www.Crossover-agm.de MANILLA ROAD: Voyager
von rls

MANILLA ROAD: Voyager   (My Graveyard Productions)

Manilla Road galten schon immer als eine polarisierende Band, der man kaum gleichgültig gegenüberstehen konnte - man liebte sie inbrünstig, oder man lehnte sie leidenschaftlich ab. Dieses Phänomen nun hat auf "Voyager", dem neuen Studioalbum der Band, eine neue Dimension erreicht, und das in zweierlei Hinsicht:
1.) Der grundsätzliche Stil hat sich nicht geändert, so daß es keinen Grund gibt, warum man plötzlich zum Supporter der Band mutieren sollte, wenn man mit den früheren Werken nichts anfangen konnte. Es regiert nach wie vor eine äußerst eigenständige Variante des Epic Metals, polternd, aber trotzdem feinfühlig, allerdings so verstaubt (im positiven Sinne!) produziert, als hätten die Bänder die letzten 30 Jahre am Rande der Hauptstraße einer beliebigen südrussischen Kleinstadt gelegen. Diesbezüglich ist also eigentlich alles beim alten, und die einzige strukturelle Veränderung besteht darin, daß es mittlerweile doch ein paar Bands gibt, die sich in der groben Überschau ähnlich anhören und von deren Anhängerschaft einige Menschen auch die Urväter dieses Stils, nämlich eben Manilla Road, entdecken könnten. Brocas Helm kennt zwar außer ein paar Spezialisten nach wie vor niemand, aber The Lord Weird Slough Feg haben sich mittlerweile ein gewisses Following erspielt, und auch The Gates Of Slumber passen beispielsweise gut in diese Traditionslinie. So könnten Manilla Road einige jüngere Fans gewinnen, die über besagte Bands auf den generellen Stil aufmerksam geworden sind.
2.) Einige der alten Supporter (und das sind insgesamt nicht viele an der Zahl, aber dafür prinzipiell treue) werden mit dem Gesang von Bandkopf Mark Shelton so ihre Probleme haben. Damit ist nicht der Normalgesang gemeint - der klingt nach wie vor so, als ob man dem Sänger die Nase zuhalten würde, und wirkt damit als Abgrenzungskriterium gegenüber den Ablehnern der Band. Aber dann gibt es diesmal noch eine zweite Sorte an Vocals. Das ist der alte Supporter zwar zumindest ansatzweise auch schon gewöhnt, nämlich von "The Circus Maximus" (1992), als plötzlich alle drei damaligen Bandmitglieder Leadvocals übernahmen - aber dieses Album war eigentlich gar nicht als Manilla Road-Album gedacht, sondern kam nur aus businesstechnischen Gründen und gegen die eigentlichen Absichten von Shelton unter dem Namen Manilla Road heraus. Diesmal nun gibt es in einigen Songs relativ weitreichend noch eine zweite Stimme - und die klingt nach Death Metal in gemäßigter Ausprägung, steuert also recht herbes Gebrüll bei. Es muß offenbleiben, wer diese Vocals singt - Bassist Harvey Patrick ist im Booklet auch mit "Backing Vocals" verzeichnet, aber die Death Metal-Passagen nehmen eigentlich einen zu breiten Raum ein, als daß man sie unter "Backing Vocals" fassen könnte, wenngleich sie wie erwähnt nicht in allen Songs auftauchen. Es besteht also auch die Möglichkeit, daß Shelton selbst brüllt, was dann aber die Frage offenließe, wo Patricks Backing Vocals sind, denn solche in klassischer Anwendung des Begriffs findet man nur sehr selten bis gar nicht. Sei es, wie es sei: Der alte Supporter wird durch den Death Metal-Gesang möglicherweise derart verstört, daß er sich mit mehr oder weniger Grausen von dem Album abwendet.
Soweit, so interessant. Aber was finden wir sonst noch so in den 64 Minuten? Eigenständigen Epic Metal, so haben wir die neun Songs ja schon klassifiziert - die Division ergibt zudem eine Durchschnittslänge von über sieben Minuten, die Manilla Road auch durchaus mit Spannung füllen können. Allein das Intro "Tomb Of The Serpent King" erstreckt sich über vier Minuten und geht dann in "Butchers Of The Sea" über - für den Uneingeweihten mit einem eigentümlichen Stilbruch, da man anhand des durchaus auch auf einer modernen Power Metal-Platte nicht deplazierten Intros nicht den stilistischen Rückgriff erwarten würde, den man dort hört. "Frost And Fire" ist kein Cirith Ungol-Cover, obwohl eine solche Annahme nicht zwingend fern läge, während man mit "Tree Of Life" noch eine Überraschung erlebt, nämlich die einer erstaunlich relaxten Halbballade. Danach erklingt eine themengemäße Kirchenorgel und leitet "Blood Eagle" ein, dessen Schlußteil zum Komplexesten gehört, was man an Rhythmusarbeit von Manilla Road gewöhnt ist; überhaupt muß Drummer Cory Christner mal gesondert erwähnt werden, dessen eigentümlicher Drumstil für eine Band wie Manilla Road geradezu stilprägend wirkt (und das, obwohl auf früheren Alben andere Schlagzeuger agierten). Die Orgel erklärt sich aus dem Inhalt: "Voyager" ist ein Konzeptalbum über eine ewiggestrige Wikingerhorde, die sich nicht der zunehmenden Zivilisierung ihrer Stammesgenossen unterwerfen will und auch etwas gegen ihre Christianisierung einzuwenden hat; auch die Wikingerkolonien in Island, Grönland und an der amerikanischen Ostküste finden Holgar und seine Besatzung friedlich dahinlebend und Odin einen guten Mann sein lassend vor. Nur eine der Kolonien hat Probleme mit den indianischen Nachbarn, die Holgar daraufhin vernichtet, aber keinen Dank dafür erntet - ergo tötet er den Koloniebischof (dort kommt dann die Orgel vor) und segelt weiter, bis er zu den Tolteken kommt, wo er endlich Krieg spielen kann, wie er es gerne möchte, letztlich dann aber doch vernichtet wird. Haken an der Geschichte ist nur, daß Holgar eigentlich als die positive Figur des Freiheitskämpfers gezeichnet ist (welche Freiheit, und was hat Odinismus mit Freiheit zu tun?) und zugleich in eine Art Märtyrerrolle gedrängt wird, die ihm anhand der Geschichte, die auf der letzten Bookletseite zusammengefaßt wird, eigentlich nicht zukommt. Aber solche Geschichtszurechtbiegungen kennt man ja aus fast allen Kulturen und selbstverständlich auch aus dem Metal (welches Mitglied einer heutigen Viking Metal-Band, das sich die angeblichen guten alten Zeiten zurückwünscht, würde im 10. Jahrhundert länger als 14 Tage überleben?); man sollte sie einzuordnen wissen und nicht automatisch den Teufel an die Wand malen. Herrn von Däniken muß man schließlich auch nicht alles glauben, und das hier ist zudem ja auch noch Poesie. Zurück ins musikalische Geschehen: Der Titeltrack beginnt mit einem Riff, das es definitiv schon einmal in einem anderen Zusammenhang zu hören gegeben hat; dem Rezensenten fällt nur gerade mal wieder nicht ein, in welchem. "Eye Of The Storm" überrascht wieder als Ballade, bevor "Return Of The Serpent King" mit Dialogen aus Death Metal- und normalen Vocals einen Kontrapunkt setzt und wohl eines der ekstatischsten Soli der CD enthält. "Conquest" führt diese Linie fast nahtlos fort, während der Closer "Totentanz (The Dance Of Death)", dessen einziges deutsches Wort das im Titel genannte ist (ansonsten zählt irgendjemand auch noch den Titeltrack auf deutsch ein) mit einem epischen Akustikintro beginnt, bevor sich wieder einer der typischen Midtempotracks der Band entspinnt, allerdings mit geschickten Tempoverharrungen mögliche Langeweile vermeidend. Das dürften die kollektiven Ablehner der Band anders sehen, sie werden die Platte wieder als grundsätzlich langweilig empfinden und haben bei oberflächlichem Hören vielleicht sogar recht damit. Aber unter der Oberfläche lauert doch etliches Interessantes, so daß auch der Anhänger der Band zufriedengestellt werden müßte, wenn, ja wenn er nicht bei des todesmetallischen Gesängen einen plötzlichen Tod gestorben ist. Stabilitätstests in Form eines Erwerbs sind hierzulande z.B. via www.karthagorecords.de realisierbar.
Kontakt: www.mygraveyardproductions.com

Tracklist:
Tomb Of The Serpent King / Butchers Of The Sea
Frost And Fire
Tree Of Life
Blood Eagle
Voyager
Eye Of The Storm
Return Of The Serpent King
Conquest
Totentanz (The Dance Of Death)
 




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