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Peter Wagner: Pop 2000. 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur in Deutschland
von rls anno 1999
Hierbei handelt es sich um
das Begleitbuch zu einer zwölfteiligen Sendereihe, die der WDR in
Coproduktion mit den anderen Dritten zusammengeschraubt hat (außerdem
gibt es auch noch eine 8-CD-Box). Da ich die Filme nicht gesehen und die
Scheiben nicht gehört habe, kann ich also nur das beurteilen, was
schwarz auf weiß vor mir liegt. Und da kommt einiges nicht sonderlich
gut weg.
Aber der Reihe nach. Das
Buch möchte gern ein Geschichtenerzähler sein. Einer, der die
Geschichte von sowie Geschichten und Geschichtchen aus der Popmusik und
der Jugendkultur Deutschlands erzählt. Gut. Dummerweise wirkt das
Ganze etwas konstruiert und eher im Hinblick aufs Millenniumsgeschäft
zusammengebastelt (man vergegenwärtige sich noch einmal den plakativen
Titel) als nach logischen und realen Gesichtspunkten. Denn beispielsweise
ist der Untertitel völliger Humbug: Erstens kann man vor Bill Haley
und seinem 1955er "Rock around the clock" keinesfalls von Popmusik sprechen,
schon gar nicht in Deutschland (was paradoxerweise im ersten Kapitel auch
noch eingeräumt wird - alles, was seit 1949 existierte, kommt praktisch
nur als Randthema vor), und zweitens ist Jugendkultur schon ein Stückchen
älter als 1949 (BdM und HJ - man mag sie bewerten, wie man will -
waren z.B. auch schon Jugendkulturinstitutionen). Des weiteren ist die
Einteilung des Buches in zwölf Kapitel der filmischen Struktur geschuldet,
und da mußten schon mal ein paar willkürliche Einsortierungen
vorgenommen werden, damit jede Folge auch die gleiche Länge aufweisen
kann. Vom Schreibstil her ist das Buch extrem flüssig - man verschlingt
die Zeilen förmlich und lechzt schon nach den nächsten. Das führte
allerdings dazu, daß auch die Themenübergänge innerhalb
der Kapitel glattgebügelt werden mußten und einige sogar einer
Konstruktion bedurften, die mit der Realität nun wirklich nichts mehr
zu tun hat(te).
Was führt das Buch
an Faktenwissen auf? Da sieht es glücklicherweise über weite
Strecken ganz freundlich aus, zumal eine ganze Reihe interessanter O-Töne
eingeholt wurde und auch die DDR-Szene nicht ausgespart bleibt. Gerade
über die Zeit bis 1970, die sich meinem Horizont bisher recht verborgen
gehalten hatte, habe ich einige interessante Neuigkeiten erfahren. Dafür
steht dem Autor das Unwissen in der harten Szene förmlich ins Gesicht
geschrieben, etwa wenn es auf S. 175 heißt, daß der Millionenerfolg
der "Love At First Sting"-Scheibe der Scorpions hauptsächlich auf
die Metal-Hymne "Rock You Like A Hurricane" zurückzuführen gewesen
sei (remember: Es stand eine hausfrauentaugliche, wenn auch geniale Ballade
namens "Still Loving You" auf der Scheibe ...), oder im Abschnitt über
die Böhsen Onkelz, in dem Stephan Weidner (Bassist und nicht etwa
Sänger!) zwar anhand diverser Interviewausschnitte zitiert wird, aber
eine Äußerung wie "Ich schäme mich auch nicht, Deutscher
zu sein. Wenn ich Engländer oder Costaricaner wäre, wäre
ich genauso stolz oder nicht stolz" dann gleich wieder Wagners Kommentar
bekommt, Weidner hielte "vage am Köcheln", daß er eben doch
ein Rechter sei. Ich bin zwar weder Onkelz-Fan noch -Gegner, aber selbst
als neutraler Beobachter muß einem das, was zahlreiche Massenmedien
mit der Band seit 15 Jahren anstellen, fast wie Rufmord vorkommen. Daß
die Onkelz dies wiederum geschickt nutzen, um sich ein Märtyrerimage
zusammenzubasteln, steht auf einem anderen Blatt, aber ...
Liest man das Buch nur oberflächlich,
bekommt man viele Ungereimtheiten gar nicht mit, und das ist ebenso angenehm
wie gefährlich. Wenn es da draußen jemanden gibt, der einen
passablen Überblick über die Historie der Popmusik in Deutschland
haben möchte, dann sei ihm die kritische Lektüre dieses Buches
empfohlen. Ich hätte aber trotzdem nix dagegen, wenn bei Gelegenheit
noch ein seriöseres Buch zum Thema erscheinen würde. Denn obwohl
ich jetzt weiß, daß der erste Drummer von Birth Control niemand
anders als Hugo Egon Balder war, daß ein gewisser 13jähriger
anno 1968 bei der Band Urvogel spielte, Protestsongs mit Lyrics wie "Viele
Bomben fallen / doch keiner ändert was / es nützt kein Krawallen
/ geschehen muß etwas" schrieb und auf dem Dach seines Elternhauses
die rote Fahne hißte (sein Name: Dieter Bohlen) oder daß Conny
Froboess in den 50er Jahren fast genauso aussah wie eine meiner Freundinnen
anno 1999, bleibt irgendwie ein Gefühl der Enttäuschung in mir zurück.
Peter Wagner: Pop 2000. 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur in Deutschland. Hamburg: Ideal-Verlag 1999. ISBN 3-932912-21-7. 256 Seiten. Ca. 20 DM
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