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von rls

SCENE X DREAM: Colosseum   (Battle Cry Records)

Nachdem Scene X Dream ihre selbstbetitelte und eigenproduzierte CD veröffentlicht hatten (und bei qualitätsbewußten Metallern, von denen es freilich auch in den Frühneunzigern viel zu wenige gab, einen Stein im Brett hatten), nahm das wiederbelebte belgische Label Mausoleum Records sie unter Vertrag, und Scene X Dream machten sich an die Aufnahmen des nächsten Albums, das "Colosseum" hätte heißen sollen. Unglücklicherweise wurden Mausoleum aber ein weiteres Mal vom Pleitegeier gefressen, und so verschwanden nicht nur die dreizehn eingespielten Songs in den Archiven, sondern auch Scene X Dream selbst beschlossen, daß es keinen Sinn mehr habe, gegen Windmühlen anzukämpfen, und beerdigten die Band auf dem Bandfriedhof, von dem sie erst 2010 wieder auferstand, um drei Projekte anzugehen: die Wiederveröffentlichung des Debütalbums (angereichert mit sechs Demotracks), die Exhumierung von "Colosseum" und schließlich die Arbeit an einem neuen Album.
Selbiges "Colosseum" zeigt den Titelgeber auf dem Cover und jagt dem Hörer beim Einlegen und Erstkontakt mit dem eröffnenden Titeltrack erstmal einen gehörigen Schrecken ein: Neu-Gitarrist Nico Mola spielt groovige Riffs, Neu-Drummer Frank Rohe (der früher schon mal zur Band gehörte) legt Halftimedrums drunter, und Sänger Andi Sommer versucht sich in einem Mix aus Shouting und Sprechgesang. Hat eine der besten Melodic-Progmetal-Bands ihre traditionellen Ideale aufgegeben und sich dem Trend der Mittneunziger angeschlossen? Bildeten die Halftimedrums im Intro von "Dream Evil", einem der beiden Livetracks des Debütalbums, also doch mehr als ein weiteres künstlerisches Stilmittel im Gesamtkonzept der Band, nämlich ein Sprungbrett, um auf den Trendzug aufzuspringen? Hat man den ersten Schreck verdaut und die CD nicht gleich wieder aus dem Player genommen, sondern weiterlaufen lassen, bekommt man die Antwort: zweimal ein Nein. Scene X Dream sind zwar im Gesamtbild tatsächlich ein wenig "moderner" geworden, aber dieser Schritt fällt unter "natürliche Weiterentwicklung" und nicht etwa unter "Trendanbiederung". Freilich wäre zu fragen, ob es günstig gewesen wäre, ausgerechnet den Titeltrack mit seinem modernen Touch als Opener zu wählen, der mehr oder weniger allen Altfans den besagten Schrecken eingejagt und sie möglicherweise vom Weiterhören abgehalten hätte, während trendorientierte neue Käuferschichten wohl schwerlich zu erschließen gewesen wären. Aber da das Album weiland ja nie erschienen ist, stellt sich diese Frage in diesem Kontext nicht, und 20 Jahre später ist der potentielle Hörer sowieso viel mehr gewöhnt und mit mehr Wassern gewaschen. Analysiert man den besagten Titeltrack etwas genauer, fällt auf, daß Scene X Dream hier versuchen, ihre alten melodisch-progressiven Stilistika auch noch mit unterzubringen und gewissermaßen eine Verschmelzung alter und neuer Zeiten zu erreichen. Im Gegensatz zu Queensryche, die das ab den Neunzigern ja auch versuchten, aber scheiterten, weil sie die Tugenden der alten Zeiten komplett gegen eine kalt wirkende Konstruktionsvariante eintauschten, ist ihnen das in den entsprechenden Songs auch gelungen, und so viele der Sorte sind's auch nicht, während das Gros von "Colosseum" durchaus auch auf das Debütalbum gepaßt hätte, nimmt man die geringfügig modernere Gitarrenarbeit Nico Molas aus, wobei aber auch er beweist, daß er die alte melodische Schule beherrscht. Das schnelle "Chains Of Freedom" als einziger Beitrag dieser Geschwindigkeitskategorie macht im Direktvergleich mit seinem Tempobruder "Silver Surfer" vom Debüt den Unterschied in der Herangehensweise deutlich, während die Halbballade "Keep These Moments" fast unverändert auch auf dem Debüt hätte stehen können. Scene X Dream gönnen sich darüber hinaus den Spaß, einen Song "New Age" zu nennen, aber weder New-Age-Musik zu spielen noch ihn zum Anlaß für den Einbau neuartiger Stilistika zu nutzen. Generell fällt allerdings auf, daß "Colosseum" nicht am Stück, sondern in mindestens zwei Sessions entstanden zu sein scheint, was durch die Angabe "1994/95" im leider wieder mal sehr dünnen Booklet zumindest nicht ad absurdum geführt wird. Zwischen dem zweiten Song "Robe Of The Pobe" (sic!) und "Get Out Of My Way" gibt es jedenfalls einen deutlichen Soundbruch, und der geht auch mit einem leichten Stilbruch einher - der Grad an moderneren Elementen nimmt in den etwas kraftloser produzierten Folgestücken nämlich Werte in der Nähe von 0 an. An Position 9 steht dann ein kurzes und herkunftsseitig unbewertbares Instrumental namens "DCB", und die letzten vier Songs sind wieder druckvoller produziert und deutlich moderner gehalten, wobei gerade "Bullfrog" Sommer auch wieder zum Rapper macht und ein Rapmetalgerüst mit einigen klassischen Melodic-Progmetal-Zutaten ausstaffiert, was für sich betrachtet schon wieder als hochgradig progressiv im Sinne von fortschrittlich einzustufen ist, da sowas zumindest nach Kenntnis des Rezensenten damals niemand in dieser Form gemacht hat, auch wenn die Meinungen ob Hör- oder Unhörbarkeit selbst heutzutage noch auseinandergehen würden, was auch auf das folgende "Holy War" zutrifft, das nervöse, mit einer Abwandlung des Riffs von Led Zeppelins "Immigrant Song" unterlegte Strophen mit flüssigen Refrainpassagen koppelt, wo Sommer wie auch in vielen anderen Stücken beweist, daß er immer noch einer der besten Sänger der damaligen deutschen Metalszene ist. Kompakte Inszenierung bleibt auch auf "Colosseum" wieder Trumpf: "DCB" aus der Wertung genommen, bringen es die anderen zwölf Songs auf 47 Minuten, also wieder den gewohnten Viererschnitt. Und generell bemerkt man, daß Scene X Dream viele ihrer alten Stärken auch auf "Colosseum" wieder eingebracht haben, wenngleich man wie beschrieben zumindest hier und da "progressiv" wirklich mit "fortschrittlich" übersetzen muß, um Gefallen an der einen oder anderen Nummer zu finden. Daß die abschließende, nach hinten heraus etwas zu exzessiv ausgewalzte Halbballade "Memories" (einer von zwei Songs neben "Live Means Alive", wo eine dezente Keyboarduntermalung zum Einsatz kommt) an diverse um den Jahrtausendwechsel herum veröffentlichte Großtaten von Seventh Avenue in diesem Sektor erinnert, stellt natürlich einen puren Zufall dar, denn hier befinden wir uns aufnahmetechnisch ja wie beschrieben im Jahre 1995. "Colosseum" stellt jedenfalls eine lohnende Entdeckung dar, auch wenn viele Anhänger im Direktvergleich vermutlich das Debüt vorziehen werden.
Kontakt: www.battlecryrecords.com, www.gom-records-onlineshop.com

Tracklist:
Colosseum
Robe Of The Pobe
Get Out Of My Way
No Turning Back
Hide In The Shadows
Chains Of Freedom
New Age
Keep These Moments
DCB
Live Means Alive
Bullfrog
Holy War
Memories
 




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