleich mit "Wanna Girl (Like That)" von Deluxe Leisure King aus Alabama, auch wenn hier ein Deut mehr von dem drinsteckt, was man heute gemeiniglich als Americana zu bezeichnen pflegt. Bill Kaffenberger aus Virginia wiederum verrät schon im Text von "Jingle Jangle Morning", daß er The Byrds als große Vorbilder ansieht. Die Orchesterbreaks zwischen den Strophen verraten einiges Können, der Drumcomputer ruiniert allerdings einiges an Zuneigung wieder. Die Malaysier Couple reißen in "Now That I Can See" die Gitarrenverstärker etwas weiter auf und geraten ins Grenzgebiet zwischen Indie Rock und Punk, wo sie keine schlechte Figur machen, etwa im zwar einfachen, aber harmonisch wirkungsvollen Solo. Nur an den südostasientypischen nasalen Gesang muß man sich als mitteleuropäischer Hörer vielleicht erst gewöhnen. Das fällt in "Balloon Animals" von Gigantic aus Perth mit ihrem klassischen Westcoastsound (was im geographischen Kontext Australiens sogar passen würde) deutlich leichter, während man über die Pullovermode der beiden Herren auf dem Bandfoto im Booklet trefflich streiten kann. Strophe 2 wird offenhörlich von einer Gastsängerin bestritten, und gegen Ende wird der Song mit Trompeten- und Posauneneinsatz sogar noch richtiggehend bombastisch, auch wenn man da durchaus noch mehr Effekt hätte herausholen können. The Rosebud Generation aus Sydney siedeln mit dem flotten "Sol Save Ya" wieder in den Endsechzigern, und zwar in Doors-Nähe, wobei sie die Gitarren allerdings deutlich über die Orgel dominieren lassen. Kinder des Achtziger-Wave, allerdings dessen undüsterer Abteilung, sind hingegen Updiverss aus Moskau, die mit "Easy" einen Song ihres "I Am Happy With My Jacket"-Albums beisteuern und vom besagten Wave-Fundament aus ihre Fühler tatsächlich in Richtung des klassischen AOR ausstrecken, den Song gleich mit zwei Gitarrensoli ausstaffieren und auch einen sehr angenehmen Sänger in der Band haben. Neunziger-Gitarrenpop mit leichten Sechziger-/Siebziger-Rückgriffen liefern hingegen True Rumor aus dem Staat New York in Gestalt von "Unmistakeable Feeling", und sie erzeugen damit ein unfehlbares Tanzbarkeitsgefühl. Etwas bedächtiger könnte man auch zu "Hum" von Verge das Tanzbein schwingen, nachdem das Intro zunächst auch noch die Möglichkeit einer Ballade offengelassen hat. Die Brisbaner wurzeln im Spätsechziger-Beat, den sie aber zumindest ansatzweise in die Neuzeit übersetzen - man achte allerdings mal genau darauf, wie sie im letzten Solo scheinbar schneller werden! The Vague aus Ohio bleiben mit "Hang Up" gleich in diesem Stil, schalten die Modernisierungsfunktion noch gemäßigter ein und bauen im Mittelteil einen Telefonklingelton so geschickt ein, daß man bei jedem Hören wieder neu erschrickt, auch wenn es ein ganz anderer Ton ist als der des eigenen Telefons. The Scallions aus Connecticut sind Kinder der Frühsiebziger, aber sie siedeln in "Memories Are Made Of This" in einem Spannungsfeld zwischen Psychedelic und Prog, kombinieren "konventionellere" Passagen mit Streichergebirgen, einem Glockenspiel, haufenweise Breaks, einem uralt klingenden Hammerflügel und einer Portion Düsternis zu einem interessanten Gemisch, das Anhängern von Bands wie Bigelf einen Hörtest wert sein sollte. Wieder etwas konventionellere Gefilde betreten wir mit The Breed aus der tasmanischen Hauptstadt Hobart, die Spätsechziger-Beat, Rock'n'Roll und Twist zu "The Inner City Crowd" verschmelzen und dabei keine schlechte Figur machen. Die Kalifornier The Tender Morsels sind an Position 16 die erste Band des Samplers mit weiblichem Leadgesang. "In On The Joke" mutet vom Gitarrenthema her wie eine Abwandlung von "Temple Of Love" der Sisters Of Mercy an, geht aber insgesamt doch in eine andere Richtung: Hier haben wir tatsächlich mal AOR, wenngleich nicht den ganz klassischen der Achtziger, sondern den schon etwas erdigeren, den man beispielsweise (in allerdings härterer Form) auf einigen Alben von Harem Scarem hören konnte. Heart meets Harem Scarem? So ähnlich. Die Schweden X(Melon) stellen nicht nur die letzte nichtaustralische Band des Samplers dar, sondern markieren mit "Dead End Walking" auch seinen höchsten Härtegrad (was freilich angesichts der Konkurrenz nicht weiter schwer ist), indem sie die Backyard Babies mit den Poodles kreuzen und noch ein ganz klein wenig pseudotrauerklößige Harmonik aus den Neunzigern einspritzen - das Ergebnis macht trotzdem viel Hörspaß. Neunziger-Indierock mit etwas Rock'n'Roll bekommen wir in "Dirty Town" von The Vagrant City School aus Queensland zu hören, allerdings nervt der verzerrte Gesang schon nach relativ kurzer Zeit, während der Song selbst nicht schlecht ist. Die Landsleute Euphony aus der Hauptstadt des gleichen Staates machen da in "Fake It For The Crowd" mit ihrem Mix aus Indierock und Punk schon deutlich mehr her, auch wenn man sich sowohl an das hektische Drumming als auch an den plötzlichen Geschwindigkeitsausbruch im Refrain erst gewöhnen muß. Beruhigen kann man sich ja dann wieder mit dem zweiten Beitrag von Verge, auch wenn oder gerade weil "Magazine" ziemlich stoisch seinen Stiefel durchzieht und der Sänger hier auch eher flüstert als aus sich herausgeht, vom Übergang in den Refrain und plötzlichen lärmigen Gitarren am Solo- wie Songende mal abgesehen. Ob Lee Bruce wirklich so heißt oder ob es sich um ein Pseudonym des Sydney-Bewohners handelt, muß an dieser Stelle offenbleiben. Der Mann versucht sich in "Don't Step Out Of Line" jedenfalls an einer Mixtur aus Postgrunge und Classic Rock, und er macht das auch durchaus gut, wenngleich ein richtig großer Sänger vielleicht noch mehr aus der guten Grundidee hätte holen können (man achte mal auf die zweistimmigen Gitarren in der Bridge vor dem zweiten Refrain!). Die zweite Band mit weiblichem Leadgesang sind an vorletzter Position The Origin Of Janken, ebenfalls in Sydney beheimatet und in "Crazy Person Fight Song" eine sehr seltsame Mixtur auffahren: überwiegend sehr schneller, aber auch von längeren langsamen Passagen durchzogener Hardrock, allerdings mit sehr weit in den Hintergrund gemischter Rhythmusgitarre, dafür dominierendem Klavier, teils mehrstimmigem weiblichem Gesang und wild kreischenden Backingvocals. Klingt merkwürdig? Ist es auch, aber hier steckt offenbar Talent. Wer es nicht so abgefahren mag, kommt im finalen "Forever" von Enersha nochmal auf seine Kosten: Diese Queensländer steuern eine klassische Indierock-Hymne bei, wie sie klassischer kaum hätte ausfallen können, und beenden einen Sampler, der auch für Undergroundkenner noch mancherlei Entdeckung bereithalten dürfte und allein schon aufgrund der zehn australischen Bands, die hierzulande kaum jemand kennen dürfte (aber auch die andere Hälfte wird kaum "populärer" sein), lohnend ist, zumal sich wie beschrieben die eine oder andere potentielle Perle versteckt.
Kontakt: www.smashedrecords.com

Tracklist:
The Shining Hour: Before You Know It
The Hard Left: Take It Out On Me
Trailer Park: Kids At The Drive-In
The Static Octopus: Ella Going Backwards
Deluxe Leisure King: Wanna Girl (Like That)
Bill Kaffenberger: Jingle Jangle Morning
Couple: Now That I Can See
Gigantic: Balloon Animals
The Rosebud Generation: Sol Save Ya
Updiverss: Easy
True Rumor: Unmistakeable Feeling
Verge: Hum
The Vague: Hang Up
The Scallions: Memories Are Made Of This
The Breed: The Inner City Crowd
The Tender Morsels: In On The Joke
X(Melon): Dead End Walking
The Vagrant City Scandal: Dirty Town
Euphony: Fake It For The Crowd
Verge: Magazine
Lee Bruce: Don't Step Out Of Line
The Origin Of Janken: Crazy Person Fight Song
Enersha: Forever
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver