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von ta

TILES: Window Dressing  (Inside Out)

Immanuel Kant soll in hohem Alter folgende mysteriöse Bemerkung auf einem Notizzettel festgehalten haben: "Der Name 'Lampe' muss vergessen werden." Über das taktische Geschick, den philosophischen Gehalt, die reine Vernunft hinter einer solchen Erinnerungshilfe soll an dieser Stelle nicht gestritten werden. Tiles zumindest kommen zwar nicht aus Königsberg, sondern aus Detroit, aber der zweite Track ihres vierten Albums "Window Dressing" ist gleichsam geheimnisvoll "Remember To Forget" betitelt. Zu der Spielzeit dieses Stücks sind allerdings schon ein paar Minutenquintaden des Albums vorüber, weil Tiles sich für den Opener und Titelsong "Window Dressing" etwas mehr Zeit herausnehmen als für die restlichen Songs, wobei siebzehn Minuten Musik am Stück sicher den einen oder anderen potenziellen Hörkandidaten schlucken machen können. Aber schon bei Kant haben die dogmatischen Metaphysiker geschluckt. Tiles reihen sich also in eine illustre Tradition ein. Tatsächlich ist der Titelsong des Albums ein formidables Machwerk geworden. Tiles stellen nicht Riff 23 an Riff 24 an Riff 25, sondern gliedern "Window Dressing" in nachvollziehbare, partiell aufeinander bezogene Einzelstücke, wobei der Instrumentalanteil immens hoch ist, allerdings in seiner bescheidenen Arrangierung beinahe spartanisch anmutet. Klar, "Window Dressing" (schmeckt das überhaupt?) ist als Album ein Machwerk für Prog Rocker/Prog Metaller, aber nicht primär für Pfriemelfans/Musikhochschüler/Mathematikinstitutsler, stattdessen aber gerne für Hardrocker bzw. Landwirtschaftsstudenten. Soviel zum Streit der Fakultäten. Mit elf Songs bringt es "Window Dressing" auf siebenundsechzig Minuten. Die lassen sich ohne Probleme bei höchster Aufmerksamkeit bis zum Ende konsumieren, weil Tiles bei aller Verschachtelung, die man vermuten musste, aber nur streckenweise der Urteilskraft anheimgeben kann, auf Schnörkel verzichten; Schnörkel, d.i. Einzelteile, die im Ganzen des Albums/Liedes keinen Sinn ergeben, weil sie einzeln bleiben. Diese fehlen - Folgepfeil - "Window Dressing" ist also homogen. Von vertrackten Rhythmen aus etwa "Stop Gap" oder "Window Dressing" über reine Instrumentals wie dem tollen, sanften "Unicornicopia" aus Keyboard und Geige bis hin zu den spannungsvollen Düsterharmonien aus "Slippers In The Snow" ist jeder zweite Seitenpfad der proggigen Kompositionskunst konsequent betretenen, bettet sich aber in den warmen Bandsound ein, der jeden zart umschließen muss, welcher a posteriori mit Rush, den Flower Kings, Magellan und Without Warning seinen ewigen Frieden gemacht hat, nicht zuletzt wegen des sanften Gesangs von Paul Rarick, der auch vor Beatles-Vibes nicht zurückschreckt. Oder vor vollkommenem Schweigen. Zu zwei Dritteln bleibt "Window Dressing" ohne Gesang. Doch welch praktisch Vernünftigen stört das schon? Mein Geschmack signalisiert Begeisterung. Darum zum Abschluss noch einmal Kant: "Geschmack ist das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen (...), ohne alles Interesse." Remember not to forget.
Kontakt: www.insideout.de

Tracklist:
1. Window Dressing
2. Remember To Forget
3. All She Knows
4. Capture The Flag
5. Ter-Water Tea
6. Stop Gag
7. Unicornicopia
8. Paintings
9. A.02
10. Slippers In The Snow
11. Spindrift



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