www.Crossover-agm.de SALIM GHAZI SAEEDI: Iconophobic
von rls

SALIM GHAZI SAEEDI: Iconophobic    (Eigenproduktion)

Aus Ländern außereuropäischer Kulturkreise erwartet man in der Musikwelt heutzutage in der Regel Kopien afroeuropäischer Musikstilistik oder aber das Entwickeln völlig eigener Systeme bzw. das Erschaffen von originellen Mischungen dieser originären Systeme mit afroeuropäischen Elementen. Salim Ghazi Saeedi nun bringt auf seinem vierten Album das Kunststück fertig, vordergründig keine Elemente seines heimatlichen, nämlich des persischen Kulturkreises zu verwenden, aber trotzdem den gängigen afroeuropäischen Erwartungshaltungen nicht zu entsprechen. Gängigen Songwritingformeln gehorcht keines der 13 Instrumentalstücke, die nichtsdetotrotz aber mit klassischer Rockinstrumentierung, also E-Gitarre (häufig auch unverzerrt), E-Baß, Drums (hier computergeneriert) und Keyboards mannigfacher Klangfarbe, umgesetzt werden. Das Ganze muß man sich, nicht zuletzt aufgrund des fehlenden Gesanges, dann eher so vorstellen wie den Soundtrack zu einem imaginären Film, und der kämpft mehr oder weniger gegen sein eigenes Problem an, wie der Albumtitel verdeutlicht: Ikonophobie heißt bekanntlich soviel wie Bilderfurcht, und die kann neben realen Kunstwerken (dann hätte der Begriff beispielsweise eine religiöse Komponente und wäre im Iran angesichts des geltenden Bilderverbots im Islam wahlweise als stromlinienförmig oder, was aufgrund der quälenden Auseinandersetzung wahrscheinlicher ist, als subversiv zu deuten) auch die Bilder im Kopf betreffen. Die jeweils ein- bis zweizeiligen Kommentare zu den Stücken im Booklet lassen die letztgenannte Variante als die wohl eher zutreffende erscheinen, auch wenn sich "Music Is Haram" in seinem Kommentar deutlich äußert: "Some people believe that creating and listening to music is sin." Um die Tragweite und Sprengkraft dieses simplen Satzes in ihrer ganzen Ausdehnung zu verstehen, muß man um die Situation der iranischen Musikszene, besonders der stilistisch eher westlich orientierten, wissen, aber auch mit nur einer Ahnung davon zieht man schon den Hut vor Salim, der sich allerdings auch scheinbar unverfänglicheren Themen widmet. Auch hier lauern allerdings bisweilen doppelte Böden, beispielsweise in "Transcend Ecstasy With Ecstasy" oder gleich dem Intro "Composer's Laughter", das mit tiefen Klavierakkorden und einem Streicherüberbau noch alles offenläßt, was musikalisch dann in den knapp 38 Minuten zu erwarten ist. Und in der Tat wird's bisweilen neoklassisch, bisweilen jazzig, ab und zu ansatzweise rockig ("The Songful Song Of Songbirds") und im erwähnten "Music Is Haram" dann richtig subversiv: Etwas Neoklassik, ein paar Countryanklänge (!), ein größerer Haufen Jazz und ein fast industrialrockiges Zwischenspiel mixen so ziemlich alles, was die Obrigkeit im Iran nicht so gerne hört, und so endet der Song dann auch in der Katastrophe, nämlich einer Tonstörung. Freilich: So richtig zum Genießen ist das größtenteils nicht, was Salim hier so von sich gibt, aber es schadet ja durchaus nichts, wenn man beim Musikhören auch mal seinen Denkapparat einschaltet. Musikalisch werden sich wohl am ehesten Freunde Frank Zappas angesprochen fühlen, zumal auch Salim von Haus aus Gitarrist ist und zumindest hier und da spürbar von diesem Instrument aus denkt, wenngleich er es nicht in jedem Song einsetzt. Ob seine ersten drei Alben, die unter dem Banner der Band Arashk erschienen sind, auch schon so klangen, ist dem Rezensenten nicht bekannt; jedenfalls ist Salim momentan gerade dabei, eine neue Band zusammenzustellen, um das Material von "Iconophobic" auch live umsetzen zu können. Da mit Auftritten außerhalb des Iran aufgrund der gegebenen Strukturlage kaum zu rechnen sein dürfte, muß man sich, wenn man das als Nicht-Iraner miterleben will, also selber nach Teheran begeben oder aber darauf hoffen, daß Salim eine Möglichkeit findet, das Konzert per Livestream auch ins Netz zu stellen - eine gängige Praxis im iranischen Musikuntergrund, wenn die Ordnungsmacht mal wieder geruht hat, ein Konzert zu unterbinden: Die Musiker spielen kurzerhand in ihrem Proberaum oder einer anderen geeigneten Räumlichkeit, und die Fans hocken zu Hause vor ihren Rechnern und sehen sich den Livestream an. Keine ideale Variante natürlich, aber immer noch besser als gar nichts. Seien wir also gespannt, wie sich die Lage um Salim weiterentwickelt, und derweil kann man sich ja schon mal "Iconophobic" und ggf. die drei Arashk-Vorgänger "Abrahadabra", "Sovereign" und "Ustuqzus-al-Uss" besorgen und seine eigenen Kopfbilder zu der Musik entwerfen. Nicht gleich kapitulieren, wenn's beim ersten Durchlauf noch nicht klappt - "Iconophobic" braucht Reife- und Eingewöhnungszeit, lohnt diese investierte Mühe aber.
Kontakt: www.salimworld.com

Tracklist:
Composer's Laughter
A Satire On Hell
And My Heart Aches Like 100 Aching Hearts
Asiyeh
The Songful Song Of Songbirds
Transcend Ecstasy With Ecstasy
Don't You See The Cheerful Rainbow?
Music Is Haram
Dance In Solitude
Eternal Melancholy Of Loving Women
Give My Childhood Back
Breast-Milk
I Am Beautiful, Are You Beautiful?
 




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