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Tobias Elsäßer: Wie ich einmal fast berühmt wurde
von rls anno 2013

Tobias Elsäßer: Wie ich einmal fast berühmt wurde

Wer sich genauer mit dem Popmusikgeschäft befaßt, dem wird früher oder später (im Regelfall früher) klar, daß hier zweifellos mehr Schein als Sein regiert und daß das Wort "Schein" in diesem Satz eine Doppelbedeutung aufweist. Bis man als jugendlicher Anhänger von Castingbands wie den No Angels oder Myriaden ähnlich gestrickter Acts auf diesen Trichter kommt, vergeht allerdings naturgemäß etwas Lebens- und Entwicklungszeit samt entsprechendem Erfahrungssammelhorizont, und wer sich gerade in ebenjener Entwicklungsperiode befindet, der dürfte mit dem Buch "Wie ich einmal fast berühmt wurde" von Tobias Elsäßer wertvolle Lektüre vor sich haben.
Soviel als Fazit gleich vorab - aber worum geht es nun konkret? Elsäßer meint auf S. 232 unter der Überschrift "Abgesang" folgendes: "Eigentlich ging es mir nur darum, eine spannende, aber nicht lehrreiche Geschichte über den großen Traum vom Berühmtsein zu erzählen. Einem Traum, der dank unzähliger Castingshows durch die Köpfe von Millionen mehr oder minder begabten Menschen spukt." Inspiration hierfür lieferte ihm sein eigenes Leben - er war selbst in den Mittneunzigern Mitglied einer gecasteten Band namens Yell4You gewesen, die allerdings trotz medialer Präsenz und Sony Music im Rücken den großen Durchbruch nicht schaffte (wer sich ihren Song "Nothing's Gonna Change My Love For You" mal anhören will, kann das zum Rezensionszeitpunkt auf Youtube tun: http://www.youtube.com/watch?v=D8BjwZnnpQM). In dieser Zeit, also lange vor dem Boom der Castingshows (aber gecastete Bands gab es auch schon in früheren Jahrzehnten - man denke an die Monkees in den Sechzigern) und auch vor der totalen Datenentblößung vieler Menschen via Facebook und Konsorten, spielt auch das Buch. Ich-Erzähler ist Erik Klein, der per Zufall von einem Studiobetreiber und einem Manager entdeckt wird, die in Stuttgart eine Boygroup zusammenstellen, deren Mitglieder zwar viele medial vermarktbare Vorzüge, allerdings auch einen Nachteil haben: Keiner von ihnen kann singen. Das ist im Zeitalter des Playbacks zwar kein Problem, aber die Studioaufnahmen einsingen muß trotzdem jemand, und das soll Eriks Job sein - als eins der vier Bandmitglieder aussteigt, wird er allerdings zum vollwertigen Bandmitglied und, weil er der einzige brauchbare Sänger ist, auch gleich noch zum Leadsänger befördert. In der Folge entwickelt sich ein Auf und Ab im Milieu des Popmusikgeschäfts, das überwiegend aus Typen besteht, die Musik als Ware sehen und ihre Vermarktung ähnlich organisieren wie die von sagen wir Milchprodukten oder Haarspray. Hinzu kommen allerdings ein paar Besonderheiten des Musikgeschäftes, etwa die Praxis, in bestimmten Läden seine eigenen Platten einkaufen zu gehen, um diese dadurch in den Verkaufscharts nach oben zu schieben und damit wiederum verstärktes Airplay bei den Hitradios und Musikfernsehsendern der Nation zu erzeugen. Die "Mehr Schein als Sein"-Attitüde zeigt sich auch, wenn etwa die Biographien der Mitglieder umgeschrieben und sie allesamt drei Jahre jünger gemacht werden, um nicht zu weit von der Zielgruppe "weiblicher Teenager" entfernt zu liegen, oder wenn der Studiobetreiber neue Stücke komponiert, indem er Versatzstücke von Liedern anderer Boygroups so verquirlt, daß etwas scheinbar Neues dabei herauskommt. Hier wird manch jüngere(r) und naivere(r) Leser(in) ein böses Erwachen erleben und vielleicht auch den bisherigen Schwarm, der von der Kinderzimmerwand lächelt, möglicherweise mit anderen Augen sehen - Elsäßer hat zwar keineswegs ein "Erweckungsbuch" geschrieben und zudem einen Roman und eben kein Sachbuch, aber das, was er da beschreibt, das passiert Tag um Tag im Musikbusiness tatsächlich und ist auch keineswegs auf die Popbranche beschränkt (obwohl es dort natürlich am intensivsten ausgeprägt ist). Wie die Geschichte für Erik Klein, die hier Call Us genannte Band und seine Ex-Band, eine Undergroundtruppe namens Fast Lane, ausgeht, soll hier natürlich nicht verraten werden ...
Elsäßer schreibt flüssig und unterhaltsam, wenngleich ohne größeren Tiefgang, womit er unterm Strich durchaus boygroupkompatibel und zielgruppenaffin agiert. Irritierenderweise ist die im Rampenlicht stehende Titelfigur allerdings mit einer Linkshändergitarre abgebildet - Gitarrist war Klein nur bei Fast Lane im Undergroundstatus, nicht jedoch bei Call Us, und somit könnte es sich allenfalls um ein Traumbild handeln, denn sein Plan war eigentlich, nach Erreichen des Starstatus bei Call Us auszusteigen und dann mit Eigenkompositionen eine Solokarriere zu starten. Ach ja, und die Lektoratsabteilung hat zwar möglicherweise viel geglättet, aber doch einen niedlichen Anachronismus übersehen: Das Buch spielt in den Neunzigern - also konnte da in Kapitel 5 auf S. 44 noch kein 20-Euro-Schein auf dem Tisch liegen ...
Aber generell handelt es sich schon um spannende und wertvolle Lektüre, die man speziell der weiblichen Jugend im Teenageralter auf den Tisch legen sollte. Positiverweise agiert Elsäßer nämlich nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern erzählt praktisch eine Alltagsgeschichte mit subtil eingewobener Moral, was ihn für die Zielgruppe prinzipiell erstmal interessant macht, ohne daß sofort die pädagogischen Scheuklappen ausgefahren werden. Als popbusinesskennender erwachsener Leser kann man "Wie ich einmal fast berühmt wurde" aber auch als bestätigende Unterhaltungslektüre lesen. Interessanterweise hat Elsäßer das gleiche Sujet schon in seinem Debütroman "Die Boygroup", erschienen 2004 in einem anderen Verlag, behandelt, auch mit den gleichen Protagonisten und der gleichen Story, allerdings mit deutlich anderem Schreibstil, wie auch der Nichtkenner des Debütromans anhand der Leseprobe auf www.tobiaselsaesser.de herausfinden kann.

Tobias Elsäßer: Wie ich einmal fast berühmt wurde. Mannheim: Sauerländer 2012. 256 Seiten, broschiert. ISBN 978-3-411-81130-4. 14,99 Euro. www.sauerlaender.de
 






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