www.Crossover-agm.de CHAOSSTAR: Lifetime
von rls

CHAOSSTAR: Lifetime   (On Parole Productions)

Mit der sogenannten Progressivität in der Musik ist das ja so eine Sache. Eine dodekaphone Sinfonie für Kuhglocken, Sitar und Death Metal-Schlagzeug wäre zweifellos als progressiv im Sinne von fortschrittlich anzusprechen - die Frage bliebe dann, wer sie sich freiwillig anhört. Qua Genrebezeichnung steht der Progressive Metal seit eh und je vor dem Dilemma, wie er sich selbst definiert, und das Vorhandensein diverser Rhythmuswechsel an eigentümlichen Positionen macht eine Metalband zwar zur Progressive Metal-Band, aber nicht zwingend auch zur progressiven Metalband. Chaosstar aus Slowenien lösen das Problem nun ganz einfach, indem sie es als für sich nonexistent betrachten: Sie bewegen sich eindeutig im Rahmen dessen, was man seit sagen wir Dream Theaters "Awake"-Album als Progressive Metal zu definieren gewillt ist, nehmen sich innerhalb dieses Rahmens aber die größtmöglichen Freiheiten und greifen ab und an auch mal zu einer Frucht, die weiter außerhalb hängt - in drei der acht Songs steuert Erika Gricar beispielsweise eine Harfe bei. Und generell fällt auf, daß sie dem Keyboard nur recht wenig Einflußspielraum einräumen - sie haben auch keinen hauptamtlichen Bediener dieses Instruments in der Besetzung. In zwei Songs kommen Tastengäste zum Zuge, einige weitere Synths und Effekte spielte Drummer/Produzent Primoz Jelsevar ein, ansonsten regieren hier ganz klar die Gitarren, und die machen ihre Sache gut. Auch hier gilt das Gleiche im Kleinen wie für den Bandsound im Großen: Erlaubt ist, was innerhalb des Rahmens gefällt, und hier und da greift man auch mal nach draußen. Melodien und zugängliche Strukturen sind dabei durchaus kein Fremdwort - man kann sich in vielen der 47 Minuten des Eindrucks nicht erwehren, daß man es bei Chaosstar mit einer ehemaligen Power Metal-Band zu tun hat, die mit der Zeit in den Progmetal abgedriftet ist. Das kann freilich nur derjenige bewerten, der die bisherige Bandgeschichte kennt - www.metal-archives.com nennt "Lifetime" als Debütalbum und führt auch keine Demos vorher auf. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß laut Bookletangaben die Aufnahmen mehr als drei Jahre gedauert haben, und das kann man sich nach dem Hören auch als durchaus realistisch vorstellen - hier ein Break, da ein schräger Lauf, dort plötzlich pure Geradlinigkeit ... Man braucht etliche Durchläufe, bis man sich durch dieses scheinbare Gewirr gehangelt hat, aber einige griffige Passagen leisten Einarbeitungshilfe, beispielsweise der eingängige Refrain von "Rebirth". Der wird freilich wieder die Fraktion "Ich kriege von diesen ganzen Kopfstimmen Migräne" in den Wahnsinn treiben, denn Sänger Jure Jurca würde bedenkenlos einen Job in jeder Power- oder Speed Metal-Kapelle erlangen, die auf einen kräftigen, aber dennoch problemlos in die Höhen vordringenden Vokalisten erpicht ist. Allerdings hält er sich nur vorübergehend in extremen Höhen auf und erinnert in seiner immer noch recht hohen Hauptstimmlage an jemanden, dessen Name dem Rezensenten gerade nicht einfällt. Bisweilen treten auch chorische Passagen oder weibliche Vocals hinzu, letztere eher im Heavenly Voices-Bereich, aber trotzdem kräftig genug, um sich im umliegenden Gewirbel Gehör zu verschaffen. Die Katze in "Dreams Of Reality" kann man eventuell im Kuckucksuhrengeratter überhören, während Helloween-Anhänger in "Lifetime V-XVIII" eine reizvolle Suchaufgabe erfüllen dürfen, nämlich den Anklang an "Mission Motherland" zu finden (es ist nicht schwer). So erschließt sich jeder das Material über seinen individuellen Hörhorizont, der freilich prinzipiell schon etwas mit Progmetal anfangen können muß, damit man die 47 Minuten nicht als vergeudete "lifetime" ansieht. Das insgesamt scheinbar neunzehnteilige "Lifetime" bildet in drei Blöcken (1 bis 4, 5 bis 18 und 19) eine Art Gerüst innerhalb des Albums - das sind übrigens auch die Songs, in denen die Harfe vorkommt. Alles weitere Entdecken bleibt nun dem Hörer selbst überlassen, wobei noch der Tip gegeben sei, daß die melodische Gestaltung mancher Parts mit Angra vergleichbar ist, daß trotz des Labelnamens keinerlei Anklänge an Motörhead eingebaut wurden und daß als "Vergleichsband, die keiner kennt" wieder mal die Australier Taramis herhalten müssen. Und apropos "Bands, die keiner kennt": "On My Way" fährt zu allem Überfluß auch noch Death Metal-Gesänge auf (wer ruft da "Opeth!"?!?), und deren Urheber betätigt sich ansonsten in einer Band mit dem reizenden Namen Ambassador Of Sifilis, die so obskur ist, daß sie noch nicht mal einen Eintrag bei metal-archives.com hat. Für den Ausbruch einer Gehirnsyphilis genügt jedenfalls einmaliges Abspielen eines beliebigen der ersten sieben Songs ("Lifetime XIX" ist ein ruhiges Outro mit Akustikgitarre und Harfe) in schlagergewöhnter Umgebung - Anspruchsmetaller mit Keyboardabneigung, die Mathcore nichts abgewinnen können, finden in Chaosstar möglicherweise eine neue Lieblingsband.
Kontakt: www.chaosstar.net, www.on-parole.com

Tracklist:
Lifetime I-IV
Devil's Whisper
Hurricanes Of Madness
Rebirth
Lifetime V-XVIII
Dreams Of Reality
On My Way
Lifetime XIX



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