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Bernd Matheja: Internationale Pilzvergiftung. Die Beatles im Spiegel der deutschen Presse 1963-1967
von ta anno 2003

Bernd Matheja: Internationale Pilzvergiftung. Die Beatles im Spiegel der deutschen Presse 1963-1967

Terrorismus, Anthrax-Anschläge, Bohlen und jetzt auch noch eine internationale Pilzvergiftung? Macht kaputt, was euch kaputtmacht? Mitnichten, die internationale Pilzvergiftung liegt nunmehr reichlich 40 Jahre hinter der Menschheit, war im Normalfall - gut, den hat es schon damals nicht gegeben - so schädlich wie ein Stück Butterbrioche und schimmelte auf den Köpfen so daher. In den sechziger Jahren wurde das Musikbus(-s)iness mit einem Schlag in hier und dort geteilt: Hier der Rest, dort die Beatles. "Hier" war eigentlich unwichtig. Zumindest lässt dieses Buch dies vermuten. In akribischer Recherche hat der Journalist Bernd Matheja jeden Schnipsel aus der Zeitung gerissen, in dem das Wort "Beat", "Massenwahn" oder "Pilz" vorkam, denn solch ein Papierfetzen hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas mit vier jungen Briten zu tun, die eigentlich nur Musik machten. Wenn ich hier von "der Zeitung" spreche, darf jede deutsche Stadt sich erwähnt fühlen. Die "Bild" (damals auch nicht glaubwürdiger als heute) oder "Die Welt" mögen ja der Allgemeinheit bekannt sein, aber was sagt man den zur "Pirmasenser Zeitung", zum Blatt "Mittag, Zeitung für Rhein und Ruhr" oder über die "Lippische Landeszeitung". Wer bezieht die "Heilbronner Stimme" oder "Die Presse" (Wien)? Gibt es noch die Dortmunder "Funk Uhr", den "Kölner Stadtanzeiger"? (Den "Kölner Stadtanzeiger" ja, "Die Presse" auch, bei den anderen bin ich mir nicht sicher. - Anm. rls) Faktum ist: Von 1963, dem Durchbruchsjahr für die Beatles in Deutschland, bis 1967, dem Jahr der Auflösung, konnte keine Zeitung, kein Magazin, schon gar nicht, wenn es "Bravo" hieß (Titelbilder en masse ...), es sich leisten, die Beatles zu ignorieren. Deswegen ist Mathejas Buch auch trotz etwa A 4-Format 344 Seiten dick geworden. Da reiht sich Klatsch an Tratsch und peinlichstes Paparazzi-Tum an prestigegeile Indiskretion, eine Band wurde zum Phänomen und zog Phänomene mit sich. Klar, auch bei den Backstreet Boys fällt die weibliche Schar in Ohnmacht. Die derbsten Schreiattacken erntet auch jedes Supersternchen heute noch. Aber mit den Beatles ging er erst los, der Massenwahn. Beatles-Fans fielen in Ohnmacht (S. 159). Beatles-Fans schrien, bis die Stimme starb (S. 1-344). Beatles-Fans kamen in Trauerkleidung zur Schule, weil Ringo geheiratet hatte (S. 100). Beatles-Fans zierten ihre Köpfe mit uniformer Pilz-Gestaltung (Sogar Adenauer und Fidel Castro? S. 66). Beatles-Fans setzten den Verkehr in München oder Hamburg außer Kraft (S. 145/164). Beatles-Fans wurden auch mit Gummiknüppeln und Wasserwerfern bekämpft (S. 158). Die Tatsache, dass die Schreiattacken sonst friedlicher junger Damen bei Live-Reviews größere Erwähnung finden als der tatsächliche Auftritt der Band, dürfte wohl für sich sprechen. Mittelpunkt insgesamt blieben im Buch natürlich Paul McCartney, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr. So ist jede Diskussion um und über die Beatles, sei es wegen der Ordensverleihung durch Queen Elisabeth (S. 105 ff.) oder weil John Lennon sich mit Jesus die falsche Person als Vergleichsobjekt bezüglich der Popularität seiner Band heraussuchte - ein Skandal, bei dem auch Plattenverbrennungen nicht ausblieben (S. 189) -, festgehalten. "Die Heuler", im Übrigen in der Presse die Standardbezeichnung für das Liverpooler Quartett, zogen eben auch viel Geheule mit sich und dieses Buch zeigt damit wunderbar, wie Musik aus ihrer eng gefassten Funktion als Medium heraus- und in den Hintergrund des Geschehens tritt, kaum dass Manager und Presse Blut lecken. Aber auch sechs Jahre Zeitung in den 60ern hatten Platz für Seriöses, für ernsthafte Auseinandersetzungen, die mal mehr (S. 65, "Frankfurter Allgemeine": profunde Analyse der Symbolhaftigkeit des Erfolgs der Gruppe) und mal weniger lesenswert (S. 82, "Reichsruf": "Haarus Longus Satanas?"-reifer Mumpitz) sind, manchmal auch irgendwo dazwischen liegen (S. 210, "Stuttgarter Zeitung": Beat-Auseinanderpflückung). Summa summarum: Dieser Artikelsammelband, gewürzt mit Plattencoverabbildungen und Tourneefotos (Band, Publikum, Speisekarte), ist zweifellos eine repräsentative Übersicht über die Beatles als Phänomen, dokumentiert und interpretiert von schriftlichen Medien aus Deutschland und lässt nur eine Frage offen: Zweimal, nämlich auf Seite 59 und Seite 68 taucht eine Band namens "Die Glatzenträger" als Pendant zu den Pilzköpfen auf, die mindestens den selben Bekanntheitsgrad erreichen wollte. Nun, wo ist sie geblieben? Der internationalen Pilzvergiftung erlegen?

Bernd Matheja: Internationale Pilzvergiftung. Die Beatles im Spiegel der deutschen Presse 1963-1967. Holste-Oldendorf: Bear Family 2003. ISBN: 3-89795-940-2






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