www.Crossover-agm.de IAN GILLAN: Live In Anaheim
von rls

IAN GILLAN: Live In Anaheim   (Edel)

Andere fahren im Urlaub irgendwohin ans Ende der Welt und legen sich dort die Seele baumeln lassend an den Strand oder ersteigen irgendwelche Achttausender - Ian Gillan trommelt eine neue Soloband zusammen und geht mit ihr auf Tour. So geschehen 2006, nachdem seine biographieüberschauende "Gillan's Inn"-CD erschienen war und Deep Purple gerade Urlaub zu machen beschlossen. Immerhin hatte seine letzte Solotour 15 Jahre zurückgelegen, und wenn ich das richtig im Überblick habe, besteht die neue Truppe um seinen gitarrespielenden Manager Michael Lee Jackson bis auf Gitarrist Dean Howard, der bereits besagte 1991er "Toolbox"-Tour mitspielte, aus Livebesetzungs-Frischlingen an seiner Seite (auch wenn Keyboarder/Saxophonist Joe Mennonna schon auf dem 88er Gillan/Glover-Album "Accidently On Purpose" gastiert hatte) - trotzdem klingt "Live In Anaheim", den kompletten 103minütigen Gig im House Of Blues, Anaheim, Kalifornien von 14. September 2006 enthaltend, als wäre hier eine jahrelang zusammengewachsene Truppe am Start, die einfach nur starken traditionellen Hardrock zockt, wie ihn in dieser Qualität auch die Jüngeren nur selten hinbekommen. Die zu diesem Zeitpunkt bereits vier Wochen laufende Tour hat offensichtlich zur hervorragenden Eingespieltheit ihr Scherflein beigetragen. Und das größte Phänomen der Doppel-CD ist Gillans Gesang selbst. Der Mann hat ja in Livereviews der jüngeren Vergangenheit immer mal herbe Kritik für seine stimmlichen Leistungen einstecken müssen, und er besitzt tatsächlich auch nicht mehr die stimmliche Urkraft, die diverse Deep Purple-Scheiben der Siebziger oder auch das völlig unterschätzte Black Sabbath-Album "Born Again" zu Perlen der Rockgeschichte zu veredeln halfen - die Konsequenz, sein Markenzeichen "Child In Time" aus der Setlist zu streichen, hat er ja bereits in den Mittneunzigern ziehen müssen, da er die extrem anspruchsvollen Schreiparts nicht mehr adäquat hinbekommt. Aber in Anaheim singt Gillan über weite Strecken wieder wie ein junger Gott, baut sogar einige der spitzen Schreie wieder ein (höre die Einleitung von "Have Love Will Travel") und überzeugt selbstredend auch in den Normallagen. Keine Ahnung, ob hier viel nachbearbeitet worden ist - aber selbst dann hätte Gillan die Sachen ja selber nachbessernd einsingen müssen, also ist eine Diskussion über diese Frage eigentlich müßig. Nur "When A Blind Man Cries" überzeugt nicht, aber das liegt auch am etwas überhastet anmutenden instrumentalen Unterbau, der dem verloren-fragilen Charakter des Originals nicht zu entsprechen in der Lage ist. Daß die Band auch ruhigeren Songs gewachsen ist, zeigt eine der Raritäten in der Setlist, nämlich "Wasted Sunsets", ein Deep Purple-Song vom "Perfect Strangers"-Album, der von Purple selbst nie live gespielt worden ist, also auf dieser Tour seine Livepremiere erlebte (falls ihn nicht eine der zahlreichen Purple-Coverbands schon mal aufgeführt haben sollte). Da hat Gillan also schon mal Ferien von seiner Hauptband - und trotzdem kann er's nicht lassen, in deren Schaffen noch tiefer einzutauchen, als man das von ihm sowieso erwartet hätte ("Smoke On The Water" ist ja Pflichtprogramm für Gillan - er hat es auf der "Born Again"-Tour ja selbst bei Black Sabbath untergebracht -, und mit "Knocking At Your Back Door" war irgendwie auch zu rechnen). Es geht nämlich gleich noch mit "Not Responsible" weiter, vom gleichen Purple-Album und ebenfalls noch nie live gespielt (hier machen die kurzen Schreie aber phasenweise deutlich, daß Gillan eben doch keine 25 mehr ist). "Into The Fire" vom "In Rock"-Meilenstein gehört ebenfalls nicht zum Standardrepertoire der Purpurnen, steht hier aber gleich an Setposition 3 nach dem schönen Intro "Second Sight" und "No Laughing In Heaven", die beide aus früheren Solobandtagen Ian Gillans stammen, welchselbige nebst einigen mal mehr, mal weniger bluesigen Coverversionen (u.a. der Leiber-Stoller-Song "Trouble", kein Neuling in Gillans Repertoire - "Men Of War" hingegen ist natürlich keine orthographisch umfunktionierte Coverversion der Bandhymne von Adams, DeMaio & Co., sondern ein von John McCoy mitkomponiertes Gillan-Eigengewächs) den "Rest" des Sets bilden. Auch einige neueren Datums sind darunter, etwa das ebenfalls recht bluesige "No Worries", das Gillan zusammen mit Gitarrist Michael Lee Jackson (zwei Gitarristen plus ein Keyboarder sind in Gillans Solobandbesetzungen übrigens eher unüblich, früher begnügte er sich im Regelfall mit einem Gitarristen plus einem Keyboarder) geschrieben hat - in der Ansage zählt er augenzwinkernd auf, welche Getränke Gillan und Jackson vorher zu sich genommen hätten. In vier Songs, u.a. der Jamsession "Rivers Of Chocolate" (Welche jüngere Rockband stellt sich heute noch auf die Bühne und jammt? Welche könnte das überhaupt noch?), kommt übrigens noch ein weiterer Gitarrist dazu: Michael Bradford, Stammproduzent von Deep Purple, kann es im Urlaub also auch nicht lassen, sich in deren Dunstkreis zu bewegen. Andere Gigs der Tour sahen übrigens weitere Gäste wie Ronnie James Dio, Lars Ulrich oder Roger Glover (auch er kann also im Urlaub nicht abschalten), und es bleibt zu hoffen, daß auch der Toronto-Gig konserviert worden ist und eines Tages mal noch veröffentlicht wird, denn dort spielte gasthalber der blinde Gitarrenmeister Jeff Healey mit, der justament in den Tagen der Veröffentlichung von "Live In Anaheim" im Alter von nur 41 Jahren verstorben ist - es würde sicherlich ein würdiger Grabstein für ihn sein. Gillan selbst braucht hoffentlich noch lange keinen Grabstein, denn wenn er die Form dieser Doppel-CD noch etwas konservieren kann und uns weiterhin mit Knallern Marke "Unchain Your Brain" (mit mandolinenartigen Klängen im Hintergrund!) oder dem fast fetten Metal darstellenden "Bluesy Blue Sea" vom "Magic"-Album (noch ein Song, der noch nie zuvor live gespielt worden war) versorgt, darf er uns gerne noch viele Jahre erhalten bleiben. Kontakt: www.edel.com

Tracklist:
CD 1:
Second Sight
No Laughing In Heaven
Into The Fire
Hang Me Out To Dry
Have Love Will Travel
Wasted Sunsets
Not Responsible
No Worries
Rivers Of Chocolate (aka The G Jam)
Unchain Your Brain

CD 2:
Bluesy Blue Sea
Moonshine
Texas State Of Mind
Sugar Plum
When A Blind Man Cries
Men Of War
Drum Solo
Smoke On The Water
Trouble
Knocking At Your Back Door



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