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Friedrich Schorlemmer (Hrsg.): Knaurs Buch der Werte
von ta anno 2003

Friedrich Schorlemmer (Hrsg.): Knaurs Buch der Werte

Im Rahmen des Individualisierungsprozesses der einzelnen Person in der Moderne kam es zweifellos zu einem generellen Normen- und Werteabfall. Mit der Frage "Was gilt?" darf sich in der Postmoderne nun das geläuterte Individuum herumschlagen. Eine prinzipielle Festlegung von Wert und - in logischer Konsequenz - Ideal wird ersetzt durch die eigene Erörterung. Dass diese Erörterung gewisser Denkprozesse bedarf, muss nicht bezweifelt werden. Dass diese Denkprozesse zu durchlaufen nicht jedes Individuum gewillt ist, ist jedoch genauso Faktum. Als kleine, fünfhundertseitige Denkstütze fungiert in dem Falle das Buch der Werte, herausgegeben vom renommierten Theologen Friedrich Schorlemmer und es wartet mit einem unerschöpflichen Arsenal an Texten über, von, wegen, für, mit Wert und Moral auf und ist dabei beileibe keine theoretische Abhandlung über Sinn und Wert von Sinn und Wert geworden; ganz im Gegenteil: "Wir haben ein Lesebuch, ein Vorlesebuch vor uns." (Zitat, S. 15). Ein Vorlesebuch mit Geschichten von damals und heute, auch mit Gedichten und Fabeln und historischen Protokollen mit universalem, idealistischen Charakter und, und, und ... Die Hinzunahme solcherlei literarischer Ergüsse erhöht selbstverständlich den Unterhaltungsfaktor dieses Buches ungemein, sorgt aber auch dafür, dass tiefere analytische Momente in der Gegenüberstellung mit den "bloß" literarischen, auch wenn beide Seiten oft genug angenehm verschmelzen, etwas rarer gesät sind, seien sie nun von theologischer (Bonhoeffer, Jonas, M. L. King ...) oder philosophischer (Schopenhauer, Aristoteles, Descartes ...) Seite; eine Ausnahme bildet gerade die Abteilung "Selbsterkenntnis", ein unkonventioneller Wert. Wenn aber der Grund für die "grassierende Beliebigkeit der Postmoderne" (Zitat, S. 20) darin liegt, dass Werte kritisch hinterfragt, auseinandergenommen und (scheinbar) widerlegt sind (und das ist nicht erst seit Nietzsche, den man bis auf ein paar Zeilen aus der "Genealogie der Moral" außen vor lässt, der Fall), sollte gerade Wert darauf gelegt werden, diese Prozedur ihrerseits zu hinterfragen und ggf. analytisch zu widerlegen.
Das Buch der Werte ist deswegen kein gescheitertes Experiment. Es gilt nur klarzustellen, dass das Buch der Werte keinen Kopf ersetzt (oder, je nach Standpunkt, auch nicht Herz oder Seele). Die Denkarbeit erledigt (hoffentlich) der Leser. Schorlemmer und auch der Zwischenkommentator Eberhard Reimann selbst verhehlen nicht ihren Standpunkt und tragen neben all den zitierten Literaten ihr Scherflein zu Sinn und Wert dieses Buches bei. Wo dieser liegt, beantwortet Schorlemmer selbst (S. 21): "Wenn diese Sammlung hilft, dem einzelnen hilft, aus Begriffen Tätigkeiten zu machen, das Wertvolle auch als das Sinnvolle und das Sinnvolle als das Beglückende zu erfahren, dann war sie das Papier mitten in der Bücherflut wert." Ein hoher Anspruch. Ihm zu begegnen ist jedes Einzelnen Aufgabe.

Friedrich Schorlemmer (Hrsg.): Knaurs Buch der Werte. Zusammenstellung der Texte durch Rudolf Radler und Sven Hanuschek. München: Knaur 2003. ISBN 3-426-66466-6. 536 Seiten. 19,90 Euro
 






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