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von sk

HEINRICH VON HANDZAHM: Was treibt Dich an   (Bring Me Home)

Als ich mehr zufällig zu diesem Rezensentenposten kam, konnte ich es noch nicht ahnen. Aber wer ahnt schon, in welche Zwickmühlen man so kommt, wenn plötzlich eine neue CD rotiert und die Musik aus den Lautsprechern schwappt. Wie bringt man zwickgemahlen das vielfach bemühte "Ja, aber ..." geschickt aufs virtuelle Papier? Das Ja für sich: nicht das Problem. Das Aber für sich: auch nicht. Vertrackter ist da schon die Kombination dieser kleinen Wörtchen. Also langer Rede, kurzer Sinn: Mir bereitet es in diesem Fall fast körperliche Schmerzen zu sagen: Ja, gut gemachte Scheibe, ABER irgendwie arg halbgar. (Vielleicht wäre das Album auch ein Kandidat für den zweiten Teil der Reihe "Scheitern auf hohem Niveau oder: Warum zu viele Ambitionen selten lohnen").
Also erst einmal zum Ja, bevor die Aber-Keule zum Einsatz kommt: Abwechslungsreich. Kein besonders abwechslungsreiches Adjektiv für eine Rezension, zugegeben, aber stimmt ja. Sehr versiert und spielerisch leicht wird im Popgarten gewildert und ein musikalisches Menü aufgetischt, das überraschend gut zusammen funktioniert und schmeckt: Fluffige Mid-Tempo-Nummern für den Tanz in U-Bahn-Haltestellen (oder sonstwo), Latin-Klänge, Anflüge von Country-Rock, Rock (mit angezogener Handbremse und Reggae-Einschlag), Deutsch-Rock a la BAP usw. Musikalisch werden alle Register gezogen und HvH und Produzent Franz Plasa (Selig u.a.) schaffen das Kunststück, den Stilmix nicht auseinanderfallen zu lassen. Alles aus einem Guss. Bis auf "Hannover", das völlig aus dem Rahmen fällt und wirkt wie eine Karneval-Bierzelt-Schunkel-Stampf-Hit und vermutlich in diesem Bereich und nur dort am besten angesiedelt wäre. Grausam bis weit über die Schmerzgrenze.
Jetzt aber das Aber: Die Songs wirken, trotz ihrer stilistischen Vielfalt, wie musikalische Klischees im 3-bis-4-Minuten-Format. Melodien, Akkorde, Arrangements: Kennt man schon. Keine Ahnung, woher, aber alles wirkt sattsam bekannt. Auch das ein Kunststück, wenn wohl auch ein eher unfreiwilliges. Zurückhaltung wäre auch beim Einsatz von produktionstechnischen Sperenzchen angesagt. Sei's drum. Der Schwachpunkt sind aus meiner Sicht manche der Texte. Während der Opener "Indianer" noch mit feiner Melancholie zu punkten weiß, strotzen viele Lyrics vor Klischees. Auch hier ist "Hannover" der traurige Höhepunkt: "Zu hässlich für München / zu dumm für Berlin / zu trendy für Bautzen / zu männlich für Wien / zu pleite für Hamburg / zu reich für Schwerin / dann komm nach Hannover / denn da gehörst du hin." Entweder ich hab den Aufsprung auf den Humor-Zug verpasst, oder der Gag, sich über Hannover lustig zu machen, ist einfach schon ausgelaugt wie Witze über Berlin. Apropos Berlin: Natürlich muss sich noch über "Milchschaumplantagen" ausgelassen werden und über Leute, die an Projekten arbeiten ("Milchschaumplantagen"). Gähn ... Auch das Besingen des Retro-Phänomens ("Retro") ist wahrscheinlich selber schon wieder irgendwie irre Retro (wobei dieser Gedanke ein wunderbarer Anlass wäre, auf einer Metaebene spazieren zu gehen, aber ich hab grad keine Lust).
Ambivalent, was Heinrich von Handzahm hier abliefert. Gezündet hat es nicht. Da darf die Frage erlaubt sein: Was treibt dich an, Heinrich?
Kontakt: http://handzahm.de/

Tracklist:
1. Indianer
2. Doppelleben
3. Ich-Syndrom
4. Was treibt dich an
5. Du bist viel zu laut
6. Hannover
7. Retro
8. Mr. Right
9. Affairen haben kein Happy End
10. Burn-out
11. Milchschaumplantagen
 




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