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Michael Rauhut: Schalmei und Lederjacke. Rock und Politik in der DDR der achtziger Jahre
von gl anno 2004

Michael Rauhut: Schalmei und Lederjacke. Rock und Politik in der DDR der achtziger Jahre

Ein hervorragend recherchiertes Zeitdokument legt der Autor Michael Rauhut in Form dieses Buches vor, das bereits 1996 veröffentlicht wurde (das abgebildete Cover stammt von dieser Erstauflage, die auch einen geringfügig anderen Untertitel hatte - Anm. rls) und nun als Reprint von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen zurecht neuaufgelegt wurde. Und bilden ist das richtige Wort, denn dieses äußerst spannend zu lesende Buch kann nur JEDEM (Musikanhänger) in den beiden ehemaligen Teilen Deutschlands empfohlen werden, vor allem den unter 25-jährigen im ehemaligen Westdeutschland! Denn der Autor beschreibt, sachlich fundiert und durch zahlreiche Originaldokumente unterstützt, in fünf Kapiteln die Entwicklung um Rock- und Pop-Konzerte westlicher und DDR-Künstler in der DDR sowie der Zensur und Verfolgung, der sie ausgesetzt waren.
Dem Fiasko um die letztendlich ausgefallene BAP-Tour 1984 sowie UDO LINDENBERGs zahlreichen Bemühungen, im Ostteil Deutschlands aufzutreten, sind eigene Kapitel gewidmet. Hier wird in grandioser Weise, unterstützt durch Briefe beider Seiten, nachgezeichnet, wie Versuche der beiden Bands, immer wieder endlich in der DDR für ihre dort ansässigen Fans spielen zu dürfen, schlussendlich doch verhindert wurden. Und Egon Krenz, der ja immer so tut, als sei er ein Vermittler gewesen, wird hier als genau so gnadenloser Hardliner geoutet. Die Dokumente, die einige Male doch zum Schmunzeln verleiten ob der grotesken Lächerlichkeit der Argumentationen der Betonköpfe im Zentralkomitee aber auch in der FDJ waren sicher damals überhaupt nicht lustig, sondern die traurige bittere Wahrheit. Wer was anderes darin sah, hatte mit harten Konsequenzen zu rechnen: 2 DJs aus Guben kamen 5 Monate in Haft, weil sie den "Sonderzug aus Pankow" unerlaubter Weise aufgelegt hatten!
Ja, wir "Westler" können uns gar nicht vorstellen, wie das damals dort drüben war, auch deswegen ist dieses Buch so wichtig - heutige "Probleme" von Bands wirken im Gegensatz dazu geradezu lächerlich! Im Kapitel "Musik kennt keine Grenzen" wird die Wunderwaffe Westkonzert beschrieben, beginnend mit den Ausschreitungen 1987 des in Grenznähe der Mauer in Westberlin veranstalteten "Concert for Berlin" - hier wurden Tausende DDR-Fans niedergeknüppelt, die lediglich hinüberwehende Soundfragmente hören wollten! Die Öffnung für westliche Künstler war unvermeidlich, so dass es zu Auftritten von zahlreichen Künstlern wie BARCLAY JAMES HARVEST, KLAUS LAGE, HEINZ-RUDOLF KUNZE, JULE NEIGEL, TOM PETTY, BOB DYLAN, JOE COCKER etc kam. Krönung war ein Konzert von BRUCE SPRINGSTEEN vor 160.000 (!) Menschen 1988 in Weißensee, und das Zentralkomitee versuchte mit aufgehängten Slogans die Veranstaltung vor ihren Karren zu spannen, das Springsteen-Management machte jedoch einen Strich durch die Rechnung und ließ entsprechende Transparente aus dem Bühnenbereich entfernen. Es sind diese scharfen Beobachtungen, die das Buch zu einem kleinen Juwel machen, der Autor wertet nicht, er berichtet sehr akkurat, fundiert und gewissenhaft und hat im übrigen mit 13 Künstlern Interviews geführt, er weiß also, wovon er spricht.
Am traurigsten stimmt Kapitel 4 "Das Zionsyndrom" über jugendkulturelle Szenen im Visier von Staat und Stasi, in dem sich die ganze Scheußlichkeit der Überwachung bis ins letzte durch Spitzel, IM (=Informelle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit) und Denunziantentum offenbart.
Auch die Entwicklung (und Zerstörung des verantwortlichen Pfarrers durch die Stasi) der sogenannten "Bluesmessen" in Kirchen, die für Bands zeitweilig die einzigen Auftrittsmöglichkeiten waren, wird nacherzählt.
Im letzten Kapitel wird dann die Entwicklung bis zur Wende geschildert und darauf hingewiesen, dass es mitunter mutige Ost-Künstler waren, die durch Unterzeichung einer gemeinsam verfassten Resolution - in Zusammenarbeit mit dem Neuen Forum - ihre Karriere erneut riskierten, aber auch klarmachten, dass es so nicht weitergehen konnte, und dadurch Tausende andere ermutigten, diesen Weg mitzugehen. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt, als dann diese Künstlerkarrieren nach der Wende einbrachen, da sie "ihre Schuldigkeit getan" hatten. Neben der kleinen Kritik, dass es nicht zu vermeidende Zeitsprünge gibt, ist es ein hervorragendes und wichtiges Buch, das ich uneingeschränkt zur Lektüre empfehle.

Michael Rauhut: Schalmei und Lederjacke. Rock und Politik in der DDR der achtziger Jahre. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung des Landes Thüringen 2002 (PF 10 21 51, 99021 Erfurt).
 



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