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von ta

EBERHARD BÖTTCHER: Musica Sacra   (querstand)

Böttcher ist deutschstämmiger, in Norwegen lebender Komponist, "Musica Sacra" ein Ausschnitt seines bis heute zurechtgeschmiedeten Musikwerks im Allgemeinen und des sakralen im Besonderen, mit Stücken, die zwischen 1970 und 2001 komponiert wurden und zu großen Teilen in der Tradition der Zwölftonmusik stehend, aber auch mit vielen Reminiszenzen an die kirchenmusikalische Tradition vor 1900.
Die "Toccata Innovata" ist in der Tat eine Toccata und erneuert die Gattung auch recht beeindruckend, trägt ihren Titel also zu Recht. Toccata: Ein majestätisches Werk nur für Orgel. Innovata: Eine Ganztonskala nach der anderen, allein das Eröffnungsthema, das noch mehrfach modifiziert wiederholt wird, ist brillant und klingt wie die böse Version eines Impressionisten; hinzu allerlei zwölftonreihige Abstürze mittendrin.
In den "Zwei geistlichen Gesängen" treffen Sopran und Orgel aufeinander. Auch hier macht die Gattung den traditionellen Teil aus, es handelt sich um Hymnen auf Jesus und Maria, die es nahezu seit Gründerzeiten der christlichen Kirche gibt; die musikalische Gestaltung indes ist weitestgehend modern angelegt: "Weitestgehend", weil zwar sehr viel gezwölftönt wird, aber gerade im Sopran von Gabriele Näther einige Melodielinien angedeutet sind, die wie Alte Kirchenmusik klingen, höre etwa 2:09 bis 2:11min aus dem Gesang Kruzifixus oder 4:04 bis 4:12min aus der Marienhymne. Letztgenanntes Thema wird verschiedentlich variiert und bildet einen strukturellen Rahmen, der wieder auf die traditionelle Gattung zurückverweist. Gelungener Grenzgang!
Die "Lateinischen Motetten" sind zweigeteilt vertreten und werden hiermit in einem Ruck abgehandelt. Textliche Grundlage der beiden mit dezenter Orgel begleiteten, vom exzellenten Chorus Ars Brunensis dargebotenen Vokalwerke sind Gelehrtendichtungen des Mittelalters, die Gattung ist auch steinalt und überraschenderweise ist diesmal die Musik sogar etwas weniger schräg (wenngleich ich von der im Booklet genannten Renaissancespeerspitze Palestrina - als Laie freilich - dann auch wieder nicht viel höre). Besonders der zweite Teil ließe an manchen Stellen beinahe das Attribut "Klassische Vokalpolyphonie" zu, wenn nicht die Auflösungen so hundsgemein wären, höre etwa den im zweiten Teil ab 5:15min täuschend barockern eingeleiteten Schlussakkord von "Fronde Nemus".
"Voces" ist das zweite von drei Solostücken für Orgel und ebenso dodekaphonisch wie - weitestgehend - meditativ. "Veni Creator Spiritus", das dritte und letzte Orgelsolowerk, eine Bearbeitung des Chorals "Komm Gott Schöpfer, Heiliger Geist", beginnt wundersam harmonisch, beinahe tonal - klassische Dur-Akkorde gibt es massig -, wenngleich einzelne atonale Einwürfe den folgenden Absturz schon ankündigen (höre etwa 1:00 bis 1:11min des Choralvorspiels): Die Fuge zitiert den Choral nur noch, um ihn zu dekonstruieren. Die harmonisch und dynamisch dramatisch inszenierte Zuspitzung auf den dann doch wieder ganz unschrägen Schlussakkord in Dur hin ist ein Zungeschnalzen wert.
Apropos Zungeschnalzen: Eine "Kirchensonate" für Horn und Orgel ist ja mit Blick auf die Instrumentation schon eine klasse Idee. Das Böttchersche Form/Inhalt-Spiel findet auch hier wieder Anwendung: Gattung und Struktur sind der alten Tradition entnommen - die "Kirchensonate" ist viergeteilt und alle vier Teile sind eindeutig voneinander abgrenzbar in Tempo und Dynamik -, in den harmonischen Aufbau hat sich die freitonale Moderne eingeschlichen. Dennoch ist die Kirchensonate, besonders das Arioso und das herzergreifende Canzona, die eingängigste Komposition auf "Musica Sacra". Im Cappriccio gibt es sogar fetzige Folklore zu hören (ich tippe mal auf Norwegen) und die zählte noch nie zum Schwerverdaulichen. Am Horn sitzt hier übrigens Michaela Rohácová, hauptamtlich Solohornistin der Prager Philharmonie.
Summa summarum: "Musica Sacra" ist eine gelungene Zusammenstellung von Kirchenmusik eines bemerkenswerten Komponisten mit vielfältigen Ambitionen. Und die Musik dieser Zusammenstellung, 51:53 (statt der auf dem Backcover notierten 54:30) Minuten dauernd, ist wirklich gut, teilweise exzellent. Einziges Manko: Die Texte der "Geistlichen Gesänge" und der "Lateinischen Motetten" hätte man ruhig im Booklet mit abdrucken können.
Für 18,00 Euronen ist das gute Stück bei Querstand zu erwerben. Kontakt: www.vkjk.de

Tracklist:
1. Toccata Innovata
2. Zwei Geistliche Gesänge
  Kruzifixus
  Marienhymne
3. Lateinische Motetten, Teil I
  Ver Redit
  Virent Prata
  In Vernalis
4. Voces
5. Lateinische Motetten, Teil II
  Verna Suspiria
  Fronde Nemus
  De Luscinia
6. Veni Creator Spiritus
  Choralvorspiel
  Fuge
7. Kirchensonate



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