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Randall Munroe: What If? Was wäre wenn? Wirklich wissenschaftliche Antworten auf absurde hypothetische Fragen
von rls anno 2016

Randall Munroe: What If? Was wäre wenn? Wirklich wissenschaftliche Antworten auf absurde hypothetische Fragen

Publikationen, die sich in unterhaltsamer Weise, aber theoretisch fundiert mit auf den ersten Blick wenig naheliegenden naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigen, gibt es durchaus schon einige, wenn etwa ein phantasiebegabter Wissenschaftler diverse Phänomene aus "Per Anhalter durch die Galaxis" untersucht (und feststellt, daß einige zwar in der Tat völliger Nonsens sind, andere aber durchaus einen wahren Kern haben), und auch das "Handbuch des nutzlosen Wissens" schlägt in eine ähnliche Kerbe. Insofern betritt Randall Munroe mit "What If?" kein völliges Neuland, aber er ist auch kein völliger Neuling. Nach einem Physikstudium und einer Kurzzeit-Anstellung bei der NASA wechselte er das Metier komplett und wurde Cartoonzeichner, wobei die xkcd-Strichmännchen mittlerweile eine beachtliche Popularität erlangt haben und die gleichnamige Website später um eine Rubrik namens "What If?" erweitert wurde, in der die Leserschaft Fragen mit ebenjener Struktur einreichen konnte, von denen Munroe dann ausgewählte mit wissenschaftlicher Akribie untersuchte und beantwortete. Das vorliegende Buch, 2014 auf Englisch erschienen und mittlerweile sowohl als Hardcover als auch in Taschenbuchform in Deutsch veröffentlicht, versammelt nun einige der Fragen samt der Antworten, die schon auf der Homepage veröffentlicht worden sind, als auch einige neue, die dort noch nicht behandelt worden waren. Wie man von Munroe erwarten kann, beschränkt sich das Ganze nicht auf textliche Abhandlungen - seine Strichmännchengrafiken spielen hier gleichfalls eine tragende Rolle, und wenn diese Texttafeln oder Sprechblasen beinhalten, so sind auch diese mit übersetzt worden.
Nun stellt sich für den Leser die Frage, um was es sich für Probleme handelt, die Munroe hier theoretisch auflöst. Das geht los mit "Was wäre, wenn sich die Erde und alles auf ihr plötzlich nicht mehr drehen würde, die Atmosphäre aber ihre Geschwindigkeit beibehielte?" - die inclusive Illustrationen siebenseitige Antwort beginnt übrigens mit "So ziemlich jeder würde sterben. Danach würde es erst richtig interessant werden." Katastrophal sind letztlich fast alle der behandelten Probleme, auch wenn manche eine Wendung ins Positive nehmen, wie etwa die letzte Frage "Was wäre, wenn Amerika von einem Erdbeben der Stärke 15 auf der Richter-Skala getroffen würde, sagen wir in New York? Und bei Stärke 20 oder 25?", wo Munroe zunächst darlegt, daß ein Beben der Stärke 15 ungefähr so viel Energie freisetzt, wie der gravitativen Bindungsenergie der Erde entspricht - ergo würde sich der Planet komplett in einen heißen Trümmerhaufen verwandeln, und alle weiteren Stärkeerhöhungen würden den Haufen nur noch etwas heißer machen. Munroe baut die Fragestellung dann aber noch weiter aus, nämlich in Richtung eines Erdbebens der Stärke -15 (was dann passiert, soll hier nicht verraten werden). Fragen nicht ganz so globalen Ausmaßes sind etwa "Aus welcher Höhe müsste man ein Steak abwerfen, damit es gar ist, wenn es am Boden ankommt?" oder "Wenn ein Asteroid ganz klein, aber enorm massereich wäre, könnte man dann wie der Kleine Prinz darauf leben?", und obwohl sich die meisten durchaus an einer zumindest potentiellen Realität orientieren, so kommen doch bisweilen auch künstlerische Figuren wie eben der erwähnte Kleine Prinz oder auch Meister Yoda vor, die sich dann aber wiederum gefallen lassen müssen, im Rahmen der Fragestellungen wie ganz normale, den Naturgesetzen unterworfene Kreaturen behandelt zu werden. Einige Antworten entwickeln fast philosophische Qualitäten, etwa die auf die Frage "Was wäre, wenn alle Menschen plötzlich irgendwie von der Erde verschwinden - wie lange würde es dann dauern, bis die letzte künstliche Lichtquelle erlischt?" Zwischen die meist knapp 10 Seiten umfassenden Kapitel, die je eine Frage behandeln, sind zwölf Einzelseiten "Seltsame (und beunruhigende) Fragen" plaziert - die dortigen Fragen werden im Raum stehengelassen oder nur mit einer Zeichnung beantwortet, etwa "Welche logistischen Anomalien würden auftreten, wenn man versucht, eine Armee aus Affen heranzuziehen?" oder "Nehmen wir an, dass es in einer Passagiermaschine eine relativ einheitliche Resonanzfrequenz gibt. Wie viele Katzen müssten in besagter Frequenz miauen, um das Flugzeug 'herunterzuholen'?"
Munroes lockerer, auch schwierige Zusammenhänge verständlich machender Schreibstil und sein sarkastischer Grundton (vergleiche noch einmal den oben zitierten ersten Satz der Antwort auf die erste Frage) machen das Lesen auch bei schwierigeren Sujets zum Vergnügen. Ob die Schlußfolgerungen in naturwissenschaftlicher Hinsicht allesamt korrekt sind, hat der Rezensent allerdings nicht nachgeprüft. In einem Fall liegt der Autor aber definitiv falsch, und zwar auf S. 320/321: Der letzte Überlebende aus Robert Falcon Scotts Südpolgruppe war definitiv nicht der einsamste, d.h. am weitesten von allen anderen Lebenden entfernte Mensch - zwar hatte Roald Amundsens Expedition zu diesem Zeitpunkt Antarktika schon wieder verlassen, aber von Scotts Expedition waren noch Teilnehmer auf dem Kontinent und sogar mit einer Hilfsexpedition zur sich zurückschleppenden Polgruppe unterwegs, die sie wegen des Wintereinbruchs aber nicht mehr rechtzeitig erreichten. Kurios mutet außerdem das Coverartwork an: In einer Vorankündigung war u.a. von der Frage die Rede, wie viele Menschen den Energiebedarf eines ausgewachsenen Tyrannosaurus rex gedeckt hätten, wenn es zu dessen Zeiten schon Menschen gegeben hätte - weder die Frage noch die Antwort tauchen aber im Buch auf, und damit verliert der T. rex auf dem Cover irgendwie seinen Sinn. Möglicherweise waren Frage und Antwort in der englischen Fassung oder auch in der deutschen Hardcoverversion noch enthalten, und bei der Erstellung der deutschen Taschenbuchversion, die die Grundlage dieser Rezension bildet, sind sie aus irgendeinem Grund nicht berücksichtigt worden.
Solche winzigen Problemfälle machen aber das Buch nicht weniger empfehlenswert, und der sowohl wissenshungrige als auch mit einer Portion schwarzem Humor ausgestattete Leser wird es, hat er sich einmal festgelesen, kaum wieder aus der Hand legen können, zumal auch die geschickte Übersetzung von Ralf Pannowitsch ihr Scherflein zum qualitativen Anspruch beiträgt. Für alle Experimente und Situationen gilt freilich der Grundsatz "Don't try this at home" - warum, das sollte nach wenigen Seiten keiner Erläuterung mehr bedürfen. Spaß macht die Lektüre trotzdem (oder gerade deshalb).

Randall Munroe: What If? Was wäre wenn? Wirklich wissenschaftliche Antworten auf absurde hypothetische Fragen. München: Penguin Verlag 2016. Broschur, 368 Seiten. ISBN 978-3-328-10031-7. 10,00 Euro. www.penguin-verlag.de






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