www.Crossover-agm.de THE PUNCH BROTHERS: Who's Feeling Young Now?
von sk

THE PUNCH BROTHERS: Who's Feeling Young Now?   (Nonesuch/Warner)

Bluegrass ist was für Männer in Latzhosen, ausgebeulten Schuhen und karierten Hemden? Man trägt beim Bluegrass gewöhnlich einen Hut, hat einen Strohhalm im Mundwinkel und spuckt gelegentlich Kautabak im hohen Bogen aus? Es gehört dazu, ab und an einen Schluck billigen selbstgebrannten Fusel zu kippen? Menschen aus der Großstadt und moderne Technik werden vom Bluesgrasser gemieden wie Liberale, Demokraten und das ganze Gedöns? Bluegrass kommt von ganz hinten aus'm Wald und hat mit aktuellen musikalischen Entwicklungen ungefähr so viel zu tun wie Sachsen mit Hochdeutsch?
Wenn ihr mindestens zwei der Fragen mit Ja beantwortet habt, dann seid ihr entweder - vorausgesetzt, schon die Vorstellung von Bluegrass ließ euch vor Abscheu schütteln - massiv mit Vorurteilen beladen oder - wenn ihr mit Vorfreude schon den Staub vom Banjo geblasen habt - Anwärter auf das Oklahoma-Yeeeha!-Abzeichen in Silber oder aber ihr kennt einfach die Punch Brothers nicht.
Der Bluegrass-Fan lasse nun alle Hoffnung auf Gewohntes fahren, der Bluegrass-Hasser werfe seine Vorurteile über Bord und alle zusammen lasst uns eintauchen in den Punch-Brothers-Kosmos des Progressiv-Bluegrass. Diese Charakteristik ist nicht von mir, aber sie trifft den Nagel auf den Kopf. Bei den Punch Brothers schlägt es musikalisch der Bohnen-Dose den Boden aus: Auf ihrem wilden Ritt durch die weiten Wälder der Pop- und Rockmusik wird alles aufgesaugt, was nicht bei drei auf dem Baum ist, und typisch bluegrassig ist dabei nur noch die Besetzung. Mastermind und Mastermandolinist Chris Thile (der schon mit Anfang 20 seinen ersten Grammy absahnte und live gerne auch mal J.S. Bach durch die Mandoline jagt) und seine Mannen swingen, rocken, jazzen und folken sich durch die Stile, bis kein Stein mehr auf dem anderen bleibt (Hört euch nur einmal "Movement And Location" an und wie Thile konsequent gegen den Rhythmus der Band anspielt!). Der Titeltrack "Who's Feeling Young Now?" klingt teilweise wie ein R'n'B-Radiokracher mit Banjo, Mandoline, Fiddle, Gitarre und Bass, der einer ordentlichen 70er-Jahre-Rockmusik-Wäsche unterzogen wurde und gleichzeitig herrlich in der Jazzschule das Auseinandernehmen und Wieder-Zusammensetzen von Liedern bis zur Perfektion gelernt hat. Bevor sich irgendwie ein Klischee musikalischer Art einnistet, sind die gewitzten Musiker zur Stelle und treiben es gleich wieder aus. Da werden Grenzen spielerisch ausgelotet, Genre und Stile einmal durch den Fleischwolf gedreht, bis am Ende diese ganz eigene Punch-Brothers-Melange steht. Wollte man hier alle Namen nennen, die beim Hören assoziiert werden, es wäre ein schier endloses Name-Dropping: Vom Swing der 20er durch den Rock'n'Roll der 50er, den Westküsten-Pop der 60er, die Energie der frühen Hard-Rock-Bands usw. usf. Sogar ein vermeintliches Bluegrass-Stück wie "Flippen/The Flip" wird in seine Einzelteile zerlegt, so als solle man Einblick bekommen in die Bausteine dieser Musik. Das ist immer was fürs Herz aber auch für den Kopf und nie gefällig und das in einer sehr guten, präzisen, klaren Produktion und Abmischung. Dass dann auch noch Radioheads "Kid A" gespielt wird, überrascht nun nicht mehr wirklich.
Wir halten fest: Bluegrass sind hier nur noch die Instrumente, die Musik ist intelligent, ohne verkopft zu sein und das Album definitiv eines der Highlights dieses Jahres. So. Bevor ich nun noch weiter schwafel, zieh ich lieber schnell meine Latzhose aus und spucke den Rest Kautabak auf den Schreibtisch. Nur vom Selbstgebrannten nehm ich nix mehr, der Bildschirm vom Laptop verschwimmt langsam. Yeeeha!
Kontakt: http://www.punchbrothers.com

Tracklist:
1. Movement And Location
2. This Girl
3. No Concern Of Yours
4. Who's Feeling Young Now?
5. Clara
6. Flippen
7. Patchwork Girlfriend
8. Hundred Dollars
9. Soon Or Never
10. New York City
11. Kid A
12. Don't Get Married Without Me



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