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Amelie Mahlstedt: Lolas verrückte Welt
von ta anno 2014

Amelie Mahlstedt: Lolas verrückte Welt

Amelie Mahlstedt hat ein besonderes Buch geschrieben. Es ist autobiografisch, das erste der Autorin und beginnt ohne Umschweife direkt mit der Geburt von Lola. Und dieser unmittelbare Beginn ist symptomatisch für das ganze Buch, dafür, was Amelie Mahlstedt schreibt und wie sie es schreibt.
Das Was: Der Buchtitel deutet an, dass es um Lola, die Tochter von Amelie Mahlstedt geht. Tatsächlich geht es im Buch zuerst und zuvorderst um die Mutter, um einen langen Prozess der emotionalen und kognitiven Auseinandersetzung mit der Tatsache, ein Kind mit Down-Syndrom zu haben. Die große Stärke des Buches ist es, dass es keine einfachen Botschaften vermittelt, sondern das komplexe Geflecht aus widersprüchlichen Gefühlen (Angst, Abstoßung, Liebe), widersprüchlichen Stimmungen (Unsicherheit, Sicherheit, Melancholie, Freude), widersprüchlichen Einstellungen (Leugnung, Annahme) und widersprüchlichen Verhaltensweisen (Zeigen, Verstecken) nicht nur zulässt, sondern geradezu programmatisch in nahezu jedem Kapitel aufs Neue perpetuiert. Manche dieser Widersprüche werden schnell aufgelöst, manche zeitverzögert, manche gar nicht.
Doch "Lolas verrückte Welt" ist kein desillusionierendes Buch. Die Erzählerin setzt mit zunehmender Seitenzahl immer mehr positive Signale. Die Mutter lernt, ihre Erwartungshaltung an das Entwicklungstempo ihres Kindes anzupassen und findet darin Vertrauen in sich und Lola. In einem ergreifenden Schlüsselkapitel im letzten Drittel des Buches teilt sie über die Stimme einer spanischen Psychologin mit, dass die Annahme des Kindes, das man bekommen hat, das Zulassen der Trauer erst voraussetzt.
Das Wie: Amelie Mahlstedt findet eine unmittelbare Sprache, die Intimität, Poesie und Sachlichkeit vereint. Einmal begonnen, ist es nahezu unmöglich, das Buch wieder aus der Hand zu legen, da es einen als Leser so nah an das Bewusstsein und die Wahrnehmung der jungen Mutter heranführt. Die Beschreibungen sind dicht und intensiv. Amelie Mahlstedt schreibt Sätze, die schonungslos offen sind und gerade darin befreiend.
Gleichzeitig führt sie den Leser - einmal derart nah herangelassen - damit gnadenlos in dieselben Ambivalenzen und Wahrnehmungsfallen, der die Mutter erliegt: Bin ich traurig, weil alle mich traurig anschauen oder schauen mich alle traurig an, weil ich traurig schaue? Spricht aus den Therapien für Lola der Wunsch, sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen, oder der Wunsch, das Down-Syndrom zu überwinden?
Ein fesselndes, tiefes und nachdenklich stimmendes Buch.

Amelie Mahlstedt: Lolas verrückte Welt. Diagnose: Down-Syndrom. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014. Klappenbroschur, 222 Seiten. ISBN: 978-3-579-07063-6, 17,99 Euro; http://www.randomhouse.de/guetersloherverlagshaus/, http://loliswelt.blogspot.de/



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