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Jörg Ueberall: Swing Kids
von Janet anno 2005

Jörg Ueberall: Swing Kids

Das Archiv der Jugendkulturen hat schon so einige Bücher über verschiedene jugendliche Subkulturen herausgebracht, die sich vorrangig über Musik als solche identifizieren. Diesmal geht es um (hauptsächlich) Teenager, die zu Beginn des Zweiten Weltkrieges dem Jazz frönten, insbesondere dem Swing. Es handelte sich nicht einmal um eine organisierte Bewegung, es existierte auch kein fester Name, für "Swing Kids" hat sich bloß der Autor aus Gründen, die er im Buch erklärt, entschieden. Dieser "Szene" gehörten zunächst nur Kinder aus wohlhabenden, ja gar reichen Elternhäusern an, nicht selten Juden. Selbstverständlich musste so eine lebensbejahende, sinnenfrohe Musik durch die Nazis verboten werden. Und ebenso selbstverständlich war das den Fans ganz egal. Es ist überaus spannend zu lesen, wie Jugendliche, die kaum politische Intentionen hegten, sondern sich lediglich durch ihre hedonistische Gesinnung der zunehmenden Gleichschaltung widersetzten, zu Verfolgten des Systems wurden; dabei wandten die Faschisten einen derart unverständlichen Eifer auf, dass man sich über deren Angst vor sogenannter "entarteter" Musik nur wundern kann. Nur durch die Repressalien Hitlerdeutschlands wurden die Swing Kids letztlich zu Systemgegnern und zogen nun auch Anhänger aus anderen sozialen Schichten an. Ein Selbstläufer. Wieder einmal bestätigt sich, dass man einer Szene kaum mehr Faszination verleihen kann als durch deren Verbot.
Was für die Swing Kids folgte, war freilich das reine Grauen. Folter, KZ, Tod. Nach Kriegsende für die Überlebenden eine weitere Schmach: sie wurden nicht als politisch Verfolgte anerkannt und erhielten keinerlei Entschädigungen für ihre Qualen.
Jörg Ueberall beschreibt die Szene, deren Hochburg sich in Hamburg befand, durch viele Zeitzeugenberichte und Zitate. Zum Schluss verfolgt er einige Opfer- und Täterlebensläufe auch über die Kriegsgräuel hinaus.
An den Pranger stellen muss ich den Exkurs "Himmler war ein kranker Mensch". Mit einer freudschen tiefenpsychologischen Analyse, die vielleicht zu damaligen Zeiten Aktualität hatte, aber inzwischen reichlich überholt sein dürfte, stellt er in populistischer Absicht Himmler als "klinischen Fall des analhortenden Sadismus" hin und bezieht sich dabei auf Erich Fromm, der dies vor fast dreißig Jahren herausgefunden haben wollte. Auch wenn an dieser streitbaren Diagnose was dran sein sollte - schon mal dran gedacht, dass einem eine solche "Krankheit" (tatsächlich ist es wohl eher eine Persönlichkeit, von mir aus auch Persönlichkeitsstörung) wenigstens zum Teil die Verantwortung für das eigene Handeln absprechen könnte? Und? Wollen wir das im Falle Himmler wirklich?
Ansonsten aber ein überaus lesenswertes und gut recherchiertes Buch, das ich nur empfehlen kann!

Jörg Ueberall: Swing Kids. Berlin: Archiv der Jugendkulturen 2004. ISBN 3-936068-68-2; 114 Seiten, 15 Euro
Bezug über www.jugendkulturen.de oder über den Buchhandel

 



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