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STIGMATA: Moi Putj
von rls

STIGMATA: Moi Putj   (Navigator Records)

Der Albumtitel heißt übersetzt "Mein Weg" oder auf Englisch "My Way", aber um eine Frank-Sinatra-Coverkapelle handelt es sich bei Stigmata nicht. Das wäre angesichts der archaisierenden Zeichnung des Frontcovers auch schwer vorstellbar gewesen: In einem Gebirgspaß liegt eine Armee toter Krieger, flankiert von nackten und überwiegend ebenfalls toten Zivilisten, während die wenigen Überlebenden ihr Auge vor dem Bildhintergrund verbergen, in dem ein Engel mit einem großen Schwert vom Himmel geschwebt kommt. Die Rückseite des Booklets zeigt dann die links anschließende Szenerie, prinzipiell ähnlich aufgebaut, aber hier mit einer fünfköpfigen Engelarmee, die bereits auf dem Boden der Tatsachen gelandet ist. Daß sich unter den Unterstützerlogos auf der Inlaycard auch das der russischen Bravo-Ausgabe befindet, verwirrt den potentiellen Hörer dann allerdings doch hinsichtlich der Frage, welche Sorte Musik die mit einem nicht gerade selten verwendeten Namen stigmatisierte Band denn nun spielen könnte. Auch das bombastische Intro, das auf der CD im Gegensatz zur Tracklist eine eigenständige Tracknummer aufweist, verschafft noch keine endgültige Klarheit, wohl aber dann der Opener "Smertj Jei K Lizu" - der stellt sich schnell als stilmarkierend heraus und gibt die Marschrichtung für die reichlich 40 Minuten vor: Metalcore der ersten neuen Welle, also derjenige, der tatsächlich noch einen Core-Anteil aufwies und diesen auch nicht zu verleugnen gewillt war. Selbst wenn er sich nur in einigen Breakdowns und etlichen corigen Gangshouts Bahn bricht - er ist deutlich vernehmbar und beansprucht selbstbewußt einen Platz neben dem Metal, der sich urtypischerweise aus Elementen des traditionellen sowie des Death Metal speist. Klingt unaufregend? Ist es eigentlich auch, wenn man den Innovationsfaktor von "Moi Putj" als Maßstab hernimmt. Für den gemeinen Mitteleuropäer gehen da allenfalls die Vocals von Nel'son (nur echt mit Apostroph) als exotische Zutat durch, denn der artikuliert sich in Russisch. Beachtung verdient freilich noch, wie er das tut: Von Metalcore-Scheiben ist man ja heutzutage durchaus eine größere Stimmvielfalt gewöhnt, aber Nel'son setzt, wenn er das tatsächlich alles selber eingesungen hat (das Booklet nennt zumindest keine anderen Sänger, weder unter den vier weiteren Bandmitgliedern noch als Gäste), dem Ganzen einen enormen Höhepunkt aufs Haupt: Gekreisch verschiedener Extremitätsstufen, herbes Shouting, tiefes Gegrunze ebenfalls in verschiedenen Lagen, die erwähnten Gangshouts und schließlich auch noch eine leicht nasal-klagende Klarstimme, das alles bisweilen im schnellen Wechsel oder auch in mehreren Stimmen übereinandergelegt, was dann freilich die Frage der Liveumsetzung übrigläßt. Die kann dem Hörer der CD freilich erstmal egal sein - der darf sich vorbehaltlos an dieser gut auf die instrumentalen Teile abgestimmten Vielfalt erfreuen. Was Stigmata wie viele Genrekollegen allerdings auch auf diesem bereits vierten Album noch nicht fertiggebracht haben, ist das Schreiben individueller und wiedererkennbarer Songs. Zwar kann der eine oder andere Klargesangspart (z.B. in "Wesna") ebenso wie manche Gitarrenmelodie durchaus eine gewisse Eingängigkeit für sich beanspruchen, aber in der Gesamtüberschau erschließen sich viele der Songs nur schwer, und das liegt nicht daran, daß sie etwa zu progressiv wären (obwohl sie auch dieses Attribut partiell zu Recht tragen, wenngleich nicht mit der Übermaßkennzeichnung), sondern an ihrem partiellen Patchworkmuster. Die einzelnen Bestandteile sind oftmals durchaus als hochklassig zu bezeichnen (man höre den Akustikpart in "Tanzui"!), nur in der Kombination ergeben sie eben nicht immer schlüssige Songs. So neigt man irgendwann dazu, das Album zwar mit unverhohlener Entdeckerfreude durchzuhören, es aber hinterher ins Regal zu stellen und wenig zum Gehörten im Hirn zu behalten. Für den letzten Song, das partiell sehr hymnische "W Otraschenii Glas", gibt das Booklet in Form von Denis Kirillow einen Gastpianisten an, allerdings spielt das Klavier auch in der Ballade "Gorod Sna" eine tragende Rolle, und auch einige andere Songs werden mit bestimmten Keyboardeinwürfen hier und da verfeinert. Daß die vier russischen Instrumentalisten erstklassige Musiker sind, braucht nicht gesondert betont werden - nur bleibt in der Gesamtbetrachtung eben noch zuviel Stückwerk übrig. Wer sich mit dem Augenblick, also dem Beeindrucktsein während des Hörens, begnügen kann oder will, der findet in "Moi Putj" eine erstklassige Befriedigung seiner Bedürfnisse, während alle anderen vielleicht über die genannte Ballade (wenn sie keine konsequenten Balladenablehner sind) oder den die Extreme des Bandsounds am intensivsten koppelnden Titeltrack eine Erschließung versuchen sollten. Die schöne, für russische Verhältnisse fast opulent zu nennende Ausstattung (das Booklet enthält zwar kein Bandfoto, aber alle Texte und noch weitere Zeichnungen im Stile des Covers) und die auch im angloeuropäischen Maßstab konkurrenzfähige Klangqualität bieten weitere Kaufargumente, der nur die hierzulande möglicherweise schwierige Beschaffbarkeit entgegenstehen könnte. Der Rezensent hat sein Exemplar in einem sehr gut sortierten Plattenladen von Naltschik, der Hauptstadt der Kabardino-Balkarischen Autonomen Republik im Nordkaukasus, gekauft. www.stigmata.ru oder www.navigatorrecords.ru geben möglicherweise weitere Informationen preis. Und wenn schon die russische Bravo diese Band irgendwie unterstützt, könnte sie gleich ihre deutsche Mutter animieren, Ähnliches zu tun ...

Tracklist:
Smertj Jei K Lizu
28
Tanzui
Wsljot I Padenije
Nastanjet Djen
Wesna
Klub Samoubiiz
Gorod Sna
Moi Putj
W Otraschenii Glas



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