www.Crossover-agm.de TOMOKO & KURT MASUR: Partners In Life And Music
von ta

TOMOKO & KURT MASUR: Partners In Life And Music   (querstand)

Kurt Masur ist ja für Leipzig (aber nicht nur für Leipzig) das, was Hesse oder Sartre für die 68er, Lemmy für die Schwermetaller oder Diogenes von Sinope für die Stammtischphilosophen darstellt(e): Eine Kultfigur. Der nunmehr in Ehren ergraute Dirigent hat immerhin Jahrzehnte lang vor dem Gewandhausorchester den Taktstock geschwungen, bevor es ihn endgültig nach New York (ab 1996), später London (ab 2000) und Paris (ab 2002) verschlug. 2005 gibt es nun ein Familientreffen der besonderen Art. Masur hat Frau und Kinder nach Leipzig geholt, sich mit dem ansässigen Hochschulorchester und einigen Toningenieuren zusammengetan und ein gutes Dutzend seiner musikalischen Lebensstationen einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
So weit, so gut. Nun mag sich unweigerlich die Frage stellen: Was anfangen mit so einer Aufnahme? Warum sollen den geneigten Zuhörer die musikalischen Favoriten eines anderen so sehr interessieren, dass er sich dessen Privatkompilation für ein sicher nicht allzu geringes Entgelt zulege? Drei Argumente stehen prima facie zur Verfügung: 1) Weil vorne "Masur" draufsteht. 2) Weil die aufgenommenen Stücke weitestgehend unpopulär sind und bestimmt noch nicht im CD-Schränkchen des geneigten Zuhörers stehen. 3) Weil die Aufnahmen besonders gelungen sind.
Zu 1): Ein Anreiz, freilich, aber nur für die Masur-Verehrer. Die können dann sogar zufrieden sein mit der Auswahl des Meisters. Denn die ist musikhistorisch recht gelungen, was bedeutet ...:
Zu 2): ... dass die Mischung das Ganze zu einer kurzweiligen Angelegenheit macht, wie es sich für eine solche Zusammenstellung gehört. Allerdings sei gesagt, dass mindestens die Hälfte der Stücke ohnehin jeder einigermaßen mit dem Klassischen der Musik Vertraute in vielfacher Ausführung im Schrank stehen haben dürfte. Bartholdys "Hochzeitsmarsch", Brahms' "Sandmännchen"-Liedl oder Gershwins "Summertime" (aus "Porgy And Bess") gehören beileibe nicht zum Unentdeckten der Musikhistorie. Da überrascht die "Cantilena" aus dem fünften Stück der "Bachianas Brasileiras" des brasilianischen Bachverehrers Heitor Villa-Lobos schon eher und mehr. Aber der beinharte Klassiker hört lieber ein ganzes Werk als nur fünf Minuten daraus. Darum ist "Partners In Life And Music" wahrscheinlich auch nicht für ihn gedacht, sondern eher für den, der Klassik eben mal beim Kaffekränzchen auflegt und sich regelmäßig die "Best Of Romantics" oder "Best Adagios" aus dem Saturn-Regal einpackt. Diese - völlig legitime - Käuferperspektive kompensiert dann auch die nicht unbedingt Ausrufezeichen setzende technische Umsetzung der Stücke etwas. Damit
Zu 3): Kurt Masur spielt Klavier und dirigiert die Leipziger Hochschulmusiker, Tomoko Masur übernimmt den Sopran und ein paar Überraschungsgäste sind auch dabei (dazu später). Begeistern kann das Ergebnis aber mitnichten. Die Schwächen der Sopranisten zeigen sich besonders in den ruhigen Momenten, derer sich zahlreiche auf dieser Zusammenstellung befinden, und sie lauten Übervibration und Undeutlichkeit. Von Kosaku Yamada, vermutlich dem in europäischen Kreisen noch am ehesten bekannten japanischen Komponisten, werden vier kurze japanische Lieder vorgetragen, in denen Kurt Masur seine Frau zärtlich auf dem Klavier umspielt, während ihre Antwort in partiell zu heftigem Vibrato ertönt ("Kanega Nalimasu"), was man offenbar auszugleichen versucht hat, indem ihr Gesang eher hintergründig oder schlicht zu leise abgemischt wurde, was umso mehr stört, wenn wie in Mendelssohns "Bei der Wiege" und Brahms' "Sandmännchen" die dem Rezensenten vertrautere Sprache ertönt und teilweise kaum wahrnehmbar ist. Das wiederum liegt auch daran, dass die Sängerin besonders Dentallaute oft verschluckt, weil sie diese - als Japanerin? - viel zu weich angeht. Wenn dann, wie bei Claude Debussys "Romance" oder dem wunderbaren "Après un rêve" von Gabriel Fauré der Fall, die gesungene Sprache ohnehin sehr vokalbetont ausfällt (Französisch), klingt das Ergebnis beinahe, als ob gar keine Konsonanten im Text enthalten wären. Sauber singt die Dame ohne Zweifel - sieht man von einigen schwierigen Koloraturen in Mozarts erster Arie aus der Motette "Exsultate, jubilate" einmal ab, die etwas abgewürgt erscheinen -, aber das darf bei einer studierten Sängerin wohl vorausgesetzt werden. Zwiespältig also. Wie man es besser macht, beweisen Kurt Masur und das Hochschulorchester zu Leipzig galant. Das Auseinanderstreben der Strenge einer Bachschen Melodieführung und modernen, beinahe atonalen Klangmustern wird in der benannten Cantilena von Villa-Lobos perfekt inszeniert, mit Mozarts "Exsultate, ..." gelingt Orchester und Dirigent das Kunststück, gleichzeitig streng das einmal angeschlagene Tempo zu halten und innerhalb dieses Tempos äußerst lebendig zu erscheinen und die sehr schöne Umsetzung der Mendelssohnschen Ouvertüre zu "Ruy Blas" bestätigt einmal mehr die Binsenweisheit, dass Ouvertüren zum Besten der Musik überhaupt gehören. Gute Arbeit also.
In Mozarts Terzett "Soave sia il vento" aus dem ersten Akt von "Così fan tutte" kommt es zum Zusammentreffen der gesamten Familie. Der Vater dirigiert, die Mutter sopraniert, Tochter Carolin mezzosopraniert, Sohn Ken-David übernimmt den Rezitativ. Während Carolin Masur wenig eigene Akzente setzen kann, stimmt die angenehme, weiche Stimme des seit 2002 bei Thomas Quasthoff Gesang studierenden Ken-David Masur versöhnlich, kann aber auch nicht dafür sorgen, dass die schlussendlich verewigte Version des Terzetts einen echten Merkpunkt markiert.
Zusammenfassung zu 3): Die technische Umsetzung der Stücke fällt nicht außergewöhnlich unangenehm auf (wenngleich ein wenig), stellt aber auch keinen zwingenden Erwerbsgrund dar.
Den kann vielleicht die sonstige Aufmachung bieten: Großformatiger Pappschuber, beinahe fünfzig Seiten Booklet mit vielen Informationen betr. Musiker, Familienleben, Karrieren, Komponisten und mit den Texten sämtlicher mit ebensolchen versehenen Stücke. Das alles legt wiederum den Verdacht nahe, dass es hier weniger um die Musik als um die Masurs geht. Womit wir wieder bei 1) wären. Darum summa summarum: "Partners In Life And Music" soll letztendlich offenbar nicht mehr zeigen als zwei Partner in Leben und Musik. Da tritt das Ergebnis zugunsten des Weges dahin gerne ins zweite Glied. Müller, Meier oder Schulze könnten sich das nicht erlauben, Masur kann es sich erlauben. Wem das genügt, der wird mit der vierundsechzigminütigen Aufnahme glücklich werden. Wem das nicht reicht, der wird es vielleicht nicht.
Kontakt: www.vkjk.de

Tracklist:
Kosaku Yamada: Drei japanische Lieder
  1. Kayano-Kiyama
  2. Matchiboke
  3. Kanega nalimasu
Heitor Villa-Lobos
  4. Bachianas Brasileiras Nr. 5
Felix Mendelssohn Bartholdy
  5. Hochzeitsmarsch aus "Ein Sommernachtstraum" (op. 61, Nr. 4)
Drei Wiegenlieder:
F. M. Bartholdy
  6. Bei der Wiege (op. 47, Nr.6)
K. Yamada
  7. Chuhgokuchio-no-komoliuta
Johannes Brahms
  8. Sandmännchen (WoO 31, 1857)
Wolfgang Amadeus Mozart
  9. Motette "Exsultate, jubilate" (KV 165)
George Gershwin
  10. Summertime aus "Porgy And Bess"
W. A. Mozart
  11. Rezitativ und Terzett "soave sia il vento". Erster Akt, Szene VI, Nr. 10 aus "Così fan tutte" (KV 588)
Claude Debussy
  12. Romance
Gabriel Fauré
  13. Lydia
  14. Après um rêve
F. M. Bartholdy
  15. Ouvertüre zu "Ruy Blas" (op. 95)
 




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