www.Crossover-agm.de MICHAEL KRÜCKER: Friedrich Nietzsche - Sämtliche Werke für Klavier Solo
von ta

MICHAEL KRÜCKER: Friedrich Nietzsche - Sämtliche Werke für Klavier Solo   (New Classical Adventures)

Wenn man sich in Friedrich Nietzsches philosophischem Oeuvre ein wenig umschaut, findet man allerlei Gedanken zur Ästhetik, darunter auch zur Musik, und hier besonders zum Musikschauspiel, wenn es von Richard Wagner kommt. Wer nachlesen möchte, nehme sich die vierte der Unzeitgemäßen Betrachtungen und Die Geburt der Tragödie vor. Beim Inhalt hört es aber nicht auf, denn auch stilistisch ist Nietzsche mindestens ebensoviel Künstler wie Philosoph. Es braucht also nicht überraschen, dass er sich auch selbst am Komponieren versucht hat. Heute liegt uns ein Bündel von etwa 50 aus ursprünglich 73 Kompositionen Nietzsches vor, siebzehn Lieder, eine Violinsonate und ansonsten Klavierstücke. Von letzteren hat sich der Pianist Michael Krücker die Solostücke herausgepickt, sie um mehrere (aber nicht alle) Fragment gebliebene Ergüsse des berühmtesten deutschen Riesenschnauzbartträgers neben Bismarck und Grass ergänzt und damit 79 Minuten Polycarbonat bespielt, die von NCA nun in einem schön robusten Digipack mit 63seitigem, dreisprachigem Booklet für 19,99 Ocken angeboten werden.
War Nietzsche ein großer Komponist? Eher nicht. Stilistisch und harmonisch lassen sich keinerlei Innovationen erkennen. Nietzsche war Epigone von Liszt ("Ermanarich"), Chopin ("Zwei polnische Tänze") und besonders Schumann (Rest). Außerdem sind die meisten Stücke viel zu kurz, um eine nennenswerte Tiefe zu entwickeln, wirken wie fragmentarische Blitze, auch in den Fällen, in denen sie eigentlich keine sein sollen. Der 20minütige "Hymnus an die Freundschaft" ist längentechnisch eine Ausnahme unter den vielen Zwei- und Dreiminütern, macht aber einen vergleichbar unfertigen Eindruck und serviert nach etwas über 30 Sekunden bereits den ersten Höhepunkt, um den zweiten übergangslos gleich dranzupappen. Überhaupt geht den meisten Kompositionen eine nennenswerte Struktur ab, wie man etwa am holprigen "Ungarischen Marsch", dem Andante der "Sonate D-Dur", das auf ziellose Weise immer wieder unterbrochen wird, und am mit sieben Minuten zweitlängsten Stück der Zusammenstellung, "Ermanarich", nachvollziehen kann. Paradoxerweise gehört gerade die "Fragment an sich" betitelte Nummer in ihrer Langsamkeit und Düsternis zu den schönen Momenten der Kompilation, auch die liedhaft-schwelgerische "Heldentat" weiß zu gefallen. Ansonsten gibt es zwar viele pathetische Gesten, aber wenig Inhalt und, wie gesagt, ebenso wenig Form.
Das musikalische Gesamtpaket ist deshalb nicht mehr als eine Sammlung weicher Ansätze, die seinerzeit vermutlich nicht ganz willkürlich nur belächelt worden ist. Da wirkt die Interpretation von Michael Krücker wie die frische Marmelade auf den alten Käse. Er nimmt die Stücke, wie sie sind und spielt sie mit soviel Liebe und Respekt, als wären sie noch viel mehr. Und tatsächlich: Manchmal funktioniert Marmelade auf Käse ja. Die sensible Interpretation gehört jedenfalls zu den Schmankerln dieser Zusammenstellung.
Dennoch in der Summe eher eine CD für Archivare, Biographen und Allessammler.
Kontakt: www.ncamusic.com, www.michaelkruecker.com; zu bekommen u.a. via www.wackelpeter.tv

Tracklist:
1. Einleitung
2. Ermanarich. Symphonische Dichtung. Energisch - düster
3. Das zerbrochene Ringlein (Joseph v. Eichendorff). Langsam
4. Im Mondschein auf der Puszta. Zart, innig, nicht zu langsam

Unserer Altvordern eingedenk (Zwei polnische Tänze)
  5. Mazurka
  6. Aus der Czarda. Anfänglich langsamer, dann immer schneller

7. Heldenklage. Mit tiefem Gefühl
8. So lach doch mal
9. Da geht ein Bach. Lebhaft
10. Sturmmarsch

11. Hymnus an die Freundschaft.
  - Vorspiel (Festzug der Freunde zum Tempel der Freundschaft). Mit feierlicher Zurückhaltung, bestimmt
  - Hymnus erste Strophe
  - Erstes Zwischenspiel. Wie in glücklich-trauriger Erinnerung
  - Hymnus zweite Strophe
  - Zweites Zwischenspiel. Wie eine Wahrsagung über die Zukunft
  - Hymnus dritte Strophe

12. Edes titok. Rhapsodisch (mit viel Gefühl vortragen)

Sonatine op. II
  13. Andante
  14. Presto

15. Das "Fragment an sich". Sehr langsam

Sonate D-Dur
  16. Allegro
  17. Andante

18. Marcia
19. Klavierskizze
20. Sonate G-Dur
21. Maestoso adagio
22. Vivace
23. Ungarischer Marsch. Feurig
24. Albumblatt
25. Allegro
26. Skizze (zu Byrons "Foscari"?)
27. Fugenfragmente
28. Schluss eines Klavierstücks



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