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Roland Seim (Hrsg.): "Mein Milieu meisterte mich nicht" - Festschrift Horst Herrmann
von tk anno 2005

Roland Seim (Hrsg.): 'Mein Milieu meisterte mich nicht' - Festschrift Horst Herrmann

Der renommierte Soziologe und Kirchenkritiker Horst Herrmann beging in diesem Jahr seinen 65. Geburtstag, was den Telos-Verlag in Münster (nicht zu verwechseln mit gleichnamiger christlicher Buchreihe) veranlasste, eine Festschrift zu Ehren des sozialkritischen Forschers zu veröffentlichen, die mit einer breiten Vielfalt an Gastbeiträgen von nicht minder interessanten Autoren gespickt ist. Herrmann war bis zu seiner Emeritierung ordentlicher Professor der Soziologie an der Universität Münster und zehn Jahre lang Professor des katholischen Kirchenrechts an selbiger Stätte, bevor ihm 1975 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde, weshalb auch der Titel dieser Festschrift (in wörtliche Rede gefasst) ganz und gar nicht den Anschein eines Inneren Monologes erweckt, sondern von einem "über Herrmann" zu einem "mit Herrmann" ins Gespräch kommen animierend wirken kann. Festschriften dieser Art haben allerdings die unangenehme Eigenschaft, dass in ihr in der Regel dem Autor nahe stehende Personen und Weggefährten zu Wort kommen, die wie selbstverständlich voll des Lobes sind über das literarische Schaffen des Ge(l)ehrten, eine ebenso engagiert kritische Auseinandersetzung mit dem Autor und seiner Denkweise aber kaum stattfindet. Zu jenem Personenkreis gehört auch der Herausgeber dieser Festschrift Roland Seim, seines Zeichens Kulturwissenschaftler und Verlagseigentümer.
Die in der Festschrift verhandelten Themen weisen ein ungemein breites Spektrum auf, dessen intensive Beleuchtung den Rahmen einer Rezension sprengen würde. Deshalb greife ich zwei Themen heraus, die mir im Zuge außerkirchlicher Debatten als fruchtbar wie wertvoll erscheinen und freilich auch nach innen, also in die Kirche hinein, wirken. Da wäre zum einen der Beitrag von M. Schmidt-Salomon mit dem Titel "Fundamentalismus und Beliebigkeit. Das Projekt der Aufklärung im 21. Jahrhundert", welcher u.a. die Verdienste I. Kants (Kritik an der reinen Vernunft) würdigt, ebenso die Defizite der postmodernen Religionskritik herausarbeitet: "So genügt beispielsweise die einfache traditionelle Gegenüberstellung von Theismus und Atheismus nicht, um religiöse von nicht-religiösen Aussagesystemen zu unterscheiden" (S. 31).
Zum anderen ist die von G. Breloer aufgegriffene Thematik des Alterns in einer alternden Gesellschaft in seinem Beitrag "Dem Alter einen Sinn geben - oder von der Kunst, älter zu werden" hervorzuheben. Gerade vor dem Hintergrund einer zunehmenden Lebensdauer und damit einer "Verlängerung" des Lebens nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben bilden seine soziologischen Überlegungen eine wertvolle Diskussionsgrundlage. Herrmann hatte während seiner Lehrtätigkeit verstärkt seniorenspezifische Lehrangebote geschaffen, worauf Breloer mit seinem Aufsatz Bezug nimmt. Über die "Heiligkeit und Nützlichkeit von Rindern in Indien" (Beitrag von H. Wienold) mögen bitte diejenigen diskutieren, die sich in solchen Kulturkreisen besser auskennen.
Zwielichtig hingegen erscheint mir der Versuch H. Mynareks, seine Darlegungen zu F. Nietzsche und dessen Äußerungen über "Kirche, Priester, Theologen" zu einem kirchenkritischen Pamphlet umformulieren zu wollen. Mit Nietzsches 1888 erstellter Schrift "Der Antichrist" gegen den römischen Katholizismus im speziellen und damit auch gegen fast 2000 Jahre Kirchengeschichte im allgemeinen ins Feld zu ziehen, noch dazu mit fortwährender Polemik gegen Papst & Klerus zu wettern, halte ich für keinen gelungenen Schachzug; gerade wenn man bedenkt, dass Nietzsche selbst die gottlose Hybris europäischer Kultur und die Abwendung von Kirche & Christentum immer wieder scharf kritisiert hat. Wie man theologiegeschichtlich und kirchenhistorisch basisch argumentiert, hat der evangelische Theologe O. Markmann in seiner Anfang der 70er Jahre erschienenen kulminierenden Schrift "Die Irrtümer der katholischen Kirche" generös aufgezeigt. Doch das sei nur am Rande erwähnt.
In allen Beiträgen schimmert natürlich das literarische Erbe Herrmanns durch, der keiner Auseinandersetzung mit "seiner" Kirche und gesellschaftlich brisanten Entwicklungen aus dem Wege gegangen ist. Und darin liegt auch sein eigentlicher Verdienst.
Dass auch ein freischaffender und kritischer Geist wie Herrmann die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen hat, beruhigt. Genauso die Tatsache, dass auch der schärfste Kritiker immer Ingredient des eigenen Milieus bleibt, so massiv und partiell berechtigt seine Kritik auch sein mag.
Alles in allem eine interessante, anstößige, herausfordernde wie auch Horizont erweiternde Aufsatzsammlung, die exemplarisch einige Aspekte aufgreift, die Herrmann während seiner langjährigen Forschungstätigkeit engagiert diskutiert hat.

Roland Seim (Hrsg.): "Mein Milieu meisterte mich nicht" - Festschrift Horst Herrmann. Münster: Telos Verlag 2005. ISBN 3-933060-19-2, 392 S., mit Schriftenverzeichnis des Jubilars, Liste der Beiträger, einigen Tabellen, Graphiken, Faksimiles und SW-Abb., EUR 24,80.
 
 




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