www.Crossover-agm.de
Martin Thein (Hrsg.): Fußball - Deine Fans. Ein Jahrhundert deutsche Fankultur
von gl anno 2013

Martin Thein (Hrsg.): Fußball - Deine Fans. Ein Jahrhundert deutsche Fankultur

Als früher regelmäßigem und heute gelegentlichem Stadionbesucher wurde mir dieses Buch zugeteilt und die Zusammenstellung von Martin Thein ist zu drei Vierteln ein unterhaltsames Werk für alle, die sich auch nur ein klein wenig für die Welt um Fußball bzw. um seine Anhänger interessieren. Denn jene kommen hier selbst zu Wort, wo es in der Medienwelt doch allzu oft nur um sie geht, ohne sie zu befragen. Der Herausgeber hat 24 Autoren gebeten, welche sich in ihren ca. 5-15-seitigen Beiträgen jeweils einem bestimmten Aspekt um die Fankultur widmen. Begonnen wird jedoch gaaanz früh in der Antike bei der Begeisterung an den Spielen und Wagenrennen im Circus Maximus, um eine Verbindung zu der Moderne herzustellen. Am meisten lernen nicht nur jüngere Leser aus dem Artikel "Fankultur in der Vor- und Nachkriegszeit", denn sehr wohl gab es bereits in den 20ern (!) Ausschreitungen, hier das Zitat, welches ein in Mannheim Lebender zweimal lesen musste: "Ein besonders abschreckendes Beispiel unter allen Krawallhochburgen liefert Mannheim. ... Zwischen Herbst 1922 und Frühjahr 1923 dürfte der Mannheimer Fußball von etwa 50 schweren Ausschreitungen heimgesucht worden sein." (Liegt vermutlich in den Genen, wenn man dann 90 Jahre später den Aufmarsch aller Freunde der 3. Halbzeit aus ganz Deutschland im März des Jahres 2013 sieht anlässlich des Pokal-Spieles SV Waldhof Mannheim - Karlsruher SC!)
Am lesenswertesten war für mich das Interview mit FCN-Kultfan Heino Hassler, was sicher damit zusammenhängt, daß ich damals Kontakt zu Clubberern hatte und sowohl die Patches vom Fan-Club Seerose als auch den von den Red Devils auf meiner Kutte hatte (um die beiden geht's in dem Artikel). Aber auch Susanne Hein-Riepen berichtet in charmanter Weise über ihre Liebe zu Schalke 04. Und auch der Artikel über die komplett positiv bekloppten "Groundhopper" hat seinen Reiz. Ich bin ja auch schon 4 Stunden one-way an einem Freitagabend nach Bochum oder Hamburg gefahren, um mich dann einregnen zu lassen, lauwarmes Bier vorgesetzt zu bekommen, beschissenen Fußball zu sehen, und dann das ganze Elend nachts wieder zurück. Mit dem Vorsatz "Nie wieder!", um dann 2 Wochen später erneut loszudüsen. Aber die Groundhopper machen das ja an jedem Wochenende in irgendwelchen Kreisliga-Spielen in Laos, Uruguay und Rumänien oder 4.- bzw 5.-Liga-Spielen in Polen, um weitere Länder und Stadionpunkte abzuhaken! Sehr kurzweilig. Am bedrückendsten aber auch am wichtigsten ist der Artikel von Burkhard Mathiak, der Mitarbeiter im Schalker Fanprojekt war und aufgrund dieser Tätigkeit natürlich alle Personen der Kategorie C kannte. Ein absoluter Insider also, der - im Gegensatz zu einigen pseudointellektuellen Schwaflern dieser Zusammenstellung - absolut weiß, wovon er spricht. Durch seine Aussage zu den Vorfällen in Lens 1998, wo der französische Gendarm Daniel Nivel von zwei Gelsenkirchenern schwerstverletzt wurde, konnten die beiden Täter zu langjährigen Haftstrafen weggeschlossen werden - und er als Folge davon eine andere Tätigkeit im Verein aufnehmen.
Nun zu meiner Kritik an dem Buch: Wenn ich linke Propaganda lesen wollte, hätte ich das Buch nicht aufgeschlagen, aber daß das jetzt auch hier geschieht, ist sehr ärgerlich: Olaf Sundermeyer möchte uns einreden, dass in Fußballstadien böse NPD-Horden drohen und überall Rechtsradikalinskis unseren Sport unterwandern - was für ein völlig übertriebener Unsinn! Die (linken) St.-Pauli-Fans sind natürlich die guten Fans und immer redlich und einwandfrei und (in diesem Beispiel) die Dortmunder die Nah-Tzies, als jene vorm Jolly Roger standen und "zwei Dutzend Ultras" (die nächste Unverschämtheit dieses Autors - hinten im Buch erklärt nämlich ein cooler Mainzer genau, um was es Ultras geht und was deren Arbeit ausmacht) "Kommt doch raus, Ihr Juden" riefen. Ich kann den BVB nicht ab, aber diese Verallgemeinerung und Verunglimpfung eines Vereines ohne Differenzierung ist unter aller Kajüte! Dass die Dortmund-Fans gegen eine solche Frechheit nicht Sturm laufen! So pflegt man durch einfaches Schwarz-Weiß-Denken seine Vorurteile. Ein ganzer Artikel, "Im hässlichen Scheitelpunkt der Kurve", wird dem zum Zeitpunkt des Erscheinens gerade einmal ein paar Wochen alten Vorfall (Januar 2013) gewidmet, als Kevin Prince Boateng (AC Mailand) in einem Spiel bei einem Viertligisten, Pro Patria, aufgrund der Affenlaute von den Rängen den Ball in die Tribüne pfefferte, sein Trikot auszog und zu Recht vom Platz ging. Das soll thematisiert werden, klar. An vielen Stellen wird von diversen Autoren Bezug auf Neonazis und die angebliche "Gefahr von rechts" Bezug genommen: Thomas Wark berichtet von seinen Kontakten Anfang der 80er zur Borussenfront um SS-Siggi in Dortmund, das Thema ist allseits bekannt. Wark spricht aber wörtlich von 0,2 bis 0,3% der Fans, die einen rechtsradikalen Hintergrund haben. So wie vermutlich beim Schach, Hockey, Wasserskifahren, Aikido und in jedem anderen Lebensbereich auch. Aber auf der anderen Seite ist das komplette Verschweigen der Gewalt von Fußball-Spielern mit Migrationshintergrund an gegnerischen Spielern sehr entlarvend aber auch wieder einmal bezeichnend. In Holland wurde Ende 2012 ein Linienrichter von drei marokkanischen Spielern (15-16 Jahre alt) zu Tode getreten! Das hätte hier zeitlich ergo noch Erwähnung im Buch finden können, hätte dann aber nicht in Sundermeyers Argumentationskette von den bösen Einheimischen, die schwarze Spieler mobben, gepasst! Er verschweigt es lieber.
Die mitunter großen Probleme im Spielbetrieb in unteren Ligen von Vereinen mit einem Großteil an Spielern mit türkischen bzw. arabischen Wurzeln sind aber in vielen Ligen und vor allen bei den Schiedsrichtern, die sich zunehmen schlicht weigern, bekannt, werden aber stets kleingeredet, verharmlost oder ganz verschwiegen aus Angst, daß derjenige, der es ausspricht, als "Rassist" angesehen wird. Es wäre schön gewesen, dies zumindest einmal zu erwähnen, was hier leider überhaupt nicht geschieht. Aufgrund dieser bewusst selektiven Darstellung ist dieses Buch insofern leider nur bedingt zu empfehlen.

Martin Thein (Hrsg.): Fußball - Deine Fans. Ein Jahrhundert deutsche Fankultur. ISBN 978-3-7307-0012-9. Broschur, 237 Seiten, 14,90 Euro. Verlag Die Werkstatt 2013. www.werkstatt-verlag.de
 



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver