www.Crossover-agm.de KNEIPENTERRORISTEN: Das dreckige Dutzend
von sk

KNEIPENTERRORISTEN: Das dreckige Dutzend   (Remedy Records/Rude Records)

Zeitgenössische Lyrik - Ein Versuch: Manchmal kommt große Lyrik versteckt und verkleidet daher. Sie verschleiert die Tiefe und Schönheit des menschlichen Geistes im Kostüm sprachlicher Flatulenz, ummantelt sich in einem gewagten poetologischen Kniff mit street-credibility und legt so verborgene Schichten menschlicher Existenz frei. Der Spiegel, den sie uns vorzuhalten strebt, wird mit Feinrippunterhemden poliert, während sich Gedanken von metaphysischer Tragweite grölend als vermeintliche und sogenannte "Neue deutsche Härte" tarnen. Vier Akkorde für ein Halleluja, vier Akkorde für eine neue Ontologie des Einfachen im post-strukturalistischen Ödland, das von getunten Opel-Kolonnen durchpflügt wird. Die Kneipenterroristen stehen in einer langen lyrischen Ahnenreihe des Stultitianismus (von lat. stultitia = Albernheit, Einfalt), die ihren Anfang im untergehenden Römischen Reich nahm, als der verkannte Dichter Bibianus von Mailand mit einer freien Rezitation über sein Erbrochenes überregionale Bekanntheit erlangte, und die über zahllose weitere Vertreter (gleich einer Strömung, die die anerkannte Lyrik stets untergründig begleitete) bis in die Neuzeit reicht, ehe sie in Friedemann Fürchtegott Maria Pryzlakowskis "Liederzyklus für sechs Bierflaschen und drei Korn" im Kriegswinter 1870 ihrem ersten und unumstrittenen Höhepunkt entgegenging.
Diese lyrische Strömung feiert gegenwärtig Renaissance und die Kneipenterroristen erweisen sich als ungekrönte Könige dieses lange verkannten Genres. Ihnen gebührt der Lorbeerkranz, ja sogar die Bierdose in Gold für ihr Lebenswerk. Und vor allem gebührt ihnen unser aller Dank für große Momente deutscher Sprach- und Musikgestaltung. Wie viele Emotionen, wie viel existentielle Wucht stecken doch in Zeilen wie: "Malle schafft sie alle / Ob Helmut, Heidi oder Kalle", während es, in einer atemberaubenden Wendung, weiter heißt: "Mit deinen frisch getunten Hupen und wunderschönen Haaren / Wird nach dem Hubschraubereinsatz noch Schlauchboot gefahren".
Wer eintaucht in das lyrische Dickicht, der erfährt eine Katharsis aristotelischen Ausmaßes. Dass sich aber auf der CD, die einen kleinen Ausschnitt dieser poetischen Naturgewalten präsentiert, auch adaptierte Stücke des mittlerweile nicht mehr aktiven feingeistigen Künstlerkollektives Böhse Onkelz finden, schmälert den Genuss.
Zum Abschluss seien die Autoren noch einmal mit einigen Worten zitiert, die voller versteckter Anspielungen stecken und die im Stil des Symbolismus in aller Schonungslosigkeit die Nacktheit des Menschen zeigen, der im Moment der Entgrenzung durch die Konfrontation mit den Manifestationen des nach-industriellen Zeitalters eine radikale Wende von der Introspektion zur Bloßlegung seiner zerrissenen und gefährdeten Subjektivität erlebt:
"Ich unterhalt mich angeregt und laut mit meinem Klo / Ich frage die Schüssel: Warum geht's mir ständig so? / Als wäre das noch nicht genug, rumort's auch noch im Darm". Usw. usf.
Mit Tränen der Rührung schließe ich diese Rezension. Danke und Prost. Ich geh jetzt kotzen.
Kontakt: http://www.kneipenterroristen.org/

Tracklist:
1. Das dreckige Dutzend
2. Mein letztes Bier (schnelle Version)
3. Malle schafft sie alle (lange Version)
4. Durstige Männer
5. Wir ham noch lange nicht genug (Live)
6. Terpentin (Live)
7. Die Stunde des Siegers (Live)
8. Auf gute Freunde (Live)
9. Erinnerung (Live)
 




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