www.Crossover-agm.de CHRIS BILOBRAM: Composition Féminine
von ta

CHRIS BILOBRAM: Composition Féminine   (querstand)

Man nenne fünf Komponisten. Schubert, Schönberg, Schumann, Schütz, Schostakowitsch.
Man nenne fünf Komponistinnen. Tailleferre, Anido, Giuliani-Gugliemli, Presti, Austin, de Rossi - ups, das waren sogar sechs.
Überrascht? Nach dieser CD nicht mehr. "Composition Féminine" vereint Gitarrenmusik von sechs dem Normalsterblichen völlig unbekannten Komponistinnen, sechs Stücke, deren Partituren in langjähriger Forschungsarbeit aus den tiefsten Kellern der fünf Kontinente geborgen wurden. Und der Höhepunkt kommt gleich zu Beginn. Das "Konzert für zwei Gitarren und Orchester" aus den 60ern des vergangenen Jahrhunderts von der Französin Germaine Tailleferre ist hier in einer Ersteinspielung zu hören und zweifellos eine echte Entdeckung. Es vereinen sich in vier Sätzen Einflüsse aus schiefschöner Dodekaphonie und schwebendem Impressionismus zu einem einzigartigen, begeisternden Musikerlebnis. Ohne Zweifel, das Konzert ist schräg, das Tonalitätsprinzip aufgelöst, aber Tailleferre schafft es, plastische, greifbare Melodien inmitten des ganzen modernen Wustes einzubauen und, was noch bemerkenswerter ist, das Klangspektrum des Orchesters ist warm und anziehend, weil helle, durchdringende Elemente (Blech, hohe Soloinstrumente) völlig eliminiert wurden. Dass das Ganze ein Konzert für zwei Gitarren ist, gerät dabei beinahe in den Hintergrund. Chris Bilobram und Christina Altmann (welchletztere in allen weiteren Stücken nicht in Erscheinung tritt) zupfen weich, angenehm, manchmal schon sehr zurückhaltend leise und machen den dritten Satz beinahe zu einer reinen Kopfhörerangelegenheit.
Kurz: Tolle Musik, gute Spieler.
Von Maria Luisa Anido (1907-1996) gibt es drei argentinische Stücke für eine Gitarre zu hören, die virtuos vorgetragen werden und vergleichsweise eingängig, aber auch ein wenig schwerfällig ausfallen, besonders "Preludio Pampeano". Für Gitarristen sind die Stücke, allen voran "Melodia de Argentina", aber sicherlich zu Übungszwecken wie geschaffen.
Emilia Giuliani-Guglielmi erlebte die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und hat neben einem unaussprechbaren Namen auch sehr schöne Musik in petto. Die "Variazioni su un tema di Mercadante" sind abwechslungsreich, flott und melodiös, werden zudem von Chris Bilobram lebendig und gewitzt vorgetragen.
Dagegen ist der "Danse Rhythmique" (1959) von Ida Presti etwa blass ausgefallen. Aber der Tanz überrascht mit viel Dynamik, einem Walzertakt und ist zudem mit einigen Schlenkern ausgestattet. Die insgesamt eher bedächtige Grundatmosphäre und das einfache Leitthema machen die Komposition zu einem echten Ruhepol.
Den braucht man auch, um die sich anschließende, dreiteilige, sechsminütige "Falkenfantasie für Gitarre und Klavier" aus dem Jahre 2004, komponiert von Elisabeth R. Austin, zu überstehen. Teil eins - "Der Falke": Chaos, schnelle Wechsel, viele schräge Harmonien, eingeworfene Themen, Gitarre und Piano werfen sich im Sekundentakt die Bälle zu. Erst im zweiten Teil - "Die Federn" - kommt der Falke zur Ruhe, wird sanft umspielt, das Stück trägt sich selbst immer wieder fort, Wiederholungen gibt es keine, Mitsummen ist nicht, Leben, Leben, Leben, Teil drei: "Das Fliegen".
Zu Ende wird der Zeitstahl nach hinten abgeschritten. Die "Sinfonia für Gitarre, Streicher und Basso continuo" aus dem Oratorium "Il Sacrifizio di Abramo" von Camilla de Rossi (?-ca. 1710) ist lupenreine Barockmusik, sauber gesetzt, streng durchgeführt ("Presto"). Ein schöner Abschluss, der noch einmal alle Beteiligten zusammenführt.
"Composition Féminine" ist eine mehr als hörenswerte und ausgefallene Zusammenstellung, die sich schon allein wegen des einleitenden Konzerts lohnt. Musik für Sologitarre jenseits des sogenannten U-Bereichs ist selten genug. Solche von Komponistinnen noch seltener. Aber diese CD beweist: Mission geglückt. Dafür Beifall.
Kontakt: www.vkjk.de

Tracklist:
Germaine Tailleferre:
Konzert für zwei Gitarren und Orchester
  Allegro moderato
  ohne Bezeichnung
  Lento - Tranquillo
  Allegro

Maria Luisa Anido:
Preludio pampeano
Melodia de Argentinia
Aire de vidalita

Emilia Giuliani-Guglielmi:
Variazioni su un tema di mercadante op. 9

Ida Presti:
Danse Rhythmique

Elisabeth R. Austin:
Falkenfantasie für Gitarre und Klavier
  Der Falke
  Die Federn
  Das Fliegen

Camilla de Rossi:
Sinfonia für Gitarre, Streicher und Basso continuo
  Largo I
  Largo II
  Grave
  Presto



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