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von ta

DISSECTION: Rebirth Of Dissection   (Escapi Music)

Ein Aufatmen geht durch die Metal-Szene: Der umstrittene Dissection-Mastermind Jon Nödtveidt hat erkannt, dass Musik nicht das richtige Medium ist, um mit seinen antikosmischen Todesbotschaften Anderen Kopfzerbrechen zu bereiten und will folgerichtig Dissection nach einigen noch anstehenden Live-Terminen endgültig zu Grabe tragen. Die jüngste (und eher mäßige) Veröffentlichung "Reinkaos" gerät damit unvermittelt zusammen mit der vorliegenden DVD "Rebirth Of Dissection" zum Schwanengesang auf ein ganzes, schwieriges Kapitel Black Metal-History. Wir erinnern uns kurz: Nödtveidt durfte sich bis vor zwei Jahren ein Jahrzehnt lang schwedische Gefängnismauern von der richtigen Seite aus ansehen, weil er sich zur Beihilfe an einem Mord schuldig gemacht hatte. Bekanntermaßen sind die frühen und mittleren Neunziger für die Black Metal-Szene ohnehin eine Zeit, in der Musik mit Ideologie verwechselt wurde, was zu einer wiederum den Verkaufszahlen nicht unzugute kommenden Legenden- und Mythenbildung geführt hat - ein Korpus an schwammigen Dunkelheiten, sozusagen der Nimbus des Boshaften, aus dem der Black Metal bis heute zehrt. Es ist also schon aus kommerzieller Hinsicht klug von Nödtveidt, sich zu dem Mord nicht konkret zu äußern, sondern generell nur Interviews zu führen, in denen seine Tat nicht diskutiert wird, schließlich will der eigene Mythos erhalten bleiben. Allein, der angesprochene Nimbus des Boshaften, der eine Band wie Dissection (aber auch etwa Gorgoroth oder Impaled Nazarene, um mal zwei weitere aktuelle Beispiele anzuführen) umgibt, im besten (oder schlechtesten?) Fall sogar zum "Kult"-Act werden lässt, sollte doch spätestens dann öffentlich hinterfragt werden, wenn man als Käufer einer CD Angst haben muss, sein Geld jemandem zu übermitteln, den man als Menschen - nicht als Künstler mit einem Image, sondern als Person des realen Lebens - für moralisch zutiefst daneben empfindet. Immerhin belohne ich mit dem CD-Kauf von der Absicht her zwar den Künstler für seine musikalische Leistung, aber der Künstler selbst ist eben auch noch ein Mensch mit Zielen und Taten, ein Mensch, den ich - meine Absicht hin oder her - damit auch bediene, selbst wenn ich seine Ziele und Taten für ganz miserabel halte. Und diese Seite des Kerls da hinter der Gitarre oder hinter dem Mikrophon oder - wie im Falle Dissection - beides will ich eigentlich nicht bedienen. Damned.
Ein Künstler, der weiß, dass er den Käufer seines Albums in solcherlei Konflikte mit sich selbst bringt, kann diese Konflikte entschärfen, indem er klar Stellung bezieht. Cannibal Corpse oder Slayer, die ja auch zeitweilig sehr umstritten waren, versuchen das bis heute vergleichsweise erfolgreich, die angesprochenen Impaled Nazarene versuchen es nur so halb, die ebenfalls bereits angesprochenen Gorgoroth versuchen es überhaupt nicht. Wie sieht der Fall bei Dissection aus? Nödtveidt könnte seinen Mord im Nachhinein als Fehler, im besten Falle als moralischen Fehler, herausstellen, sich den Vorwürfen zu seiner Tat stellen und beweisen, dass er - der Leser entschuldige den lehrerhaften Ton des Autoren - im letzten Jahrzehnt etwas gelernt hat. Er könnte ferner betonen, dass sich seine konkrete, in dieser unserer Welt stattfindende Tat nicht notwendig aus dem in seinen Texten präsentierten abstrakten und weltfremden Satanismus ergibt, sprich: kein angemessenes Mittel zur Realisierung seiner satanistischen Ziele ist. Die Alternative zu so einer Stellungnahme ist natürlich einfacher und sie entmystifiziert nicht den angesprochenen Nimbus des Boshaften: Eigenes Schweigen und Frageverbot für Journalisten.
Nun, Nödtveidt hat sich, man weiß es und ich sagte es bereits, für die einfache Lösung entschieden und muss nun damit leben, dass sich sowohl die Presse als auch seine ehemals begeisterte Käuferschar ob ihres Unwissens über Fragen wie Reue und dem Zusammenhang zwischen Texten und Tat von ihm abwendet. Vielleicht hat auch diese Abwendung (die allerdings nicht großflächig zu sein scheint und sich nur auf einzelne Szeneabteilungen bezieht) ihn zum Gnadenschuss für Dissection geführt, das wiederum weiß man nicht. Auch nicht nach Sichtung des spektakulär als Enthüllungsinterview angekündigten Gesprächs mit Nödtveidt, das sich auf "Rebirth Of Dissection" befindet. Nödtveidt stellt einmal mehr sein diffuses "satanic concept" vor, spricht über das Erreichen neuer Existenzzustände, das Durchbrechen bestehender Ordnungen, die blöde Gesellschaft, die das Individuum kontrolliert und den Ausbruch aus diesem Kontrollverhältnis mittels des Ausbruchs aus dem Sklavenstatus: "I do what I want to do". Und wenn es Mord ist, den du willst? Auch nur das Durchbrechen einer (moralischen) Ordnung? Das Erreichen eines neuen Existenzniveaus? Kein Wort dazu. Nödtveidt ist nicht der Mann, der antwortet und Fragen werden ohnehin auf der DVD keine gestellt, der Zuschauer muss sie sich zu Nödtveidts Monologen dazu addieren. Auch die Statements zu Lernerfahrungen aus der Zeit seines Gefängnisaufenthalts sind enttäuschend wenig auf das dem Aufenthalt zugrunde liegende Verbrechen bezogen. Freiheit und Unabhängigkeit sind echte Grundwerte, das habe er erkannt, so Nödtveidt, und man merke erst hinter Gittern, wer die echten Freunde sind. Und die Presse, die ständig mit reaktionärem, sklavischem Moralgefasel nervt, gehört nicht zu diesen Freunden? Sicher nicht. So treibt Nödtveidt seine Selbststilisierung als Oppositioneller auf die Spitze, der sowohl der Gesellschaft im Allgemeinen als auch der Metal-Szene im Besonderen souverän den Stinkefinger entgegenhält, ohne Rücksicht auf Verluste. Ein böser Mördersmann, der ganz er selbst sein kann. Arm, einfach arm. Keiner erwartet, dass Nödtveidt auf Knien um Vergebung bettelt, aber irgendeine Form von Einlenkung im Unterschied zu früheren Interviews und Texten wäre nötig gewesen und wurde nicht erbracht. Stattdessen gibt es keine nennenswerten Differenzen zwischen den "alten" und den "neuen" Dissection, d.h. dem alten und dem neuen Nödtveidt (und zwischen den alten und den neuen Songtexten auch nicht, dies nur am Rande). Fazit: Angesichts der umstrittenen Person Nödtveidt ist das Interview auf der vorliegenden DVD eine Enttäuschung.
Anders das Konzert aus Stockholm, das im Oktober 2004 mitgeschnitten wurde. Bild- und Tonqualität sind Spitzenklasse (zweitere hat Studioniveau), die (neue) Band spielt richtig heavy und wirklich arschtight, die Setlist ist der Hammer, umfasst das gesamte Meisterstück "Storm Of The Lights Bane" (nie war "Soulreaper" so finster wie an diesem Abend), die Highlights von "The Somberlain" und enthält mit dem zum Gähnen langweiligen neuen Track "Maha Kali" tatsächlich nur einen Ausfall. Vollbedienung nennt man das dann wohl. Kurze Schwarz/Weiß-Einblendungen erhöhen die Düsternis des Events und der dominante Nödtveidt selbst, der so kurz nach seinem Gefängnisaufenthalt wie der genauso stiernackige Zwillingsbruder von Edward Norton aus "American History X" aussieht, hält sich ansagetechnisch zurück, plaudert nur gelegentlich kurz auf Schwedisch und nennt Songtitel, wirkt ansonsten sehr agil - agiler als seine eher statische Begleitband (der neue Drummer sieht aus, als ob er kurz vorm Einschlafen wäre) - und ist gut bei Stimme. Da hätte die dröge Fotogalerie und das auch nur mäßig spannende Video zum Neuling "Starless Aeon" wirklich niemand mehr gebraucht. Aber sei's drum, gelungener Konzertmitschnitt.
Für Dissection-Fans, denen es nicht so wichtig ist, was der Kerl hinter der Gitarre und hinter dem Mikro sonst noch so treibt, ist "Rebirth Of Dissection" ein gefundenes Fressen, denn die Live-Aufnahmen übertreffen die Mitteneunziger-Veröffentlichung von der "Gods Of Darkness"-Tour mit Dimmu Borgir um ein Vielfaches an Qualität (die Setlist unterscheidet sich so groß ja nun nicht). Für den Rest der Anhängerschaft, der sich gerne ein wenig mehr Hintergrundinfos gewünscht hätte, um im besten Fall a) sein Gewissen zu beruhigen oder aber im schlechtesten Fall b) endgültig von einer Band Abschied zu nehmen und ihre Unterstützung zukünftig zu unterlassen, bleibt die innere Unentschiedenheit, der Konflikt bei der Abwägung guter Künstler vs. schlechter Mensch. Da kommt die Bandauflösung, wie gesagt, gerade recht, um das Problem sozusagen extern zu lösen. Richtig zufrieden macht das aber nicht.
Kontakt: www.escapimusic.com

Tracklist:
1. Intro: At The Fathomless Depths
2. Nights Blood
3. Frozen
4. Maha Kali
5. Soulreaper
6. No Dreams Bread In Breathless Sleep
7. Where Dead Angels Lie
8. Retribution ... Storm Of The Lights Bane
9. Unhallowed
10. Thorns Of Crimson Death
11. Heavens Damnation
12. In The Cold Winds Of Nowhere
13. Elizabeth Bathory
14. The Somberlain
15. A Land Forlorn



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