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Sebastian Herrmann: Über alle Berge
von rls anno 2011

Sebastian Herrmann: Über alle Berge

Bücher im Geiste von "Schotts Sammelsurium" erfreuen sich für die verschiedensten Wissensgebiete einer nicht zu unterschätzenden Popularität, und so erscheint es nur logisch, daß auch die Welt der Bergsteiger diesbezüglich nicht leer ausgeht. Neben Pit Schuberts "Anekdoten vom Berg" gehört auch Sebastian Herrmanns "Über alle Berge" in diese Kategorie, wobei der Untertitel "Ein Handbuch nicht nur für Gipfelstürmer" ebenso wie der als Wortspiel unübertreffliche Albumtitel noch offenläßt, was den interessierten Leser hier erwartet (im Gegensatz zum Schubert-Buch, das schon im Titel Klarheit schafft). Die Abgrenzung zwischen den beiden Büchern ist auch gar nicht mal schwer: Schubert sammelt in der Tat Anekdoten, im wesentlichen mit personeller Anbindung - Herrmann hingegen sammelt alles, was bei drei nicht aus dem Lawinenabrißfeld geflüchtet war. Beide Herangehensweisen haben ihre Vorzüge und führen im vorliegenden Fall positiverweise auch noch dazu, daß es bis auf wenige kleine Ausnahmen keine inhaltlichen Doppelungen gibt, so daß, wer das eine Buch mag, bedenkenlos auch das andere noch erwerben kann.
Herrmann, seines Zeichens Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung, hat sein Buch aus zwei Komplexen aufgebaut. Zum einen berichtet er mehr oder weniger amüsante Begebenheiten aus seiner eigenen bergsteigerischen Praxis, wobei dem Leser hier und da schon mal die Haare zu Berge stehen, selbst wenn man die Möglichkeit einer literarischen Dramatisierung mancher Passagen im Hinterkopf behält. Diese Passagen sind als Einzelepisoden in anderer Schriftart auf Kästchenpapier über das ganze Buch verteilt und gliedern damit den Hauptteil, der aus einer ebenso willkürlichen wie kenntnisreichen Sammlung mehr oder weniger nützlichen, aber in jedem Falle unterhaltenden Wissens rings um die Welt der Berge besteht. Im Gegensatz zu Schubert hat Herrmann auf eine inhaltliche Unterteilung verzichtet und lediglich einige Aspekte noch zusätzlich in tabellarischer oder aufzählungsartiger Form strukturiert, also beispielsweise die höchsten Berge aller deutschen Bundesländer (die Sixteen Summits sozusagen - bergsteigerische Anfänger sollten trotz der verlockenden Höhe von nur reichlich 30 m über dem Meeresspiegel keinesfalls mit Bremen beginnen, denn es ist für den ungeübten Blick schwierig genug, den höchsten Punkt des Friedehorstparks ausfindig zu machen, der in Bremen nicht wie in den anderen 15 Bundesländern markiert ist) oder Berge mit kuriosen Namen, wo sich in "Berge und ihre Namen 6: Aus dem Leben" beispielsweise die Sackpfeife (im Rothaargebirge), der Misthaufen (im Lechquellengebirge in Österreich und mit 2436 m eine recht ansehnliche Erhebung) oder das Abschwunghorn (ein Dreitausender im Kanton Bern) finden. Nicht alle Geschichten und Geschichtchen sind der lustigen Fraktion zuzurechnen, es finden sich auch einige tragische Elemente wie der Fall von Nanda Devi Unsoeld, der Tochter des erfolgreichen amerikanischen Bergsteigers Willi Unsoeld, die ihre Vornamen (übersetzt soviel wie "Göttin der Freude") nach einem indischen Siebentausender erhielt, an dem sie 1976 bei einem Besteigungsversuch dann starb. Einige der Geschichten wünschte man sich als Leser allerdings noch ein wenig ausführlicher und fühlt sich wie am ausgestreckten Arm verhungern gelassen. Beispiel von S. 45: "Gabriel Willmann hat acht Mäuse bis auf 8500 Meter Höhe am Mount Everest getragen. Acht Kontrollmäuse verblieben im Basislager - der Forscher sucht im Blut der Mäuse nach eindeutigen Spuren des Höhentrainings." Schön und gut - aber was hat er denn nun herausgefunden?
Aber das bleiben Einzelfälle - das Gros der 256 Seiten liest man mit großer Begeisterung, und auch die Illustrationen von Diana Lukas-Nülle animieren hier und da zum Schmunzeln, auch wenn ihnen ein konkreter Bezug zu einer der Anekdoten fehlt und man sich wundert, was denn nun das häufiger auftretende DDR-Staatswappen mit Hammer und Zirkel in einem angedeuteten Ährenkranz auf dem Gipfel eines stilisierten Berges, der eher wie ein Kraftwerkskühlturm aussieht, zu bedeuten hat (der einzige lose Bezug ließe sich zu einer Sammlung von regimekritischen Sprüchen aus Gipfelbüchern des Elbsandsteingebirges zur DDR-Zeit ziehen, aber das Wappen zieht sich quer durchs ganze Buch). Aber darüber kann man abends auf einer Berghütte herrlich philosophieren, wenn denn jemand im Rucksack das Buch mit hochgeschleppt hat - es ist zwar recht leicht, aber doch etwas voluminöser als das Schubert-Buch, und naß werden sollte es möglichst auch nicht. Aber man kann es natürlich auch außerhalb der Saison zu Hause auf dem Sofa lesen ...

Sebastian Herrmann: Über alle Berge. Ein Handbuch nicht nur für Gipfelstürmer. München: Malik Verlag 2010. 256 Seiten, ISBN 978-3-89029-379-0, 14,95 Euro. www.piper.de



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