www.Crossover-agm.de THE DIRTY DOZEN BRASS BAND: Twenty Dozen
von rls

THE DIRTY DOZEN BRASS BAND: Twenty Dozen   (Savoy Jazz/Membran)

Hm, mit Bandnamen ist das so eine Sache. Schmutzig musiziert die Dirty Dozen Brass Band jedenfalls nur dann, wenn man Bigbandjazz generell als schmutzig deklariert (die Anzahl dieser Personen dürfte im Sinken befindlich sein), und um ein Dutzend Musiker handelt es sich zumindest auf dieser CD auch nicht - wenn man die drei Gastmusiker an Hammondorgel, Posaune und Tamburin hinzuzählt, kommt man trotzdem nur auf zehn, aber wenn die drei Backgroundsängerinnen auch noch addiert werden, ist man bei 13 angelangt, also einem Teufelsdutzend, das man im Englischen auch als Baker's Dozen kennt. Aber das mit dem Blech stimmt: Fünf der sieben Bandmitglieder sind Bläser, wenngleich es sich bei zweien strenggenommen um Holzbläser handelt - obwohl das Saxophon ja überwiegend aus Metall besteht, gehört es in der nach der Mundstücktechnologie geordneten Klassifikation zu den Holzblasinstrumenten. Von den anderen drei Bläsern spielen zwei Trompete und einer Sousaphon, also eine spezielle Sorte der Tuba, und dazu kommen in der Grundbesetzung noch ein Gitarrist und ein Schlagzeuger, wobei sich am perkussiven Element bisweilen auch noch Tenorsaxophonist Kevin Harris beteiligt - so ist zu vermuten, daß er in "Best Of All" für die Trinidad Steel Drums verantwortlich zeichnet, die neben dem normalen Schlagzeug von Terence Higgins erklingen und diesem Song einen gewissen Reggae-Touch verleihen, womit er freilich nicht allein auf weiter Flur steht: The Dirty Dozen Brass Band zeigt sich zwar in der Gesamtbetrachtung deutlich im Bläserjazz der Marke "Bigband im Kleinen" bzw. Marching Band verwurzelt, aber das Septett baut auch andere Einflüsse mit ein. Originell ist "Twenty Dozen" deshalb zwar trotzdem noch lange nicht, aber unterhaltsam allemal, und es muß ja auch nicht jede Band die Musikgeschichte gleich revolutionieren. Zudem setzt das dreckige Dutzend durchaus eigene Schwerpunkte, und zwar sowohl in der Instrumentierung als auch in der grundsätzlichen Wahl des eingespielten Materials. Zwar liegt der Fokus auf dem Instrumentalschaffen, aber neben den drei erwähnten Backgroundsängerinnen steuern auch einige der sieben Herren gelegentlich Vokaleinwürfe bei. Zudem verzichtet die Truppe auf einen Baßgitarristen, so daß die Aufgabe einer klassischen Rhythmusgruppe neben dem Drummer wechselseitig noch von einem der Bläser oder gelegentlich gasthalber vom Hammondorganisten übernommen werden muß. Bisweilen allerdings ist schlicht und einfach keiner frei (auch der Sousaphonist Kirk Joseph nicht), und dann verzichten die Glorreichen Sieben halt auf den Groove einer vollbesetzten Rhythmusgruppe. Sie sind sowieso recht, naja, nicht unbedarft, aber skrupellos, was die Arrangements ihrer Eigenkompositionen angeht: Da liegen die Melodielinien der einzelnen Blasinstrumente schon im Opener "Tomorrow" auch mal so nebeneinander, daß sich der Freund klassischer Bigbandklänge erstmal genau in das Material hineinhören muß, um die Struktur der Linien und ihre Verknüpfungspunkte zu erkennen, ohne daß aber etwa atonale Experimente aus den Boxen schallen würden. Das erscheint hier und da anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, aber dafür hat man für etliche Hördurchläufe etwas zum Entdecken und Analysieren. Interessant ist ferner auch noch die Zusammensetzung der elf Stücke auf "Twenty Dozen": Gleich siebenmal handelt es sich um Eigenkompositionen, wobei selbst der Drummer als Songwriter hervortritt: "We Gon' Roll" hat Higgins geschrieben, und es handelt sich nicht etwa um ein Drumsolo, sondern wieder um einen Song mit leichten Reggaeanklängen, der allerdings seitens der Schlagzeugarbeit in der Tat etwas komplizierter strukturiert ist als ein Gutteil des "Restes" - offenbar wollte sich der Drummer etwas Arbeit verschaffen ... Was freilich nicht heißt, er hätte in den anderen Stücken nur stoische Viervierteltakte durchzuklöppeln! Auch hier findet sich manche Akzentverschiebung, in die man sich zunächst hineinhören muß. Im Mittelpunkt stehen naturgemäß freilich andere der Spieler, und besonders die Trompeter haben alle Hände voll zu tun, um ihre vom Tonspektrum her natürlicherweise hervorgehobene Rolle zu rechtfertigen. Selbst Higgins gönnt ihnen in "We Gon' Roll" manche Glanzpassage, allerdings vielleicht auf etwas andere Art und Weise, als sie das gewöhnt sind: Hier kommt ein deutlich psychedelischer Touch hinzu, der auch auf die Saxophone übergreift. Da insgesamt elf Songs enthalten sind (die summiert etwas über 50 Minuten dauern), müssen zwangsweise vier Coverversionen hinzustoßen, und auch hier hätten wir wieder einen Beweis für stilübergreifende Kenntnis. Mit Paul Barbarin verneigt sich die Dirty Dozen Brass Band, die immerhin auch schon auf dreieinhalb Jahrzehnte Aktivität zurückblicken kann, vor einem der Urväter ihres eigenen Stils - der Schlagzeuger starb interessanterweise 1969 bei einer Mardi-Gras-Parade. Dieser Song kommt dem Stil einer ursprünglichen Marching Band am nächsten und ist auch in harmonischer Hinsicht der konventionellste. Aus einer ganz anderen Ecke stammt "Don't Stop The Music": Das Stück war 2007 ein großer Hit für Rihanna, und in der Fassung der Dirty Dozen Brass Band kann man es sich auch anhören, ohne Rihanna zu mögen. Die beiden anderen Fremdkompositionen sind eigentlich keine solchen, sondern als Traditionals gekennzeichnet, und sie schließen sich direkt an "Paul Barbarin's Second Line" an: "E-Flat Blues" verarbeitet titelgemäß ein Bluesschema in der gegebenen Tonart, ist also sowas wie eine Etüde oder eine festgehaltene Improvisation, und dann kommt noch "When The Saints Go Marching In", das in nur viereinhalb Minuten so viele Ideen zu diesem Song bündelt, daß man einen Heidenspaß beim Hören hat und zudem den Heidenspaß ahnt, den die Truppe beim Einspielen hatte. Brassbands dieser Sorte haben ja naturgemäß eine große Livewirkung, aber hier dürfte auch im lahmsten Publikum der Bär zu toben beginnen. Nicht alle der elf Songs erreichen in der Konservenfassung dieses Mitreißniveau, aber wenn man sich in die spröde Harmonik einiger Passagen erstmal reingehört hat und auch keinen Ausschlag bekommt, wenn die Truppe plötzlich Hip Hop spielt (nur halt mit Brass-Band-Instrumentierung), dann wird "Twenty Dozen" (das das 17. Album der Truppe darstellt, wenn man dem Wikipedia-Artikel glaubt - auf der eigenen Homepage ist es aber erst das zwölfte) zu einem durchaus reizvollen Hörvergnügen. Und wer auf Hip Hop allergisch reagiert, programmiert halt seinen CD-Player so, daß er "Dirty Old Man", den Closer der CD, ausläßt und, wenn die Heiligen einmarschiert sind, wieder von vorn beginnt.
Kontakt: www.dirtydozenbrass.com; zu bekommen u.a. via www.wackelpeter.tv

Tracklist:
Tomorrow
Jook
Best Of All
Git Up
Don't Stop The Music
We Gon' Roll
Trippin' Inside A Bubble
Paul Barbarin's Second Line
E-Flat Blues
When The Saints Go Marching In
Dirty Old Man
 




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