www.Crossover-agm.de MOTORAMA: Alps
von rls

MOTORAMA: Alps   (Talitres)

"Motorama" war der Titel eines 1991 gedrehten amerikanischen Roadmovies. Wieso sich eine Rockband aus Rostow am Don nun ausgerechnet nach diesem Streifen benennt, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten - fest steht aber, daß der Name durchaus Erwartungen wecken könnte, die die Band nicht zu erfüllen gedenkt. Motorama spielen nämlich keineswegs typischen speedigen Streetrock, auch wenn sie vom Grundbeat her oftmals durchaus flott unterwegs sind. Statt dessen siedeln sie irgendwo in einer Schnittmenge aus Indie und Gothic Rock, wobei sich letztere Einschubladisierung im wesentlichen aus drei Komponenten ergibt. Da wäre zunächst der im besten Sinne als normal einzustufende, aber einen gewissen melancholischen Unterton aufweisende Leadgesang von Wladislaw Parschin (im Gegensatz zu vielen russischen Kollegen artikuliert er sich übrigens in Englisch), da wäre aber auch ein gewisser düsterer Schleier über der ganzen Musik, und da wären nicht zuletzt einige Anklänge an Größen des gothicbeeinflußten Rock wie The Mission, etwa in "Far Away From The City", dessen Intro einem quasi automatisch Hussey & Co. vors Gesicht zaubert. Praktischerweise schreibt das Infoblatt der Band dann auch eher einen nordischen als einen südländischen Charakter zu, und Livegigs sollen von Videoeinspielungen untermalt werden, die neben Wasserfällen auch dichte Wälder zeigen. Solche gibt es in Südrußland nun eher selten, auch wenn Rostow für russische Verhältnisse nicht weit von den kaukasischen Bergen entfernt liegt (auf deutsche Verhältnisse übertragen heißt das aber immer noch, daß, wenn Rostow mit Rostock gleichzusetzen wäre, die Fünftausender der Kaukasus-Hauptkette dort stünden, wo sich der Thüringer Wald und das Erzgebirge befinden). Passenderweise heißt das Debütalbum von "Motorama" dann auch noch "Alps" und erfährt nun über das französische Label Talitres eine europaweite Wiederveröffentlichung, nachdem es anno 2010 nur in Rußland erschienen war, aber Talitres mit dem zwischenzeitlich veröffentlichten Zweitwerk "Calendar" einen beträchtlichen Erfolg einfahren konnten. Die Neufassung enthält drei Bonustracks, und Undergroundfanatiker, welche die ersten drei Motorama-Singles "Horse", "Bear" und "Ghost" aus den Jahren 2008 und 2009 besitzen, können nachschauen, ob die Boni von diesen drei Releases stammen oder anderer Herkunft sein müssen - stilistisch weichen sie jedenfalls nicht von der Linie der regulären 9 Songs von "Alps" ab (nur das Soundgewand ist geringfügig dumpfer). Das ist gut und schade zugleich: Einerseits entsteht so ein geschlossenes Gesamtbild, das auch die Wiederveröffentlichung als ein Gesamtwerk erscheinen läßt, obwohl es ursprünglich nicht als ein solches gedacht war, sondern wie erwähnt aus mehreren Quellen besteht (wobei ein Song namens "Ghost" auch auf dem Album steht, es sich bei der Single also wohl um eine Vorabauskopplung gehandelt hat). Andererseits hätte sich hier die Chance geboten, die gewisse Monotonie des Materials etwas aufzubrechen: "Alps" ist keineswegs schlecht, und das Material dürfte gerade auch live seinen Charme entfalten, aber in der vorliegenden Konservenform hätte etwas mehr Variationsbreite durchaus gut getan. Nach dem Midtempo-Opener "Northern Seaside" rastet Drummer Roman Belenkiy nämlich über weite Strecken bei ähnlichen flotten Beats ein, und auch der ewiggleiche Gitarrensound von Parschin und/oder seinem Kompagnon Maxim Poliwanow in Kombination mit der einmal als liebgewonnen deklarierten klingelnden Spieltechnik wirkt auf die Dauer etwas ermüdend. Das kann live durchaus zu interessanten Schwebezuständen führen, und vielleicht ist es auf "Calendar" auch schon vielschichtiger gelöst, aber "Alps" beginnt sich mit zunehmender Spielzeit zu ziehen wie Kaugummi. Vielleicht könnte da auch die stärkere Einbeziehung des Keyboards von Alexander Norez helfen, denn dessen altertümliche Sounds verhelfen "Ghost" durchaus zu einem Gewinn an Ausdruckskraft und Originalität. Bisweilen hatte auch Parschin einen Geistesblitz beim Songwriting - und prompt wertet das originelle Zentralbreak "Warm Eyelids" ein gutes Stück auf. Der Rest ist auf "Alps" leider zu oft nach Schema F zusammengebastelt, aber es handelt sich ja auch erst um das Debütalbum der russischen Band, und vielleicht weiß "Calendar" hier schon deutlich höher zu punkten, so daß der mitteleuropäische Neueinsteiger in Sachen Motorama vielleicht erstmal das besagte Zweitwerk, das dem Rezensenten bisher allerdings nicht bekannt ist, anchecken, also den Normalweg der Entdeckung dieser Band in Mitteleuropa gehen sollte (wer sie nicht zufällig auf ihren für eine junge russische Band schon relativ ausgedehnten Touren gesehen hat, wird sie wohl kaum vor "Calendar" kennengelernt haben). Die Erschließung der knapp 50 Minuten von "Alps" wäre dann der nächste Schritt, wobei auch hier ein Liveerlebnis durchaus helfen könnte - verschiedenen Zeugnissen zufolge handelt es sich bei Motorama um eine starke Liveband, und an Tanzbarkeit mangelt es den Stücken auch keineswegs, wozu die flotten Drums und nicht zuletzt auch der treibende Baß von Irene Parschina ihr Scherflein beitragen. Ab Ende September 2013 kann man sich davon auch in deutschen Clubs wieder ein Bild machen.
Kontakt: www.wearemotorama.com, www.talitres.com

Tracklist:
Northern Seaside
Warm Eyelids
Compass
Letter Home
Wind In Her Hair
Ghost
Alps
Ship
Hunters
Normandy
Empty Bed
Far Away From The City



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