www.Crossover-agm.de URBAN TALE: Urban Tale
von rls

URBAN TALE: Urban Tale   (Frontiers Records)

Ich bin normalerweise kein Freund von Singles, EPs oder Mini-Alben, aber im Falle von Urban Tale wäre es meines Erachtens die allerbeste Lösung gewesen, das vorliegende Debüt auf den halben Umfang zusammenzustreichen. Damit läge nämlich mal eben das AOR-Highlight des Jahres vor. Ganz vorn hätte "The Devil In Me" bleiben dürfen, denn das ist so ein Song der Marke "Wenn ein Außerirdischer kommt und fragt, was perfekter AOR ist, dann kann ich ihm diesen Song vorspielen". Ein verhältnismäßig treibendes Schlagzeug legt den Grundstein für einen Songaufbau, wie er von Foreigner oder Journey bereits vorexerziert wurde, ein kapitaler Refrain mit einer einprägsamen Melodie jenseits der Dudelfunkstereotypen darf natürlich nicht fehlen, und Kimmo Bloms Gesang setzt dem Ganzen das Sahnehäubchen auf: kristallklar und in einer angenehmen mittleren Tonlage ist diese Lautäußerung durchaus als mehrheitsfähig anzusehen, auch wenn summa summarum sich der eine oder andere Rockfan mit dem Argument "Das ist mir zu glattgebügelt" von Urban Tale abwenden wird. Der nächste unverzichtbare Track für das angedachte Minialbum steht an Position 3, denn wie hier ein an ganz alte Saga erinnernder Chorusunterbau mit einer an progressivste Toto-Live-Eruptionen gemahnenden Instrumentierung kombiniert wird, soll den fünf Finnen erstmal einer nachmachen. Das Herkunftsland der Band mag zunächst überraschen, denn gemeiniglich erwartet man aus dem Lande der 55000 Seen nicht unbedingt solcherart Klänge (zumindest sind Urban Tale die erste mir bekannte finnische AOR-Band). Die von mir vermutete etwas isolierte Stellung der Band hat allerdings auch den Vorteil, daß man sich nicht sklavisch an Konventionen zu halten braucht (egal ob man das bewußt tut oder unterbewußt von den Proberaumnachbarn beeinflußt wird). Beweis für diese These ist beispielsweise "King Of Hearts", das musikalisch quasi klassischen "Kirchenrock" darstellt, also eine Spielweise auffährt, welche diverse unter dem Kirchendach agierende traditionelle Rockbands gleichermaßen pflegen. Das soll nicht bedeuten, Urban Tale wären eine christliche Band, denn obwohl Gott in den Danksagungslisten gleich mehrerer Bandmitglieder vorkommt, bleibt er in den Lyrics außen vor; allenfalls "Engine" ist auch im religiösen Sinne interpretierbar, in dieser Deutungsvariante das Ansinnen um höhere Führung auf schwierigen Wegen thematisierend. Zwischenmenschliche Beziehungen dominieren den größten Teil der anderen Texte, wobei Urban Tale mit "One Day (I'll Make You Mine)" einige der schönsten lyrischen Bilder der letzten Zeit gelungen sind, die auch musikalisch exzellent (mit einer herzzerreißenden Halbballade, welche folglich auch auf unserem Minialbum landet) umgesetzt wurden: "I was a rock / On an empty beach / Then you came / And built a shelter around me ... I was a desert / In a faraway land / Then you found me / And made me a field in a harvest time". Schön, einfach nur schön. "Runaway Train" ist prinzipiell auch schön, wird aber nur unter Vorbehalt auf das angedachte Minialbum aufgenommen, da der Zug etwas schwerfällig in Gang kommt, bevor er beim Refrain seine volle Geschwindigkeit erreicht und, da alle Schranken ringsum geschlossen sind, einen Freifahrtschein erhält, bevor der Schaffner kommt und einen aus den Erinnerungen an die vor Zugabfahrt erlebten Geschehnisse (es treten wieder die zwischenmenschlichen Aktivitäten zutage) reißt. Eine ähnliche Diagnostik ist bei "On The Edge" zu stellen, dessen unspektakulärer Anfang noch nicht die grandiose Entwicklung hin zu einem abwechslungsreichen, aber auch vergleichsweise uneingängigen Melodicrocker erahnen läßt. Dafür kommt das folgende "Doris Day" mit einem absolut unverkennbaren Retro-Feeling über die Ostsee geschippert, benötigt aber gleichfalls einige Anlaufzeit, bis der Plot so richtig gut wird und einen quasi an die "akustische Mattscheibe" fesselt. Unbedingt auf das erwähnte Minialbum muß noch der Hidden Track drauf, ein angeschlepptes Melodicschmeckerli unbekannten Titels, das Bad English seinerzeit auch nicht hätten besser ausziselieren können. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die nicht für das Minialbum vorgesehenen Tracks sind alles andere als schlecht, aber angesichts der superben Klasse der Glanzlichter dieser Platte (man vergegenwärtige sich nochmals, daß es sich hierbei um Urban Tales Debütalbum handelt - so viele Treffer hatten nicht mal Foreigner auf ihrem Erstling) wirken sie ein bißchen wie (immer noch gutes) Füllmaterial. Dank der sehr geschliffenen Produktion hat "Urban Tale" nicht mehr allzuviele Ecken und Kanten, aber die Tiefe ist beim Schleifprozeß nicht mit abgeschmirgelt worden, und so liegt mit dieser CD eine erstklassige Gelegenheit zum Beweis der These vor, daß sich Anspruch und Massenkompatibilität (in den Mittachtzigern hätte sich "Urban Tale" verkauft wie warme Semmeln und wäre quasi von vorn bis hinten im Radio gelaufen) nicht zwingend ausschließen müssen. Fein!
Kontakt: www.frontiers.it



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