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Hans H. Hanke (Hrsg.): Vom neuen Nutzen alter Kirchen
von rls anno 2005

Hans H. Hanke (Hrsg.): Vom neuen Nutzen alter Kirchen

Die Zeiten, in denen in Deutschland neue Kirchen gebaut werden mußten, weil die alten kapazitätsbedingt (nach oben hin wohlgemerkt) nicht mehr ausreichten, sind zumindest bei den großen Amtskirchen lange vorbei. Der Trend der Orientierung der Menschen hin zu freien Gemeinden oder gänzlich anderen Formen der Religionsausübung bzw. komplett weg von ihr, gepaart mit der atheistischen Ausrichtung des DDR-Regimes und der allgemeinen demographischen Entwicklung führen zu einem Mitgliederschwund sowohl katholischer- wie evangelischerseits, was sich auch auf die Gottesdienstbesucherzahl und nicht zuletzt auf die finanzielle Ausstattung niederschlägt. Vor diesem Hintergrund (der strukturelle Maßnahmen wie Gemeindezusammenlegungen oder räumliche Umorientierungen wie z.B. das Verlegen des Gottesdienstes aus dem Kirchengebäude in einen Gemeinderaum nach sich zieht) steht man vielerorts vor der Frage, was man mit einer nicht mehr für das aktive Gemeindeleben genutzten Kirche anfangen soll. Der Westfälische Heimatbund hat zu dieser Frage und den damit verbundenen umfangreichen Entscheidungen mit großer Tragweite im Herbst 2002 eine Tagung in Castrop-Rauxel durchgeführt, deren Referate im vorliegenden Büchlein zusammengefaßt sind. Ob es alle an diesem Tag gehaltenen Referate sind, weiß ich nicht - man stellt beim Lesen allerdings schnell fest, daß die strukturelle Situation der Kirchen im Ruhrgebiet doch noch eine andere ist als beispielsweise hier in den neuen Bundesländern, wo man schon jahrelang vor Fragen steht, die in den alten Bundesländern erst nach und nach an die Oberfläche treten, wo man aber andererseits auch Chancen hatte, die sich in den alten Bundesländern nicht bieten, was allerdings auch vice versa gilt. Von daher hätte es der Tagung eventuell gut getan, wenn man auch einen Vertreter der kirchlichen Baudenkmalpflege aus den neuen Bundesländern eingeladen hätte (falls ein solcher tatsächlich anwesend war oder sogar gesprochen hat, so ist von ihm zumindest nichts im Buch verewigt worden), um einen gegenseitigen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen.
Was ist nun drin im Buch? Herausgeber Hans H. Hanke hielt das Grundsatzreferat mit einem historischen Rückblick auf die verschiedensten Initiativen zur Weiter- bzw. Umnutzung leerer Kirchen sowie einem aktuellen Überblick über die kirchenstrukturelle Situation im Ruhrgebiet. Vor diesem Hintergrund stellt er die Frage, ob eine Umnutzung beispielsweise auch als Moschee denkbar wäre (das ist eine Möglichkeit, die so in den neuen Bundesländern kaum besteht, weil die hier bestehenden islamischen Glaubensgemeinschaften viel zu klein sind, um ein großes Kirchengebäude zu unterhalten), und bejaht sie vor dem Hintergrund der nicht wegzudiskutierenden Gemeinsamkeiten zwischen dem Christentum und dem Islam (die Argumentation, daß die Integration der katholischen polnischen Gastarbeiter Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts im evangelisch geprägten Westfalen ja auch gelungen sei, verdient trotzdem eine Hinterfragung ihrer Stichhaltigkeit). "Teilen und bewahren" gibt er als generelles Motto aus, obwohl aus denkmalpflegerischer Sicht keineswegs jede Kirche ein erhaltenswertes Kulturdenkmal darstellt. So einfach ist es aber dann doch nicht, wie auch in den Folgebeiträgen deutlich wird, denn außer der denkmalpflegerischen gibt es ja auch noch eine menschliche Komponente, und auch die finanzielle darf trotz des bekannten Jesus-Zitates "Mein Haus soll ein Bethaus sein, ihr habt eine Räuberhöhle daraus gemacht" (das interessanterweise im Buch nicht vorkommt) nicht außerhalb der Betrachtung bleiben.
Herbert Fendrich wirft deshalb erst einmal einen Blick ins Erzbistum Utrecht, wo Kirchen (deren Unterhaltung in den Niederlanden von den Gemeinden zu großen Teilen selbst finanziert werden muß) auch schon mal zu Eigentumswohnungen umgebaut werden, und das so, daß auch der pedantischste Denkmalpfleger, sofern er nicht dem verkrusteten Grundsatz "Lieber einstürzen lassen als umnutzen" huldigt, keinen entscheidenden Einwand erheben könnte, zumal die entsprechenden architektonischen Details erhalten geblieben sind. Diese niederländischen Erfahrungen sind in die Essener Leitlinien eingeflossen, die das Ruhrbistum für den Umgang mit leerstehenden Kirchen 2001 erlassen hat und die Fendrich hier erläutert. Prinzipiell kommt er auf theologischer Seite zum gleichen Ergebnis wie sein evangelischer Kollege Roland Berner, der die Bielefelder Handreichung der Evangelischen Landeskirche Westfalens zum gleichen Thema vorstellt: Der Spielraum für eine Umnutzung auch für die Ausübung anderer monotheistischer Religionen ist weiter als viele sich das im ersten Moment denken bzw. wünschen würden. Die in den Beiträgen durchaus unverkennbaren Unterschiede katholischer- und evangelischerseits bei der Interpretation einer Kirche als Gotteshaus spielen letztlich bei der Entscheidungsfindung über die Zukunft einer leeren Kirche eine untergeordnete Rolle: Der Abriß muß, wie es die Essener Leitlinien so schön sagen, die ultima ratio bleiben, nachdem alle anderen Möglichkeiten einer Weiter- oder Umnutzung geprüft wurden.
Zwei konkrete Beispiele stehen im Mittelpunkt der nächsten beiden Beiträge des Buches: Christel Darmstadt entwirft ein Nutzungskonzept für die kulturelle Umnutzung der Marienkirche in Bochum und unterlegt das sogar mit einer Kosten-Nutzen-Rechnung (ob die aufgeht, muß allerdings offen bleiben; Sachkostensteigerungen für einen Zeitraum von sechs Jahren etwa sind gar nicht berücksichtigt worden), Thomas Wessel berichtet über die Umwidmung des Turms der Christuskirche in Bochum zu einem Antikriegsmahnmal, verliert sich allerdings etwas zu sehr in den theologischen Ausführungen über die "Theologie nach Auschwitz" (ein beliebtes, aber in der Regel theoretisch bleibendes Gedankenspielkonstrukt unter Theologen), anstatt stringent die Entwicklung dieser Kirche und ihrer Umnutzung darzustellen, wie das auf einer solchen Tagung eigentlich geboten wäre (man muß die Fakten hier mühsam aus dem theologischen Schwamm ausdrücken, was nicht so richtig Spaß macht).
Den Schlußpunkt des Buches setzt wiederum Hans H. Hanke, der die Resolution 916 des Europarates zu aufgegebenen religiösen Gebäuden vorstellt, die, obwohl sie bereits von 1989 stammt, kaum jemand kennt (ein trauriges Beispiel für das "verborgene Wirken" europäischer Gremien, das nicht ins Bewußtsein der Öffentlichkeit dringt), die sich aber über weite Strecken als im Einklang mit den beiden vorgestellten Leitlinien herausstellt, aber darüber hinaus noch auf einige weitere Aspekte hinweist (z.B. den touristischen).
Das Büchlein enthält außer den Texten auch noch zahlreiche Schwarzweiß-Bilder, teilweise auch Pläne und Grundrisse; der vom Verlag gebrauchte Terminus "Bild- und Textband" erscheint trotzdem gewagt, da sich der Leser darunter eigentlich etwas Größeres vorstellt als ein A5-Heft mit 64 Seiten. Anregung wäre also, vielleicht mal einen richtigen großen Bildband mit deutschlandweiten Beispielen für gelungene Umnutzungen von Kirchengebäuden (natürlich mit erläuternden Texten kompiliert) herauszugeben (einige Beispiele für nicht gelungene Umnutzungen müssen zur Abschreckung natürlich ebenfalls beigefügt werden) - wie wäre es mit einem solchen ökumenischen Projekt? Trotzdem kann auch dieses Büchlein als Lektüre durchaus empfohlen werden, wenn man in seiner Gemeinde vielleicht gerade vor einer analogen Entscheidung steht - oder besser noch, bevor man vor einer solchen Entscheidung stehen könnte. Denn die 64 Seiten erfüllen einen wichtigen Zweck: den der Bewußtseinsbildung.

Hans H. Hanke (Hrsg.): Vom neuen Nutzen alter Kirchen. Leitlinien und Beispiele zum Umgang mit leeren Kirchengebäuden. Bochum: Biblioviel Verlag 2003. 64 Seiten. ISBN 3-928781-74-X. 8,90 Euro



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