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Jiri Ort: Leoš Janácek - der späte Wilde. Liebe und Leben in Opern und Briefen
von ta anno 2006

Jiri Ort: Leoš Janácek - der späte Wilde. Liebe und Leben in Opern und Briefen

Janácek? Irgendwo mal gehört, vielleicht im Musikunterricht oder am Konservatorium? Damit der Infomangel ein Ende hat, gibt es hier von J. Ort nun eine Biographie des tschechischen Komponisten (1854-1928) mit leichter, ganz leichter Schlagseite gen Werkanalyse. Leicht ist diese Schlagseite, weil J. Ort zunächst zwei Dinge nicht tut: Er analysiert nicht die musikalische Gestaltung der Opern en detail. Und er durchsieht das Opernwerk von Janácek nicht als autonomes musikalisches Gebilde, sondern als Ergebnis eines lebensgeschichtlichen Kontextes (besonders, was die Themenwahl betrifft). Diesen methodischen Ansatz muss man klar vor Augen haben, sonst kann man vom Werk J. Orts leicht enttäuscht sein. Das hier, dieses Buch ist zunächst eine Biographie und nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Das bewegte Leben von Janácek tritt dem Leser beinahe plastisch vor Augen, unglaublich anschaulich und nah zumindest. Woher kommt's? Zum Einen von J. Orts Schreibstil: Streng wissenschaftlich im Satzbau zwar, aber ironisch, leger, witzig oft in der Wortwahl, unterhaltsam also allemal. Zum Zweiten rührt die Anschaulichkeit, man will beinahe sagen: Authentizität, vom konsequenten Einbinden der Janácekschen Briefe her. Unzählige Schreiben an und besonders von Janácek, Schreiben an Freunde, Verwandte, Gönner, Kritiker, besonders aber Geliebte füllen dieses Buch, darunter famose Happen wie der bissige, aber liebevolle Briefwechsel mit seiner sich vernachlässigt wähnenden Liebe Kamila (S. 123), Schreiben, die von einem lebendigen Geist, Witz und Intelligenz berichten. Der Ausgang von Briefen des Komponisten ist übrigens keine zufällige Wahl, wenn man bedenkt, was Janácek für eine schreibwütige Person war: Allein an die erste große Liebe, seine vierzehnjährige Schülerin Zdenka (Janácek selbst war elf Jahre älter) sind 500 Briefe in 7 Monaten datiert. Da tut es nicht Wunder, dass Biograph J. Ort auch mal seitenweise die Briefe Janáceks für sich sprechen lässt - an anderen Stellen aber auch ausführliche Kommentare gibt. In jedem Fall wird der Komponist als Privatmensch nahe an den Leser getragen. Und nicht nur das: Auch Janáceks ab 1879 ausgearbeitetes Konzept der "Sprach-" bzw., genauer, "Sprechemelodie", also der theoretische und praktische Versuch, die Musikalität von Sprache konsequent und mit mimetischer Absicht ins Werk zu setzen, wird gewürdigt und mit Text bedacht. Eine zeitgeschichtliche Einordnung oder tiefergehende Analyse sollte man allerdings auch hier nicht erwarten, der zwar biographische, aber nicht an der Epochenwende Spätromantik-20. Jh. orientierte Zugang J. Orts sieht eine solche Einordnung und Analyse nämlich schlicht nicht vor. Das kann man dem Buch J. Orts als Mangel anhängen, muss man aber nicht, zumindest dann nicht, wenn man die Betrachtung eines Komponisten als Komponisten (wie sie hier vollzogen wird) auch aus nicht-musikwissenschaftlicher Perspektive für sinnvoll hält. J. Ort zieht den Lebensverlauf von Janácek anhand der Werke so detailliert wie möglich nach, angefangen bei ersten scheiternden Versuchen, mit Opern und Opernhaftem in der Musikwelt etwas zu bewegen, bis hin zum umfangreichen, heute auch - zumindest in Kennerkreisen - bekannteren Spätwerk, das (bzw. die Zeitspanne, in der es entstand) mehr als die Hälfte dieses Buchs für sich in Anspruch nimmt und nehmen darf. Ergänzt wird die lebhafte Darstellung von Faksimiles Janácekscher Notenschriften und Briefe sowie einigen wenigen Fotos. Ein kurzes Geleitwort vom Präsidenten der Leoš Janácek-Gesellschaft in der Schweiz, Jakob Knaus, ein längerer Hinweis auf das Janácek-Archiv in Brünn (wo Janácek zuhause war), eine stichpunktartige Chronik und ein ausführliches Personenregister mit Aufführung aller irgendwie, irgendwo, irgendwann mit Janácek in Verbindung stehenden Personen, inkl. Nennung von Lebensdaten, Tätigkeiten und Verbindungsgrund, runden das Buch gekonnt ab. Schöne Biographie!

Jirí Ort: Leoš Janácek - der späte Wilde. Liebe und Leben in Opern und Briefen. ISBN 3-7618-1826-2. Kassel et al: Bärenreiter 2005. 258 Seiten. 19,95 Euro.






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