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von ta

DORNENREICH: Flammentriebe   (Prophecy Productions)

Nun ja. Ich gehöre zu dieser eher engstirnigen Sorte Dornenreich-Fans, die der Zeit von "Her von welken Nächten" bis heute nachtrauern. Das Album war damals ein Ausrufezeichen zur richtigen Zeit, nach zwei bereits beileibe nicht schlechten Vorgängern ein Riesensprung, aber auch über den Kontext der Band hinaus für die Black-Metal-Szene ein Merkstein, innovativ, intensiv, intelligent.
In der Folge wurden Dornenreich greifbarer, einerseits natürlich, weil das Überraschungsmoment bei einer Wiederholung wegfällt; dann aber auch unabhängig vom historischen Kontext, weil die Musik Ambient-lastiger, minimalistischer wurde. Nach wie vor unverwechselbar, intensiv, intelligent, ohne Frage. Aber die überwältigende Wirkung nahm doch spürbar ab - zumindest ist das mein Empfinden. Nun erscheint also "Flammentriebe" und bereits im Vorhinein wurde bekannt, dass Dornenreich wieder deutlich Metal-lastiger zu Werke gehen würden. Dem ist dann prinzipiell auch so: Stampfendes Riffing gibt es in jedem der acht Stücke ebenso wie den Black-Metal-Rasierapparat. Eviga flüstert nicht nur, er schreit auch, nicht immer, aber häufig. Und hier und da ("Flammenmensch", "Der wunde Trieb", "In allem Weben") tauchen wieder Blastbeats und Doublebasspassagen auf. Ernennt man durch diese wiederentdeckte Härte beflügelt nun die eingangs lobend erwähnte "Her ..."-Scheibe zum passenden Vergleichsobjekt, darf der Befund im nächsten Atemzug gleich wieder relativiert werden. "Flammentriebe" ist langsamer, weniger aggressiv, weniger komplex und passt deshalb stilistisch irgendwo zwischen "Her ..." und "Durch den Traum".
Nach wie vor führt Evigas Stimme durch die Stücke, im beständigen Versuch, Gefühle möglichst unmittelbar in Lautäußerungen zu verwandeln, diesmal streckenweise etwas rhythmischer als gewohnt (höre bspw. "Wandel geschehe" oder "Fährte der Nacht"). Dazu passt, dass auch die Schlagzeugrhythmen, zumeist im treibenden Midtempo beheimatet, relativ straight ausfallen. Was das Gesamtpaket schon mal schön "rund" macht.
Neben Evigas Stimme ist die Geige auf dem vorliegenden Album feder-, soll heißen: melodieführend. Sie taucht in jedem Stück gleichberechtigt zur Gitarre auf und besorgt, wenn man es so nennen will, den Neofolk-Anteil an der Musik von Dornenreich, der besonders virulent in den Momenten wird, in welchen zusätzlich die akustische Gitarre erklingt.
Diese drei Elemente - verzerrte Gitarre, unverzerrte Gitarre, Geige - geben den Stücken ihre Grundstruktur, die über den Verlauf des Albums stets dieselbe bleibt; ein weiterer Grund, warum das Endergebnis "rund" ist: Die Basis des Songs ist mittelschneller Metal mit starkem Einschlag aus dem Black Metal, gleichmäßig unterbrochen von akustischen Interludes zwischen fünf Sekunden und einer Minute. Auf die ruhigen Passagen spricht und flüstert Eviga, auf die lauten schreit er. Und die Rhythmusarbeit von Gilvan hält alles zusammen. Zugegeben, diese Beschreibung hat etwas Polemisches und Unpassendes. Das Ergebnis lebt natürlich wie jedes Dornenreich-Album von der Expressivität, die eine Rezension nicht angemessen abzubilden in der Lage ist (zumindest sehe ich mich dazu nicht in der Lage). Aber prinzipiell ist "Flammentriebe" ein greifbares, durchschaubares und in gewissem Sinne gleichförmiges Album. Die Detailunterschiede der Stücke sind eben das: Detailunterschiede; und ich würde mich sogar zu der These versteigen, dass "Erst deine Träne löscht den Brand", der Albumcloser, in seiner melancholisch-repetitiven Gangart das einzige Stück ist, welches eine nur ihm eigene emotionale Note entwickelt.
Beeindruckend ist einmal mehr die enge Verzahnung von Texten und Musik, was mir die Möglichkeit gibt, einige der angedeuteten Detailunterschiede explizit zu benennen. So hat der "Wolfspuls" tatsächlich etwas Pulsierendes, einmal innerhalb des harten Leitriffs, dann aber auch was die Struktur des gesamten Stückes betrifft: a-b-a-b, Pulsaufschlag-Pulsabschlag. Der durch den Bildbereich des lodernden Feuers dominierte "Flammenmensch" entpuppt sich als der lebendigste und schnellste Beitrag auf dem Album. Und dass "In allem Weben" mit den Versen "Es erweckt/Der Kreis/Die Kraft" auch musikalisch explodiert, muss wohl nicht eigens erwähnt werden. Die Anrede ("du"), oft an eine Frage gekoppelt, und das Bild des Kreises ziehen sich quasi-leitmotivisch durch die Texte, beides ist neu für Dornenreich. In den Texten von Dornenreich nach echten Aussagen im Sinne von messages zu suchen, gestaltet sich schwierig, auch wenn Verse wie "Das Sein kreist in allem - und es lebt" eine Programmatik nahelegen. Prinzipiell geht es seit "Durch den Traum" - das ist jetzt nur meine private Deutung - eher um die Eröffnung bestimmter Bildbereiche und gelegentlich auch nur um klangvolle Reime ("Leugnen war dein Rat/Leugnen - deine Saat"). Aber wenn ich diese prinzipielle interpretatorische Marschrichtung mal nicht einschlagen und so grob sprechen darf, wie es die Texte schon noch zulassen, würde ich behaupten, dass die existenzielle Konfrontation von Mensch und Welt, die auf "Her ..." Thema war, hier wieder aufgehoben und nach dem alles Verbindenden Ausschau gehalten wird. Aber auch das ist nur meine private Deutung.
Wie fasst man das ganze zusammen? Dornenreich ist - natürlich - wieder einmal ein extravagantes, stimmiges, intensives, gefühlvolles, kluges Album gelungen, das seinen berechtigten Platz in der Discographie der Band und als Ganzes auch sein eigenes Profil hat: Härter wieder als zuletzt, ohne aber wieder zu der Aggressivität und Komplexität von 2001 zurückzukehren. Die Band bleibt einzigartig und schon allein deshalb sei jeder Interessierte aufgefordert, sich sein eigenes Bild von "Flammentriebe" zu machen.
Trotzdem: Nun ja. Früher war doch alles besser.
Kontakt: www.dornenreich.com, www.prophecy.cd

Tracklist:
1. Flammenmensch
2. Der wunde Trieb
3. Tief im Land
4. Wolfpuls
5. Wandel geschehe
6. Fährte der Nacht
7. In allem Weben
8. Erst deine Träne löscht den Brand



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