www.Crossover-agm.de MR. ZARKO: Electric Gypsy Disco Noise
von rls

MR. ZARKO: Electric Gypsy Disco Noise   (Pyromusic)

Der große Boom des Balkanbeats und verwandter Phänomene wie der Russendisko ist schon wieder geraume Zeit vorbei, aber nichtsdestotrotz überlebt das Genre auf durchaus hohem Niveau - kein Wunder, eignet es sich doch nach wie vor erstklassig, eine inhomogene Publikumsstruktur in einen großen schwitzenden und hüpfenden Organismus zu verwandeln. Zarko Jovasevic (er wird dem Rezensenten verzeihen, daß dieser im Sinne ubiquitärer Lesbarkeit im WeltWeitNetz auf die Haken über je einem Buchstaben seines Vor- und Nachnamens verzichtet) weiß das natürlich auch, und mit dem Albumtitel scheint er auch gleich das Programm seiner Debüt-CD auszurufen. 56 Minuten später, nein, eigentlich schon 10 Minuten später weiß man allerdings, daß er den Hörer damit zwar nicht angeflunkert, ihm aber auch nicht die ganze Wahrheit erzählt hat. Denn auf den Opener "Gypsy Street", der tatsächlich in die tanzbare und trotz gemäßigten Tempos zu wildem Herumhüpfen animierende Kategorie gehört, folgt "Zaspala Je Moja Mila Draga", laut den Credits im bookletlosen Digipack zwar ebenfalls eine Zarko-Komposition, aber vermutlich ein originales Vorbild aus Osteuropa antizipierend - es erklingt ein schwermütiges Klagelied, das mit keinem der vier titelgebenden Begriffe nähere Verwandtschaftsbeziehungen eingeht und das man in ähnlicher Form auf anderen Genrescheiben bisher eher selten oder noch gar nicht gehört hat. Freilich dauert die große Elegie nicht an, und schon mit dem an dritter Position befindlichen "Ruza" bewegen wir uns wieder im gewohnten tänzerischen Fahrwasser. Aber man hört dem Gesamtwerk an, daß die Musiker Theatererfahrung haben - sie fahren ein vielseitiges Effektarsenal auf und kennen sich in mancherlei Stilen aus. So einen Refrain wie in "Do Not Gamble With Love" hört man im Balkangenre nur äußerst selten mal. Da die Bandmitglieder, soweit sie balkanischer Herkunft sind, unterschiedlichen Regionen entstammen (Jovasevic ist Serbe, Trompeter Stefan Chiriac dürfte Rumäne sein, und mit Sängerin Katya Tasheva und Saxer Vladimir Karparov stehen zwei Bulgaren im Line-up), ermöglicht auch das die Einbringung verschiedenartiger musikalischer Traditionen, und wäre all das noch nicht genug, runden Mr. Zarko (es sei einfach mal angenommen, daß diese Bezeichnung zugleich als Bandname fungiert) das entstehende Gebräu auch noch mit völlig anderen Zutaten ab, wozu etwa die Tangorhythmen in "The Land Of Forgotten Dreams" zählen. Da muß man dann im Konzert schon ein bißchen aufpassen, um sich rhythmisch korrekt zu bewegen ... Interessanterweise besteht die Rhythmusgruppe aus zwei Deutschen, aber das hat keine negativen Auswirkungen gezeitigt. Der ganze Haufen siedelt in Berlin (wo auch sonst?), und so verwundern personelle Interferenzen etwa mit Rotfront nicht mehr. Nur wo das Bandinfoblatt eine "psychedelische Note" ausgemacht haben will, erschließt sich lange nicht - erst in "Fixing Gypsy Radios" wird man ansatzweise fündig, wobei die computerisierte Stimme hier eher an finsterste NDW-Zeiten (remember "Ich düse im Sauseschritt"?) erinnert, aber dafür ein paar andere Bestandteile, beispielsweise das Trompetensolo, einen etwas vernebelten Eindruck hinterlassen und das Synthiegeblubber in ähnlicher Form auf den technischer geprägten Mittachtziger-Scheiben von Udo Lindenberg zu hören gewesen ist. Und glaubt man, man habe alles entdeckt, kommt "Golden Legs" mit fast technoziden Abschnitten daher, die man aber auch als Freund handgemachten Musizierens nicht zwanghaft vorspulen muß. Hier steht mit Brana Bosnjak übrigens eine Gastmusikerin am Mikrofon, während sich diesen Job ansonsten Katya und Zarko teilen, erstere mit einer im besten Sinne normal zu nennenden Stimme, die aber auch sehr effekterzeugend eingesetzt werden kann (höre einige Passagen im erwähnten "Fixing Gypsy Radios"), letzterer meist etwas angerauht, aber nicht wirklich richtig feuerwasserselig. Das Gros der Texte ist übrigens in Englisch gehalten, aber als weitere nichtbalkanische Zutat findet sich auch noch Spanisch, wobei das zugehörige "Un Poquito De La Vida" insgesamt recht kosmopolitisch anmutet (die Bläsersätze imitieren beispielsweise keineswegs Mariachi-Trompeten, wie man bei konsequenter spanischer Ausrichtung hätte mutmaßen können). "The Waltz Of Death" trägt seinen musikalischen Gestus sogar im Titel, wobei man seinen Partner da schon mit relativ hohem Tempo in Richtung des Zweimeterstollens schieben muß (was freilich eigentlich gar nicht die Hauptabsicht des lyrischen Subjekts darstellt). Hier tritt die Theatererfahrung an mancher Stelle überdeutlich in Erscheinung, und Gleiches trifft auf das abschließende "Fall Asleep" zu, das mit seinen Glöckchen dem Titel ebenso Ehre macht, wie es ihn durch seinen nervösen Grundrhythmus ad absurdum führt. Etliche der Songs verlangen wie beschrieben erhöhte Aufmerksamkeit bei den zugrundezulegenden Bewegungsmustern, und generell erschöpft sich die Musik von Mr. Zarko keineswegs in der Tanzkomponente - es gibt nicht so sehr viele der gängigen Balkanbeat-Scheiben, die auch (oder manchmal sogar gerade) ein ruhiges Hören zu Hause lohnen, aber das hier ist eine davon.
Kontakt: www.mrzarko.com

Tracklist:
Gypsy Street
Zaspala Je Moja Mila Draga
Ruza
Do Not Gamble With Love
The Land Of Forgotten Dreams
Fingerhang My Heart
Fixing Gypsy Radios
Golden Legs
Crazy Papa
I Don't Really Wanna Die
Un Poquito De La Vida
The Waltz Of Death
Fall Asleep



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