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Michael Moynihan, Didrik Söderlind: Lords Of Chaos
von rls anno 2003

Michael Moynihan, Didrik Söderlind: Lords Of Chaos

Ein CrossOver-Leser machte den Vorschlag, diese Rezension doch kurzerhand zum schon seit zwei Jahren angekündigten, aber immer noch nicht verfaßten 13. Teil von "Haarus Longus Satanas?" auszubauen. Generell gar keine schlechte Idee, scheitert ihre Umsetzung allerdings an mehreren Punkten, auf die in der konkreten Beschäftigung mit dem Buch eingegangen werden soll.
Das Buch trägt den Untertitel "Satanischer Metal: Der blutige Aufstieg aus dem Untergrund" und erschien bereits 1998 als englischsprachige Ausgabe, die nun seit 2002 auch in deutsch vorliegt. Moynihan kennt der Leser u.a. als Ensemblekopf von Blood Axis, Söderlind ist norwegischer Journalist. Die beiden wollen laut Untertitel also der Entwicklung des einfach, aber schwammig mit dem Begriff "Black Metal" umschreibbaren Subgenre des Heavy Metal nachspüren. Das tun sie quellen- und O-Ton-reich, an manchen Stellen gar detailverliebt, während andere Fragen (gewollt oder ungewollt) ausgespart bleiben oder allenfalls angerissen werden. Positiv vermerkt werden darf gleich zu Beginn, daß die Autoren sich nicht erst mit dem Jahre 1982 in die Untersuchungen stürzen (das ist das Jahr, in dem das Venom-Album "Black Metal" einem ganzen Subgenre den Namen lieh und prompt den Antagonismus White Metal provozierte), auch nicht erst mit dem Jahre 1970, als Black Widow das erste tatsächlich backgroundig okkulte und halbwegs bekannt gewordene Rockalbum veröffentlichten, sondern bereits viel früher einsetzen. Die Frage, ob der Bluesmusiker Robert Johnson tatsächlich eine Art "faustischen Pakt" geschlossen hatte, blieb erstaunlicherweise von den meisten Autoren fundamentalchristlichen Streitschrifttums gegen alle möglichen Arten populärer Musik unaufgegriffen, seine Wurzelstellung für "satanische Musik" darf indes getrost intensiver hinterfragt werden, als ich das mit meinem begrenzten Fachwissen im Blues-Genre tun kann. Die Autoren tun das ebenfalls nicht, sondern landen schnell bei den Rolling Stones, wo sie verkennen, daß ein Plattentitel wie "Goat's Head Soup", wollte man ihn im satanischen Sinne interpretieren, eine Blasphemie allererster Kajüte darstellt. Auch der Rest der Ursachenforschung in musikalischer Hinsicht bleibt bis Anfang der 80er Jahre eher durchwachsen (der positive Aspekt beschränkt sich also zu einem guten Teil auf die Tatsache, daß diese Ursachenforschung überhaupt angegangen wurde) und beinhaltet einige Widersprüche, die, wenn nicht schon den Autoren, so zumindest dem Lektorenteam hätten auffallen müssen. Exemplarisch sei die Debüt-LP von Coven genannt (nein, nicht die der Amimetaller der Mittachtziger, die noch den Eindruck erweckte, als habe man es mit einer pubertär-doofkultigen Truppe zu tun und nicht etwa mit den ernster zu nehmenden Düsterheimern, als die sie sich mit den nicht in meiner Sammlung befindlichen Alben numero zwo und insbesondere drei entpuppt haben sollen), die auf S. 19 als "aufsehenerregend" bezeichnet wird, wohingegen es noch eine Seite vorher heißt, die Platte sei trotz Majordeals schnell in Vergessenheit geraten. Einige Rezensentenkollegen haben bemängelt, daß dieser musikalische Ursachenforschungsteil (auch auf der parallel erschienenen Doppel-CD einen nicht unbeträchtlichen Raum einnehmend) überhaupt enthalten ist - eine Argumentation, der ich nicht folgen will, denn mit einem bißchen Kombinationsgabe erkennt man schön die Dualkonzeption von Buch und Doppel-CD. Es hätte aber halt noch ein bißchen intensiver sein können.
Kommen wir in die Achtziger, wo Marketingsatanisten wie Venom und ernsthafte Düsterkundler wie King Diamond die Grundlage für die Neunziger-Bewegung legten - erstaunlicherweise erstgenannte bedeutend einflußreicher als letzterer, dessen Musik für einfacher gestrickte Naturen (zu denen, ohne pauschalisieren zu wollen, ein guter Teil der Black Metal-Anhänger gehört) wohl schon zu komplex war. Dazu traten Bathory, die nach den ersten Alben im Zeichen des Gehörnten auf prächristliche Wikingerthematiken umschwenkten (was mit einer musikalischen Episierung einherging), womit sie strenggenommen die komplette Bandbreite des Neunziger-Black Metal (mit Ausnahme der bombastisch-vampiresken Spielart von Cradle Of Filth sowie der elektronikunterstützten futuristischen Ausprägungen von Bands wie Limbonic Art) sowohl musikalisch als auch textlich vorweggenommen hatten. Mit einer recht intensiven Betrachtung dieser Achtziger-Protagonisten leiten die Autoren zum Death Metal über, der sich in den Mittachtzigern zur extremsten Spielart des Heavy Metal entwickelte (wobei zu dieser Zeit auch Thrash-Bands wie Slayer satanische Aspekte in ihr Schaffen einfließen ließen, um damit promotionale Schockeffekte zu erzielen). Doch das "Beharren" auf der lyrischen Todesthematik (das sich in der Weiterentwicklung nach anderer Richtung hin noch abschleifen sollte - nicht lange Zeit nach Genrebegründung fand man bereits genausogut Death Metal-Bands mit aufgeklärt-politischen, ökologischen oder gar christlichen Textkonzepten) genügte einigen Protagonisten nicht, und so wandelte sich die norwegische Band Mayhem von einer primitiven Death Metal-Rasselbande zu einer Black Metal-Band, die sich auf gekreischten statt gegrunzten Gesang verlegte, die Gesichtsbemalung, die man bereits von Alice Cooper oder Kiss kannte, zu dem späterhin Corpsepaint genannten Ausdruck weiterentwickelte, textlich von der Todesschiene wieder aufs satanische Element umschwenkte und dem Image, das Venom kreiert hatten, reales "Leben" verleihen wollte. Mayhem und ihr Gründer Oystein Aarseth, besser unter seinem Pseudonym Euronymous bekannt, sollten zur Keimzelle einer einzigartigen musikalischen Bewegung werden, die augenscheinlich ausgehend von Norwegen Anfang der 90er Jahre sich über die halbe Welt ausbreitete: Der neuzeitliche Black Metal war geboren.
Die Entwicklung Mayhems und der norwegischen Szene (die kleiner war, als man sie als Außenstehender diagnostizieren würde) beleuchten die Autoren mit großer Ausführlichkeit. Auch hier fällt der umfangreiche Einsatz von O-Tönen und Interviewstatements aus erster Hand positiv ins Gewicht. Diese Vorgehensweise schafft einerseits Authenzität, verführte aber andererseits sowohl einige Rezensenten als auch Leser zum Vorwurf, die Autoren würden mit dem unkommentierten Abdruck solcher (nicht selten sehr extremer, gar menschenverachtender) Äußerungen den Protagonisten eine kostenlose promotionale Spielweise bieten. Die Tatsache, daß Söderlind (auch) für die norwegische Boulevardpresse arbeitet und Moynihan politisch rechts von der Mitte einzusortieren sein dürfte, schien perfekt in dieses Bild zu passen. Und dennoch ist diese Betrachtungsweise meiner Ansicht nach nicht gerechtfertigt, denn erstens finden sich doch diverse Kommentare und Wertungen zu einigen der Interviewausschnitte, und zweitens macht die unverfälschte Authenzität zumindest für den kritischen Leser das Fehlen permanenter Kommentierungen locker wett. Man muß eben mit der Rhetorik eines Varg Vikernes (der als zweite zentrale Figur der Entwicklung naturgemäß breiten Raum in der Betrachtung eingeräumt bekommt) zurechtkommen (wenn man die einmal erfolgreich zerpflückt hat, bereitet die Auseinandersetzung mit anderen national-heidnischen Argumentationen bedeutend weniger Mühe - ein angenehmer Lerneffekt beim Lesen des Buches).
Die Autoren beschränken sich nicht auf musikentwicklungstechnische Betrachtungen, sondern stellen zugleich psychologische Theorien über das Zustandekommen des Gewaltpotentials in der norwegischen Black Metal-Szene auf. Inwieweit diese im einzelnen stichhaltig sind, überlasse ich in der Beurteilung Menschen, die sich mit Theorien beispielsweise von Carl Gustav Jung besser auskennen als ich. Die Großverbrechen der Szene (darunter die frühen Kirchenbrandstiftungen des Jahres 1993) werden jedenfalls minutiös aufgerollt und hinterlassen faktologisch wenig Leerräume. Solche bleiben allenfalls in den Folgejahren, denn der extrem harte Kern der Szene spaltete sich nach 1993 (Euronymous war ermordet und Vikernes für diese Tat hinter schwedische Gardinen befördert worden) in eine fast atomistische Struktur auf, die nachzuvollziehen eher die Aufgabe eines Bandlexikons sein müßte. Statt dessen konzentrieren sich die Autoren im weiteren Verlaufe der norwegenbezogenen Kapitel fast ausschließlich auf die ideentechnische Weiterentwicklung von Vikernes, der sich mittlerweile vom Black Metal völlig abgewendet und rein elektronischer Klangerzeugung verschrieben hat. Parallel dazu ging eine deutliche Nationalisierung seiner Gedankenwelt daher, die ihr äußeres Zeichen darin fand, daß er als einen seiner zahlreichen Vornamen Quisling offiziell annahm (für die in der norwegischen Geschichte weniger Bewanderten: Vidkun Quisling errichtete im Zweiten Weltkrieg in Norwegen ein pro-deutsches Kollaborationsregime und gilt deshalb noch heute als persona non grata; bekannt wurde er auch durch diverse "universistische" esoterisch-kosmologische Theorien) und sich seine Gedankenwelt immer weiter in die nationalsozialistische Ecke zu verschieben begann (nach eigener Aussage hält sich Vikernes zwar nicht für einen Nazi, sondern für einen Faschisten, was bei intensiver kulturhistorischer Betrachtung allerdings nicht haltbar sein dürfte und für den gemeinen Menschen sowieso keinen Unterschied macht). Hatten bereits Bathory mit auch durch die Nationalsozialisten verwendeten Elementen gespielt, trieb Vikernes das Spiel (das für ihn natürlich vollen Ernst darstellte und darstellt) auf die Spitze, und er sollte keineswegs allein bleiben. Zwar ist er erstaunlicherweise in Norwegens Black Metal-Szene selbst mit seinen heidnisch-neoarischen Theorien ziemlich isoliert, aber er fand rasch Verbündete in aller Herren Länder. Natürlich - wie sollte es anders sein - auch in Deutschland.
Unter der Headline "Furor Teutonicus" fassen die Autoren eine sehr ausführliche Berichterstattung über die Geschehnisse rund um die Band Absurd, natürlich den Mord an Sandro Beyer in den Mittelpunkt stellend und diesen erfreulich nüchtern analysierend. Darüber rückt die restliche Black Metal-Szene Deutschlands (speziell die nicht-neoarische) sehr weit in den Hintergrund. Noch skurriler aber wird es im nächsten Kapitel, "Lords Of Chaos" überschrieben, das ein großes Paradoxon offenbart: Statt einer musikalischen Betrachtung des Black Metal über die Erde verteilt, wie noch sein Einleitungsabschnitt suggeriert, rollt es Verbrechensgeschichten, meist im Zusammenhang mit extremem Metal stehend, geordnet nach Ländern, auf. Das Paradoxon wird noch größer, wenn man im USA-Abschnitt auf die Quasi-Namensgeber, nämlich die Lords Of Chaos, stößt, eine jugendliche Terrorgruppe, die im Jahre 1996 im floridanischen Fort Myers diverse zumeist pseudosatanische Straftaten beging. Die aber hatten mit Black Metal rein gar nichts am Hut (zumindest steht nichts davon im Text, und auf den Bildern der sechs Haupttäter ist kein einziger Langhaariger zu sehen). Nach diesen nun aber ein ganzes Buch zu benennen (das in erster Linie eine Art musikwissenschaftliches Werk sein will und nicht etwa ein kriminologisches Lehrbuch, obwohl es sich an manchen Stellen tatsächlich so gibt - mal mit mehr, mal mit weniger Tiefgang) läßt den Verdacht einer billig-provozierenden Titelwahl aufkommen, zumal zum Zeitpunkt der englischsprachigen Erstausgabe 1998 die Verbrechensserie in den USA durchaus noch in den Köpfen der potentiellen Leser vorhanden gewesen sein dürfte. Durch die Konzentration auf die Verbrechensaspekte entgehen uns nun aber tatsächlich musikwissenschaftlich relevante Entwicklungen wie etwa in Brasilien, wo sich parallel zu den Anfängen Mayhems eine Band namens Sarcofago formierte (der Gründer wählte das interessante Pseudonym Wagner Antichrist, wobei ich nicht genau sagen kann, ob Wagner Teil des Pseudonyms ist, da es sich hierbei um einen nicht ungebräuchlichen Vornamen in Brasilien handelt) und fortan Death Metal mit antichristlichen Texten verband - eine Mixtur, die auch in Norwegen auf Interesse stieß, wie man einer Randbemerkung im Text entnehmen kann. Eine hochinteressante Frage wäre auch gewesen, warum in Ländern, wo das Christentum wenig bis keinen Einfluß aufs gesellschaftliche Leben aufweist, der normale Black Metal trotzdem mit antichristlichen Lyrics daherkommt. Die Beantwortung der Frage hätte sicher auch die gesellschaftstheoretischen Exkurse der Autoren von der Beziehung zwischen der norwegischen Gesellschaft und eben den rebellierenden jugendlichen Black Metallern in ein ausgewogeneres Bild setzen können.
So bleibt unterm Strich ein Buch mit mehreren Schichten. Für die ausführliche und chronologisch genaue Darstellung der Black Metal-Szeneentwicklung im Norwegen der 90er gebührt den Autoren ebenso ein großes Lob wie für das stellenweise Über-den-Tellerrand-hinaus-Blicken und das quellenrelevante Arbeiten. Trotzdem bleiben Lücken - einige wurden schon erwähnt, das größte Manko des Buches aber ist folgendes: Bis auf das Absurd-Kapitel ist eine Aktualisierung des Buches nahezu ausgeblieben; es ist faktologisch also weitgehend auf dem Stand der englischen Erstausgabe von 1998. In der Zwischenzeit sind vier ereignisreiche Jahre vergangen, und die bleiben fast völlig unreflektiert. Es wäre DIE Gelegenheit gewesen, erstens die für die Erstausgabe aufgestellten Theorien zur Weiterentwicklung der Black Metal-Szene anhand der Realität zu prüfen, zweitens einige neuere O-Töne einfließen zu lassen (ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mensch wie Ihsahn von Emperor heute noch glücklich mit seinen pseudobösen Aussagen von 1997 ist) und drittens das in den späteren Kapiteln zur psychologischen Seite hin abkippende inhaltliche Konglomerat wieder etwas zu bereinigen. Ich kenne die Ausgabe von 1998 nicht und weiß daher nicht, inwieweit der Satz auf dem Rücktitel gerechtfertigt ist: "Die deutsche Ausgabe von LORDS OF CHAOS wurde komplett überarbeitet ...". Aber man hätte bei der Gelegenheit durchaus mehr aus dem Buch machen können, als es nun ist. Kritisch gelesen haben sollte man es als Mensch, der ein wie auch immer gelagertes Interesse an der Thematik Black Metal hat, indes trotzdem.

Michael Moynihan, Didrik Söderlind: Lords Of Chaos. Satanischer Metal: Der blutige Aufstieg aus dem Untergrund. Zeltingen-Rachtig: ProMedia GmbH 2002. ISBN 3-936878-00-5. 416 Seiten. 19,95 Euro






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