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Sterling Whitaker: The Grand Delusion - The Unauthorized True Story of Styx
von gl anno 2007

Sterling Whitaker: The Grand Delusion - The Unauthorized True Story of Styx

Dies ist die 1. Besprechung dieses Buches in Deutschland: "Ein Buch über die Band STYX - wer liest das schon?" ist man fast versucht etwas zynisch zu fragen, außer man ist bis heute großer Anhänger der Band aus Chicago. Nun, die Antwort soll in dieser Besprechung gegeben werden.
Sterling Whitaker, Journalist und selbst Musiker, hat in einer langen Sisyphusarbeit auf 373 Seiten Tonnen an Material ausgewertet, selbst viele Interviews mit mehreren der direkt Involvierten, darunter drei Bandmitglieder, geführt und alles hervorragend chronologisch geordnet und in 12 Kapiteln aufgearbeitet. Das Wörtchen "unauthorized" im Untertitel des Buches möge den einen oder anderen abschrecken und an die vielen lieblos hingeschluderten Bücher über Superstar-Bands denken lassen, die auf den Markt geworfen wurden, um schnell Kohle zu machen. Aber das ist hier absolut nicht der Fall: Im Gegenteil, ich würde sogar so weit gehen und behaupten, das Buch ist lesenswerter und spannender als ein fiktives (es gibt ja keines!), das entweder von Dennis DeYoung oder aber Tommy Shaw und/oder James Young autorisiert wäre, weil nämlich deren Blickwinkel in die eine oder andere Richtung gefiltert wäre.
Womit wir auch schon bei den Anfangsjahren (Ende der 60er / Anfang der 70er) der Band TW4 (kurz für There Were 4) wären, die sinnigerweise aus FÜNF Mitgliedern bestand: Die Brüder John und Chuck Panozzo an Schlagzeug und Bass, James Young an der Gitarre und Gesang, Dennis DeYoung an den Keyboards und Gesang sowie John Curulewski an der Gitarre. Somit standen bereits 4/5 des bekannten Line-Ups, das dann zur Veröffentlichung der ersten Platte 1972 seinen Namen in STYX änderte. Damals wurde den Bands noch Zeit gegeben, sich zu entwickeln, was auch nötig war, denn die ersten 4 Platten der Band, die zwar in und um Chicago erfolgreich waren, gingen relativ schnell unter. Erst mit einer Verspätung von 2 Jahren sollte die Single "Lady" und rückwirkend dann auch "Styx II" charten und erste amerikaweite Erfolge für die Band einfahren. Die Aufnahme des wesentlich jüngeren, damals 23-jährigen Tommy Shaw in die Band 1976 brachte nicht nur einen weiteren kreativen Songschreiber ins Boot, sondern sicher auch einen Blickfang für viele (weibliche) Fans. Durch ständiges Touren hatte die Band aus Chicago sich den Erfolg hart erarbeitet. Der Autor zeigt durch viele Originalzitate auf, dass bereits in diesen frühen Jahren Dennis DeYoung klar den Ton vorgab und grundsätzlich seine Meinung durchsetzte bis an die Grenze zum Krankhaften. Da er bis zuletzt 95% der Hits schrieb, gab ihm der Erfolg recht, aber die anderen litten regelrecht unter ihm! So erfährt der verblüffte Leser dass die anderen vier Musiker Dennis DeYoung 1979 feuerten, da sie dieses selbstherrliche egoistische Gebaren nicht mehr ertrugen, und sogar andere Musiker ausprobierten, mangels Alternativen aber nach wenigen Monaten Dennis wieder zur Band zurück kam - und dies nie vergaß! Selbst Crew-Leute im innersten Zirkel um die Band bekamen dies damals nicht mit! Der Triumphzug sondergleichen wurde nach "Cornerstone" (1979) mit "Paradise Theater" (1981) (diese LP wurde übrigens als eine von nur wenigen westlichen härteren Rockplatten auch als Lizenzpressung in der DDR veröffentlicht - Anm. rls) fortgesetzt und 1982 waren STYX mit ihrer Tour, die überall ausverkauft war, die erfolgreichste Band in den USA. Hinter den Kulissen war es jedoch alles andere als rosig - in einer eher unamüsanten Anekdote berichtet Manager Derek Sutton, wie jeder in seiner eigenen Limousine zur Show gefahren wurde oder wie er Dennis' Frau, die immer mehr Kontrolle ausübte, in einem Disput anschrie, weil sie die passiven Panozzo-Brüder schlechtredete. Oder er wunderte sich, dass die beiden in Bandabstimmungen nie zu dem völlig simplen Schluss gekommen sind, dass sie zusammen, wenn sie einem der drei anderen zustimmen würden, eine 3/5-Mehrheit gehabt hätten! 1983: "Kiloy Was Here" - Dennis zwang den anderen - natürlich gegen ihren Willen - auf, als Schauspieler in einem Film mitzuwirken, und bestand darauf, dass sein Konzeptalbum in kleineren Theatern aufgeführt wurde. Das kostete mit all dem Schnickschnack drum herum, natürlich alles vom Feinsten damals, darunter vieles erstmals technisch überhaupt verwendet, dermaßen viel Geld, dass die Band tatsächlich sogar draufzahlen musste. In einem weiteren surrealen Moment erinnert sich der heutige STYX-Drummer Todd Suchermann, dass er damals als Teenager in Chicago bei dem Konzert dabei war, das Dennis dann aber absagte, weil der Filmprojektor nicht funktionierte! Dieses "Debakel" (in Anführungszeichen, weil immer noch eines der erfolgreichsten Alben des Jahres, aber die vier Alben davor hatten eben alle Dreifach-Platin erreicht) führte dann zur Trennung, offiziell vorläufig; und natürlich werden auch ab jetzt die Solokarrieren von Dennis DeYoung, Tommy Shaw und James Young ausführlich beleuchtet und all die Episoden, die sich darum rankten. Und hier kann man exemplarisch rückwirkend sehr schön einmal mehr sehen, dass eine Gruppe eben doch mehr als ihre 5 Mitglieder ausmacht, denn fast keiner konnte auch nur annähernd an den gemeinsamen Erfolg anknüpfen. Als Sammler von Aussagen macht Sterling Whitaker seine Aufgabe ausgezeichnet, denn er fügt all die Zitate chronologisch wunderbar in einen Fluss, ergänzt jene mit Fakten, so dass man das Buch regelrecht verschlingen möchte nach dem Motto: Wie geht's weiter, was geschah dann? Natürlich umso spannender, wenn man schon Vorwissen besitzt, dass z.B. die DAMN YANKEES mit natürlich Tommy Shaw den Erfolg des Comeback-Albums von STYX (ohne ihn, dafür mit Glen Burtnik), "Edge Of The Century", in etwa vierfach übertrafen.
Ein bezeichnendes Zitat von Dennis DeYoung zum musikalischen Klima: "I've written 'Show Me the Way' in 1991 for Styx, which was a # 3 record in this country and we had a Gold album. Then we couldn't get a record deal because grunge happened in 1992. For five years you didn't hear a keyboard and all that music was killed. All that kind of stuff we did was run out of town and it killed all kinds of acts. Five years of people with flannel standing onstage looking at their feet. You know what I used to say about grunge? Flanel makes me itch."
Am 16. Juli 1996 stellte eine traurige Nachricht alles andere in den Schatten: John Panozzo, der zuvor von Todd Suchermann ersetzt worden war, starb an chronischem Alkoholismus, eine frappierende Parallele zu John Curulewski, den zuvor das gleiche Schicksal ereilt hatte. In einer nachdenklich machenden Passage wies einer der Beteiligten darauf hin, dass die Unterschiede im Verdienst zwischen den Komponisten und Texten und den Nur-Musikern sehr drastisch waren ...
Um diese Buchbesprechung nicht zu ausladend zu machen, Entschuldigung, es ist eben fesselnd, über das Thema zu plaudern: Eine Band-Reunion war unausweichlich, und die geschah dann auch in einer extrem erfolgreichen Tour, die nahezu an die Großtaten in den 80ern anschließen konnte, was in dem Bild- und Tondokument "Return To Paradise" (1997) festgehalten wurde. Anknüpfen wollte man daran mit endlich einem neuen Studioalbum und hier wird es jetzt hanebüchen: Das merkwürdige "Brave New World" (1999) ist ein Patchwork-Debakel aus ZWEI mitunter unfertigen komplett verschiedenen Sessions zerstrittener Musiker. (Dafür ist es dann aber doch noch einigermaßen anständig geworden, was für die stets hohe Musikalität spricht, trotz all der Querelen!) Dennis weigerte sich außerhalb seines eigenen Studios zu produzieren, die anderen mussten von Los Angeles, wo wesentlich besseres Equipment und Studios gewesen wären, zu ihm fliegen. Das alles wird in einem schonungslosen Blick geschildert, als wäre man dabei gewesen, was das Buch zu einem großartigen Fernrohr in die Styx-Welt machen lässt.
Das Outing von Chuck Panozzo, dass er homosexuell und HIV-positiv ist, nimmt eine Randnotiz ein, der Autor reitet nicht auf dem Thema rum. Chuck, der die Band bis heute bei ausgesuchten Konzerten bei wenigen Liedern live unterstützt, hat übrigens kürzlich ein eigenes Buch geschrieben, um das ich mich bemühe.
Die unter fadenscheinigen Gründen (er war bei 'zig Ärzten und keiner konnte ihm helfen ...) immer drastischere Weigerung von Dennis, immer weniger oder wenn, dann nur an ausgesuchten Tagen zu touren, brachte das Fass dann zum Überlaufen. Styx brachten den kanadischen Superstar (zumindest in seinem Heimatland) Lawrence Gowan in die Band und machten ohne Dennis weiter. Was auch uns Deutschen nach all den langen Jahren auch endlich mal wieder die Chance gab, die Band zu sehen. Bis zum Jahre 2007 (hier ist von einer geplanten Tour in Europa mit Deep Purple die Rede, dies wurde wohl verworfen?!) geht die Zeitlinie des Buches, das aufgrund der Fleißarbeit von Sterling Whitaker als absolut lesenswert bezeichnet werden muss für jeden, der auch nur ein klein wenig Interesse an der Gruppe hat. Denn der Autor schafft das Kunststück, nicht zu werten oder gar zu verurteilen, sondern lässt Fakten und Zitate sprechen und stellt diese Sammlung wunderbar sortiert zur Schau.

Sterling Whitaker: The Grand Delusion - The Unauthorized True Story of Styx. Text englisch. ISBN 1-4196-5353-9. 373 Seiten.
http://www.thegranddelusion.com, www.myspace.com/styxbook

 



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