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Eliette von Karajan: Mein Leben an seiner Seite
von rls anno 2008

Eliette von Karajan: Mein Leben an seiner Seite

Komponistengedenkjahre ist man ja heutzutage gewöhnt. Den großen Rummel des Mozartjahres 2006 (in dem Schumann und Schostakowitsch gleich mit rundgewirbelt wurden) gerade verdaut habend, standen 2007 Grieg und Buxtehude auf dem Gedenkplan, jetzt haben wir 2008, und schon wirft Mendelssohn seinen langen Schatten aus dem Jahr 2009 herüber. Was man dagegen bisher kaum kannte, sind Dirigentengedenkjahre. Das hat zwei Gründe, die eng miteinander gekoppelt sind. Zum einen fungierten Komponisten in den vergangenen Jahrhunderten sehr oft auch als Dirigenten et vice versa (so daß man das Gedenken an den Dirigenten Mendelssohn gleich mit dem Komponistengedenken abhandeln kann), zum anderen bildete sich die eigenständige Dirigentenzunft erst relativ spät im 19. Jahrhundert heraus und hat bis heute längst nicht so viele Lichtgestalten hervorgebracht wie die Fraktion der Komponisten, so daß also die Dichte der Gedenkkandidaten weitaus geringer ist. Vielleicht kann man Arturo Toscanini als den ersten "Pultstar" im modernen Sinne ansehen, und er ist im öffentlichen Gedächtnis eindeutig als Dirigent konnotiert, nicht als Komponist (hat er sich überhaupt kompositorisch betätigt? Frage an die Experten). Nun gedachte man anno 2008 aber eines Mannes, der uns zeitlich noch deutlich näher steht, den mancher Leser vielleicht selbst noch live erlebt haben wird: Herbert von Karajan hätte anno 2008 seinen 100. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlaß erlebte der Medienmarkt einen wahren Boom an Karajanprodukten, und neben (natürlich) zahllosen CDs erschienen auch etliche Bücher.
Eines davon stammt aus der Feder Eliette von Karajans, der dritten Ehefrau des großen Dirigenten (die beiden waren über 30 Jahre lang verheiratet, bis zu seinem Tod 1989). Nun bekennt sie im Text relativ offenherzig, von Musik nur bedingt Ahnung zu haben, zumindest in praktischer Hinsicht (nicht hingegen in emotionaler - es hatte schon seinen Grund, wieso Herbert von Karajan ganz entgegen seiner Gewohnheit sie an zahlreichen Proben teilnehmen ließ und auf ihr emotional determiniertes Urteil Wert legte). Was ist also von einem solchen Buch zu erwarten? Musikwissenschaftliche Analysen? Sicher nicht. Komplette Diskographien und ähnliches statistisches Material in erdrückender Fülle? Könnte man schon eher vermuten, aber die Dosis fällt eher gering aus, als Würzfunktion sozusagen. Ein Enthüllungsbuch der Marke "Nachtreten ohne Ball"? Das hätten sich regenbogenpressenorientierte Menschen vermutlich gewünscht, aber sie werden enttäuscht. Vorsichtig vortasten in Richtung der Wahrheit kann man sich zunächst mit dem Cover, denn dort steht "Autobiographie" - und zwar nicht etwa von Herbert, sondern eben von Eliette, wenngleich beider Leben ab den 50er Jahren natürlich nicht mehr zu trennen ist. Eliettes Kindheit nimmt einen gewissen Raum ein, wohingegen Herberts Leben vor ihrer Bekanntschaft nur in einzelnen Rückblenden beleuchtet wird; der Hauptteil gehört logischerweise ihrer gemeinsam verbrachten Zeit. Und hier nimmt sich Erzählerin Eliette wohltuend zurück, wohl wissend, daß sie trotz ihrer Modelerfolge in den 50ern (und, man darf das mal so sagen, ohne despektierlich zu wirken: Sie sieht auch im etwas fortgeschritteneren Alter immer noch ziemlich gut aus) ohne den großen Dirigenten an ihrer Seite wohl nicht den Status erreicht hätte, den sie noch heute, knapp 20 Jahre nach dem Tod ihres Mannes, innehat. In der gewissen Kunst der Selbstbeschränkung liegt eine der Stärken dieses Buches, und man wundert sich irgendwann schon gar nicht mehr, welcher Prominente da nun schon wieder bei den Karajans zu Gast ist, weil das Ganze so harmonisch in den Text eingebettet ist, daß man es als Selbstverständlichkeit und nicht als Selbstbeweihräucherung empfindet. Auf diesem schwierigen Grat wandelt Eliette von Karajan sehr geschickt, und man kommt sich beim Lesen irgendwie so vor, als säße man im kleinen Kreise in ihrem Salon am Kaminfeuer und würde ihr beim Erzählen zuhören. Und bei allem Harmoniebedürfnis: Die eine oder andere Information, die der Allgemeinheit bisher entgangen sein dürfte, streut die Autorin dann doch ein. Oder wußte bisher außer ein paar Insidern jemand, daß Arabel von Karajan, Eliettes und Herberts jüngere Tochter, während ihres Studiums in Boston eine Punkband namens The Please Shut Up Band gründete und noch immer in dieser aktiv ist? Daß Herbert von Karajan "schuld" an der Entwicklung der CD ist und mit einer als Referenz dienenden Aufnahme von Beethovens Neunter mehr oder weniger auch deren Länge bestimmt hat, ist zwar mittlerweile relativ bekannt - aber wer hätte geahnt, daß der Dirigent im Opernfach Luciano Pavarotti eher selten besetzte, weil ihm dieser schlicht und einfach zu dick war und daher Karajans optisch-ästhetische Ansprüche an bestimmte Bühnenfiguren einfach nicht erfüllte?
Eliette von Karajan ist ein eher weiches, leises Buch über Herbert, beider Umfeld und sich selbst gelungen - inwieweit diese Ausrichtung mit der tatsächlichen Situation zwischen den beiden übereinstimmt oder etwas zu stark der Weichzeichner geschwungen wurde, mögen Menschen beurteilen, welche die beiden persönlich kennen bzw. kannten. Garniert hat die Autorin das Ganze selbstverständlich mit einer Dosis Faktenwissen; anstelle einer Diskographie, die den Umfang des Buches völlig gesprengt hätte, gibt sie zumindest eine komplette Filmographie wieder, und ihre ganz persönliche Empfehlungsliste der Herbertschen Silberscheiben ist natürlich auch dabei (der Rezensent stellt fest, daß er zumindest eine der dort genannten Einspielungen besitzt, nämlich Mahlers 4. Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern von 1979 - ein schöner Grund, jene nach langer Zeit mal wieder einzulegen). Zudem gibt es einen interessanten Bildteil. Man muß freilich, um keine Enttäuschung zu erleben, wissen, was man von dem Buch zu erwarten hat - dann aber liest man es relativ flüssig und durchaus mit Vergnügen.

Eliette von Karajan: Mein Leben an seiner Seite. Autobiographie. Berlin: Ullstein 2008. 240 Seiten. ISBN 978-3-550-08722-6. 22,90 Euro
 






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