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Sabine Fellner, Jutta M. Pichler, Georg Thiel: Tabak in der Karikatur
von rls anno 2011

Sabine Fellner, Jutta M. Pichler, Georg Thiel: Tabak in der Karikatur

Ein weiter Weg liegt zwischen der Ersteinfuhr des Tabaks nach Europa in kolumbianischer Zeit, Bachs "So oft ich meine Tobackspfeife" und der rezenten Nichtraucherschutz-Gesetzgebung. Der Rezensent gibt offen zu, parteiisch zu sein und den Tabak nur in einer Form zu mögen: als leuchtend rot blühende Ziersorte im Garten (alternativ sind aber auch die rosa und weißen Sorten nicht zu verachten :-)). Und da der Tabakkonsum und seine Folgen schon seit Jahrhunderten polarisierten, stellten sie natürlich ein reizvolles Feld für Karikaturisten dar, so daß das Karikaturmuseum Krems eine Ausstellung "Tabak in der Karikatur" organisierte, die vom 15.11.2009 bis zum 7.4.2010 zu sehen war. Das vorliegende Buch stellt den Katalog zur Ausstellung dar, wobei es leider keine Informationen preisgibt, ob sein Abbildungsteil alle ausgestellten Karikaturen zeigt oder nur eine Auswahl.
Die einführenden Textbeiträge widmen sich der Geschichte der Karikatur an sich sowie der europäischen Kulturgeschichte des Tabaks seit seinem Erstimport vor mehr als einem halben Jahrtausend. Das Spektrum der hier abgebildeten Karikaturen reicht dann von einem anonymen "Spottbild auf den Tabak" von 1650 bis zur umfangreichen gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Nichtraucherschutz. Das Material ist dabei weitgehend, wenngleich nicht ganz streng chronologisch geordnet - im jetztzeitigen Teil, der volumenseitig dominiert, wird das Prinzip nicht mehr einheitlich angewendet. Vor allem die historischen Karikaturen finden eine sinnvolle Ergänzung in knappen textlichen Erläuterungen, um den jeweiligen geschichtlichen Hintergrund deutlich zu machen, der nicht in jedem Fall als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden kann - wer beispielsweise weiß aus dem Stegreif, was sich hinter dem Bloomerismus verbarg? (Antwort: Eine Frauenbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts, die sich durch Bevorzugung männlich geprägter Kleidung auszeichnete - und das Accessoire der Zigarre hinzuzufügen lag natürlich nahe.) Aber auch einen Klassiker wie den vierten Streich von Max & Moritz (richtig, die explodierende Pfeife von Lehrer Lämpel) sieht man immer wieder gerne, zumal hier in einer raren handgeschriebenen Frühfassung Wilhelm Buschs.
Nun fällt freilich eine gewisse Gewichtung des Materials auf: Während viele der ausgewählten Grafiken früherer Jahrhunderte den Tabakkonsum eher kritisch betrachten, wird in den jetztzeitigen Objekten eher der Kampf gegen die Maßnahmen zum Nichtraucherschutz thematisiert. Und wenn man dann auch noch liest, daß die Objekte der Sammlung von Austro Tabak entstammen, einem Unternehmen, das seit 2007 zu Japan Tobacco Inc. gehört, dem weltweit drittgrößten Hersteller von Tabakprodukten, bekommt man als Nichtraucher einen dicken Hals und den Verdacht, daß hier unter dem Deckmäntelchen einer Kunstausstellung subversiv Tabakwerbung betrieben worden ist bzw. in Form des Kataloges wird. Viele der neueren Grafiken beschäftigen sich mit der Einschränkung der persönlichen Freiheit der Raucher, blenden aber völlig aus, daß die Raucher ihrerseits die persönliche Freiheit der Nichtraucher einschränken, und das sogar massiv, nämlich in Form einer Körperverletzung. So empfiehlt sich bei allem Humor, der auf den 96 Seiten zutagetritt, doch das Lesen bzw. Betrachten mit kritischer Wachsamkeit und eingeschaltetem Verstand. Von dieser Warte aus kann der Katalog als Herausforderung zur Sinnesschärfung zweifellos das Prädikat "Wertvoll" umgehängt bekommen.

Sabine Fellner, Jutta M. Pichler, Georg Thiel: Tabak in der Karikatur. St. Pölten: Residenz Verlag 2010. 96 Seiten. ISBN 978-3-7017-3176-3. 14,90 Euro. www.residenzverlag.at, www.karikaturmuseum.at
 






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