www.Crossover-agm.de
V.A.: Gott ist unsere Zuversicht und Stärke
von rls

V.A.: Gott ist unsere Zuversicht und Stärke   (Gerth)

Hinter dem zunächst noch in vielerlei musikalische Richtungen interpretierbaren Titel verbirgt sich eine Gedenk-CD für Johannes Kuhlo, der am 8. Oktober 2006 150 Jahre alt würde. Aber so ein langes Leben ist selbst einem "Posaunen-General" nicht vergönnt - Kuhlo starb 1941 mit 84 Jahren, übrigens auf den Tag genau 35 Jahre vor der Geburt des Rezensenten. Auf dem Cover sieht man Kuhlo allerdings mit einem Flügelhorn, und etliche Quellen berichten, daß er trotz seines ehrenvollen Beinamens dem Instrument Posaune gar nicht so zugeneigt war und auch Trompeten nicht so richtig mochte, sondern eher eine Hörnerbesetzung bevorzugte. Trotzdem kam es nicht dazu, daß sich die durch ihn maßgeblich geförderten Posaunenchöre im 19. Jahrhundert in Hornchöre umbenannten - der erste Posaunenchor in Bielefeld-Jöllenbeck, gegründet bereits 13 Jahre vor Kuhlos Geburt, spielte mit einer Ausnahme ausschließlich auf Posaunen, und so war es zum Begriff Posaunenchor gekommen. Kuhlos Klangideal sollte zwar zeitlebens durch das Horn geprägt bleiben, aber die Universalität der Notenausgaben, die er besorgte, machte diese auch für die heutzutage für einen Posaunenchor typische Mischbesetzung aus Trompeten, Hörnern und Posaunen nutzbar. Kuhlo selbst war keineswegs Profimusiker, sondern Pfarrer, und die Bedürfnisse der Posaunenchormusiker erkennend und ihre Möglichkeiten wie ihre Grenzen als Laienmusiker erkennend, konnte er seine fördernde Arbeit entfalten, die neben der Herausgabe von Notenmaterial und dem Schreiben von Sätzen bzw. Arrangements für Posaunenchor auch die Organisation von Posaunenfesten und die Entwicklung der noch heute gebräuchlichen Posaunenchor-Partiturschreibweise mit Aufteilung der Musik in normalerweise vier Stimmen und Notation von Sopran und Alt im oberen, Tenor und Baß im unteren Teil eines zweizeiligen Notensystems beinhaltete. Kuhlo legte sehr viel Wert auf die Nachvollziehbarkeit seiner Werke bzw. Sätze, und so finden sich in dem von ihm herausgegebenen Material zahlreiche Vorlagen der alten Meister, aber auch (damals) gegenwartsentstammende, also romantische Tonkunstexempel, während er Experimenten wohl eher skeptisch gegenüberstand - vermutlich mit Recht: Welcher Laienmusiker sieht schon durch zwölftönige Strukturen hindurch? Dagegen zeigte er sich der mit dem Kunstbegriff "Geistliche Lieder im Volkston" versehenen Gattung mehr als aufgeschlossen; in seinem auch heute noch Standardliteratur darstellenden Buch "Rühmet den Herrn" nimmt diese Gattung unter den 226 Werken immerhin locker ein Viertel ein, und da finden sich auch Lieder wie "Ännchen von Tharau" oder "Das Lieben bringt groß Freud" darunter, denen man nur mit viel Interpretationskunst einen geistlichen Gehalt implantieren kann - selbst das Deutschlandlied und die holländische Nationalhymne "Wilhelmus von Nassaue" sind dort vertreten. Derartige scheinbare Widersprüche mindern allerdings keineswegs die Verdienste Kuhlos um die Posaunenchorbewegung, die nicht zuletzt dank seiner Arbeit heute eine der umfangreichsten Laienmusikbewegungen in Deutschland darstellt, wovon man sich beispielsweise beim Deutschen Posaunenfest in Leipzig 2008 eindrucksvoll überzeugen können wird, wenn eine fünfstellige Anzahl Blechbläser gemeinsam strukturierten Lärm macht.
Anläßlich Kuhlos 150. Geburtstag macht sich nun diese CD auf den Weg gen Markt und auch gen Wohnzimmer des geneigten Hörers - beim genaueren Hinsehen stellt sich allerdings heraus, daß die Musik dort vielleicht schon vor geraumer Zeit angekommen sein könnte, denn die Aufnahmen datieren bereits aus dem Jahr 1991, also dem 50. Todesjahr Kuhlos; in welchem Rahmen sie damals bereits veröffentlicht wurden, ist mir nicht bekannt, aber ein LP- oder CD-Release dürfte zu vermuten sein, eventuell über das Label Dabringhaus und Grimm, denn das zeichnet für die damalige Produktion verantwortlich. Bevor man also zugreift, sollte man sicherheitshalber nochmal in der eigenen Tonträgersammlung nachschauen, um einen eventuellen Doppelkauf zu vermeiden. Stehen die Aufnahmen dort noch nicht, kann man als Liebhaber von gepflegter Blechblasmusik traditionellen Gestus' mit dem Erwerb aber nichts falsch machen, denn die drei beteiligten Ensembles liefern ausnahmslos gelungene Einspielungen ab. Der CVJM-Posaunendienst schickte ein (inclusive Dirigent) siebenköpfiges Ensemble, in dem nur zwei Mitglieder nicht den Nachnamen Schmidt tragen, während es der auch als Westfälisches Blechbläserensemble bezeichnete Auswahlchor des Posaunenwerkes in der Evangelischen Kirche von Westfalen inclusive Dirigent auf 23 Mitglieder bringt, von denen wiederum sechs einen "Chor im Chor" namens "Kuhlo-Horn-Sextett 1991" bilden. Die von diesem Sextett eingespielten Werke sind im Booklet gekennzeichnet, die beiden anderen Ensembles werden allerdings nicht unterschieden (vielleicht haben sie sich ja beim Einspielen auch vereinigt, was bei Posaunenchören im Gegensatz etwa zu Bands ja kein größeres Problem darstellt, da alle auf der gleichen musikalischen Basis spielen). Die CD enthält vier freie Stücke sowie Begleitsätze zu zehn mehr oder weniger bekannten Chorälen, letztere allerdings ohne Gesang, den sich der kirchenmusikerfahrene Hörer in den meisten Fällen aber problemlos dazudenken können wird, sofern es sich nicht um einen Choral handelt, der in seiner Region nun völlig ungebräuchlich ist (ich habe beispielsweise noch nie "Des Herren Rechte, die behält den Sieg" in einem Gottesdienstprogramm der hiesigen Umgebung entdeckt). Wie bereits oben erwähnt, huldigt man Kuhlo dabei, indem man bei der Auswahl der Stücke fast ausschließlich auf die alten Meister setzte und lediglich mit Mendelssohn überhaupt bis ins 19. Jahrhundert springt. Daß good old JSB gleich zu sechs der zehn Choräle seinen Senf dazugeben darf, steht bei seiner kirchenmusikalischen Koryphäenrolle außer Frage, und mit etwa seiner brillanten Arbeit über "Nun danket alle Gott" rechtfertigt er diese Rolle ja auch, wenngleich man für den dritten der hier eingespielten Sätze schon recht versierte Trompeter im Chor braucht, um den halbwegs adäquat reproduzieren zu können. Andererseits hat man auch Sätze dabei, die auch ein Anfängerchor nach einiger Zeit der Übung hinbekommen kann, und dem Hörgenuß via CD ist die Frage "Könnte ich das jetzt auch selber spielen?" sowieso völlig egal (die stellt sich bei einer Brucknersinfonie oder wildem Jazz-Metal-Gefrickel ja auch nicht). So haben wir hier also einen würdigen Gedenkstein für den "Posaunen-General", der zwar mit knapp 54 Minuten Spielzeit nicht überfüllt ist (man hätte also locker, um die Ehrung abzurunden, noch einige von Kuhlos eigenen Sätzen dazupacken können, ohne daß das musikalische Bild dadurch verwässert worden wäre), aber in jedem Tonträgerschrank eines Posaunenchoraktivisten oder eines Menschen, der solche Art Musik zu goutieren weiß, sehr gut aufgehoben ist.
Kontakt: www.gerth.de

Tracklist:
Georg Friedrich Händel: Jericho-Marsch (aus dem Oratorium "Josua")
Johann Eccard/Johann Sebastian Bach: Ach, bleib bei uns, Herr Jesu Christ
Leonhard Schröter: Ach, Gott vom Himmel, sieh darein
Hans Leo Haßler/Johann Walter/Melchior Franck: Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Heinrich Schütz: Ehre sei dir, Christe (aus der "Matthäus-Passion")
Johann Sebastian Bach: Des Herren Rechte, die behält den Sieg
Arnold von Bruck/Melchior Franck: Verzage nicht, du Häuflein klein
Hans Leo Haßler/Kaspar Othmayr/Johann Eccard: Ein feste Burg ist unser Gott
Johann Sebastian Bach: Jesu meine Freude
Johann Sebastian Bach/Felix Mendelssohn Bartholdy: Wachet auf, ruft uns die Stimme
Johann Sebastian Bach: Nun danket alle Gott
Johann Jeep/Johann Eccard/Johann Sebastian Bach: Allein Gott in der Höh sei Ehr
Felix Mendelssohn Bartholdy: Motette "Jauchzet dem Herrn, alle Welt" (Psalm 100)
Georg Friedrich Händel: "Halleluja" aus dem Oratorium "Der Messias"
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver